Hambacher Forst: Emotionale Rede einer Aktivistin bewegt Tausende

Die Räumung des Hambacher Forsts schreitet voran: Mehr als die Hälfte der über 70 Baumhäuser sind schon abgebaut, Aktivisten werden täglich aus dem Wald getragen. Jetzt kursiert ein Video im Netz, in dem eine junge Frau den Aktivisten eine Stimme gibt. Die emotionale Ansprache wurde schon tausendfach geteilt, die Reaktionen fallen unterschiedlich aus.

Eine junge zierliche Frau steht zwischen zwei vermummten Polizisten. Sie ist in staubige Kleidung gehüllt und wischt sich immer wieder Tränen aus den Augen. Sie wurde gerade aus ihrem Baumhaus im Hambacher Forst geholt und fasst nun in Worte, was sie empfindet: „Sie denken wahrscheinlich, sie hätten gewonnen, aber sie können nicht gewinnen. Weil sie diesen Wald genauso brauchen und diese Erde. Und weil sie es einfach nicht verstehen, dass wir nicht für uns kämpfen, sondern für uns alle.“

Das Video wurde alleine auf der Facebook-Seite „Soli für Hambi #keepitintheground“ schon nach wenigen Tagen fast zwei Millionen Mal aufgerufen, über 30.000 Mal geteilt und mehr als 5.000 Mal kommentiert. Es scheint einen Nerv getroffen zu haben.

Seit fünf Jahren sind Teile des Hambacher Forsts „besetzt“: Aktivisten haben mehr als 30 Baumhäuser mit 70 Schlafplätzen gebaut, um den Wald vor Rodung zu schützen. Doch der Energiekonzern RWE hat als Besitzer des Geländes das Recht dazu: Im Oktober soll gerodet werden, um hier Braunkohle abzubauen, obwohl der Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen gerade diskutiert wird. Nun lässt die Landesregierung das wilde Baumhausdorf räumen, offiziell aus Brandschutzgründen.

Die Aktivisten wollen den Wald erhalten und haben dort in den letzten Jahren eine Art klassenlose Parallelgesellschaft aufgebaut. „Sie werden es nie verstehen, wie das ist, mit Menschen zusammenzuleben, denen es scheißegal ist, wie du heißt, wie alt du bist oder welchen Schulabschluss du hast“, sagt die junge Frau unter Tränen. Die Einsatzkräfte könnten auch nicht verstehen, „dass wir versuchen hier hierarchiefrei zu leben und uns gegenseitig zu respektieren. Ohne Geld!“ Und weiter: „Ich gehe lieber ins Gefängnis, als mit irgendjemandem zu tauschen, weil ich weiß, dass ich das Richtige mache.“

Polizisten im Hambacher Forst (Bild: Getty Images)
Polizisten im Hambacher Forst (Bild: Getty Images)

Sie dankt ihren Mitstreitern für die Dinge, die sie hier im Wald gelernt habe: „All das, was ich draußen in der Gesellschaft nie hätte lernen können. Dass ich die ganze Scheiße, die die Gesellschaft mir eingetrichtert hat, wieder vergessen musste: Mich mit anderen Menschen zu vergleichen oder zu konkurrieren oder dass es angeblich wichtig ist, wie wir aussehen. Diese ganze Scheiße musste ich wieder verlernen, aber das haben mir die Menschen hier gezeigt, dass es nicht wichtig ist. Sie haben mich als Wesen akzeptiert. Und das können sie mir nicht mehr wegnehmen.“

Mit großen Maschinen wäre sie jetzt zwar aus den Häusern geholt worden, die sie und ihre Gemeinschaft mit eigenen Händen aufgebaut hätten, doch: „Sie können diesen Kampf nicht gewinnen, weil so viele Menschen hinter uns stehen. Und hinter diesen Menschen hier steht nur ein Konzern ohne Zukunft. Hinter diesen Menschen hier steht nichts als ein Arbeitsvertrag. Das sind Lohnarbeiterinnen, sonst nichts.“

Sie schließt in ruhigem Ton: „Es ist okay für mich, jetzt zu gehen, weil ich weiß, dass all diese Menschen hier einfach nur ihr eigenes Grab schaufeln.“

Reaktionen zwischen Unterstützung und Spott

Die Reaktionen auf das Video sind geteilt. Mit esoterisch anmutenden Äußerungen wie „Sie haben dem Baum wehgetan“ unter tränenerstickter Stimme bietet die junge Aktivistin genug Angriffsfläche für Spötter und Zyniker. Doch ihre Worte bewegen auch tausende Menschen. Sogar die Polizisten im Video scheinen nachdenklich ihren Worten zu lauschen. Ab und zu wendet sich der Beamte zu ihrer Rechten betreten ab, doch er dreht sich stets wieder zu ihr um und betrachtet sie ernst.

Dass die Polizisten die Ansprache der Frau nicht abgebrochen haben, erklärte eine Sprecherin der Polizei der „Bild“-Zeitung mit den Worten: „Die Kollegen vor Ort leisten Amtshilfe, um die Baumhäuser zu räumen. Es geht nicht darum, die freie Meinungsäußerung zu unterbinden. Es bringt ja nichts, jemandem ins Wort zu fallen – vor allem, wenn derjenige so emotional ist.“

Aktivisten im Hambacher Forst (Bild: Getty Images)
Aktivisten im Hambacher Forst (Bild: Getty Images)

In Kommentaren auf Facebook wird die junge Frau „eine wahre Kriegerin“ genannt, die „den Robomann“ neben ihr sehr nachdenklich gestimmt hätte. Doch auch kritische Stimmen melden sich:

So fragt sich etwa der User Rainer Hart „In welcher Welt“ die Frau lebe? „11,4 mio ha Wald gibbet (sic!) in Deutschland. Soviel ich weiß hatte der Hambacher Wald wohl ca 2000ha. Im Moment noch 200ha. Etwas über 100ha sollen jetzt noch weg. Und dafür jetzt das ganze Theater? Wegen ca 0,001% Waldfläche? Wir haben ganz andere, lebenswichtigere Themen in diesem Land, um die man sich kümmern sollte. Erwacht aus eurer Traumwelt. Das Land geht den Bach runter und ihr klettert in Bäumen rum. Ganz großes Kino. Mehr aber auch nicht. Der Wald ist auch nicht 12000 Jahre alt. Das Gebiet ist seit 12000 Jahren bewaldet. Frage: Wie alt können die Bäume höchstens sein?“

Im Großen und Ganzen überwiegen jedoch die positiven Reaktionen. User Agi ImWunderland fasst zusammen: „Es gibt sicher Argumente für und gegen die Rodung. Diese Frau hat aber etwas, was Vielen heute einfach fehlt: die Leidenschaft und den Mut für etwas (Gutes) einzustehen und zu kämpfen!“