Im Gleichgewicht: Mick Jagger wird 80 Jahre alt
Er gilt als alternder Gockel und ausdauernder Frontmann gleichermaßen, liefert mit den Stones berechenbaren Rock und experimentiert als Solokünstler, ist Geschäftsmann und Buddhist: Mick Jagger hält auch mit 80 noch das Gleichgewicht.
Mick Jagger hält das Gleichgewicht - und die Band am Leben. Denn bei Live-Konzerten der Rolling Stones sind die Aufgaben immer klar verteilt: Keith Richards geht leicht in die Hocke und lässt seinen Arm manchmal kreiseln, Ronnie Wood bleibt ganz cool an seinem Instrument kleben, und Charlie Watts bediente bis zu seinem Tod scheinbar unbeeindruckt sein Schlagzeug. Am 24. August 2021 verstarb Watts im Alter von 80 Jahren. Seither besetzt Steve Jordan den Platz hinter den Trommeln. Jagger hingegen war und ist stets der krasse Gegenpol zu seinen gemütlich performenden Kollegen und bleibt unangefochten die treibende Kraft im Vordergrund. Sein Bewegungsdrang ist legendär, seine Physis scheint unverwundbar zu sein.
Und egal, ob man ihn als lüsternen Gockel sieht, ihn als alternden Rock-Zampano mit jugendlichem Hüftschwung bezeichnet oder als nie ermüdende Gesangs-Maschine bewundert: Ohne Mick Jaggers Präsenz wäre aus den Stones vielleicht nur eine Rockband unter vielen geworden - und nicht die größte Rockband der Welt, deren Siegeszug vor 50 Jahren begann.
Am 26. Juli wird der nimmermüde Performer, der 1943 im beschaulichen Dartford nahe London geboren wurde, unglaubliche 80 Jahre alt.
Namensgeber für ein fossiles Insekt
Im Laufe der Jahre hat Sir Michael Philip Jagger, der vor 20 Jahren vom damaligen Prinzen Charles (heute bekannt als König Charles III.) zum Ritter geschlagen wurde, seine komplexe Persönlichkeit häppchenweise offeriert, ohne dabei zu viel von sich preiszugeben. Auf die Frage, ob er plane, eine Autobiografie zu schreiben, antwortete er einst in einem Interview: "So etwas ist recht deprimierend und schadet einem nur. Es ist schlecht für die Psyche, über die Vergangenheit zu erzählen."
Vielleicht auch eine Reaktion auf die Autobiografie seines Bandkollegen Richards, der sich in "Life" über das beste Stück von Jagger lustig gemacht hatte. Vielleicht aber auch eine bewusste Entscheidung, um die mysteriöse Rockstar-Aura, die er als Frontmann der Stones ausstrahlt, nicht anzutasten. Wie auch immer: Jagger, nach dem 2018 eine fossile Steinfliege benannt wurde, blickt nicht gern zurück. Über ihn reden andere ohnehin genug. Seine Ex-Frau, Modell und Schauspielerin Jerry Hall, beschrieb ihn als "hohle Hyperbel", durch deren Spiegeltür die Menge ihre Fantasien auslebe. Man sehe in ihm nur die Person, die man gern sein möchte. Etwas pragmatischer formuliert sein Ex-Stones-Kollege Bill Wyman diesen Umstand treffend mit dem Satz: "Mick is an interesting bunch of blokes".
Der nimmersatte Charmeur
Jagger - ein bunter Strauß aus interessanten Charakteren, einerseits kaum greifbar, andererseits vielseitig interessiert und offentlichkeitswirksam präsent: Er gilt als Kunst-Liebhaber, ist Ehrenpräsident der University Of London, begeisterter Cricket- und Fußballanhänger. Jagger ist zudem der kluge Geschäftsmann unter den Stones. Als Richards und Ex-Stones-Gitarrist Brian Jones 1961 schon Pläne zur Gründung einer Band schmiedeten, besuchte er noch Kurse der "London School Of Economics". Er sei es auch gewesen, so die US-Autorin Debra Sharon Davis in ihrem Buch "Backstage Pass VIP", der in den 70er-Jahren hartnäckig mit Prostituierten verhandelte - um möglichst wenig für Sex bezahlen zu müssen.
Auch das ist Jagger: der nimmersatte Charmeur und Sex-Abenteurer, der nicht nur unzählige Frauen, sondern auch Kollegen wie David Bowie verführt haben soll. Zweimal war Jagger verheiratet, er hat acht Kinder von fünf Frauen. Sein jüngster Sohn wurde im Dezember 2016 geboren. Außerdem ist Jagger vierfacher Groß- und zweifacher Urgroßvater. Und dennoch schafft er es, das Gleichgewicht zwischen all diesen Persönlichkeiten zu halten: Seit Jahren ist er Anhänger des Buddhismus und meditiert nach eigener Aussage täglich.
Parallel-Karriere als Solist
Jenseits seiner Band suchte Jagger stets den künstlerischen Ausgleich. Bereits 1970 debütierte er als Schauspieler in dem damals gefeierten Szene-Drama "Performance", für das Jagger auch den experimentellen Soundtrack in Kollaboration unter anderem mit Ry Cooder und Randy Newman lieferte. Im Science-Fiction Streifen "Freejack" mimte er 1992 einen Söldner, in dem von ihm produzierten Kriegs-Thriller "Enigma" hatte er 2001 einen Cameo-Auftritt.
Seine große Liebe gehörte jedoch immer der Musik - jeglicher Art: "Ich höre Easy Listening, Klassik, alte Blues-Sachen, die ich früher schon gut fand", erklärte Jagger in einem Interview. "Und dann gibt es aber auch wieder Hardrock-Momente und die Phasen, in denen man sich auf den neuesten Stand bringen möchte. Ich habe ein breit gefächertes musikalisches Interesse." Jenes lebt er selbstbewusst als Solist aus - oft bewusst vom Stil und Habitus der Rolling Stones entfernt.
Und Jaggers Alben verkauften sich gut, wenn auch nicht in dem Maße wie bei den Stones. Ein nettes Zubrot und Balsam für das große Ego des Künstlers waren sie allemal. Prinzipiell tobte sich Jagger auf den Longplayern aus, suchte den Ausgleich, frei von kommerziellen Erwartungen. "She's The Boss" taufte er 1985 augenzwinkernd sein Debüt. Chic-Mastermind Nile Rodgers, Gitarren-Magier Jeff Beck und die Rhythmus-Zwillinge Sly & Robbie sorgten für einen damals ultrahippen Sound, der Beginn einer musikalischen Parallel-Karriere war für Jagger perfekt gewählt, denn die Stones waren ja bereits ganz oben angekommen.
Kommt dieses Jahr ein neues Stones-Album?
1993 dann der vorläufige Höhepunkt seiner Solo-Karriere: Unter der Ägide von Produzent Rick Rubin entstand das Album "Wandering Spirit", das zwischen Folk, Soul und Groove breit gefächert war. Ähnlich experimentierfreudig zeigte sich Jagger auch 2011: Mit seinem alten Weggefährten Dave Stewart und Soul-Rock-Röhre Joss Stone machte er unter dem Namen SuperHeavy auf sich aufmerksam, auf deren Debüt stilmäßig so ziemlich alles ging.
Doch die alles entscheidende Frage bleibt: Wie geht das alles? Wie schafft er es, auch auf der zweimonatigen Europa-Tournee "Sixty" 2022 so fit zu wirken? In einem seiner raren Interviews verriet er dem "Q"-Magazin sein Programm: Zehn Kilometer Laufen, Schwimmen, Kickboxen, Radfahren. Dazu Yoga und Pilates. "Ich trainiere fünf oder sechs Tage die Woche, aber nicht so verrückt", räumt Jagger ein. Für die Standfestigkeit auf der Bühne mache er zudem Ballett-Übungen. Und so schafft er es, das Gleichgewicht immer noch zu halten. Gerüchten zufolge könnte noch in diesem Jahr ein neues Album der Rolling Stones erscheinen. Neben dem verstorbenen Schlagzeuger Charlie Watts sollen darauf angeblich sogar die zwei noch überlebenden Beatles, Paul McCartney am Bass und Ringo Starr am Schlagzeug zu hören sein.
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