Hilfen in den Gazastreifen laufen an - International Erleichterung

Für die notleidende Zivilbevölkerung im Gazastreifen zählt im Krieg zwischen Israel und der Hamas jede Stunde. Die Menschen benötigen Medizin, Wasser und Nahrung. Nun sind erste Lastwagen unterwegs.

Im Gazastreifen werden dringend humanitäre Hilfen benötigt (Bild: Abed Rahim Khatib/dpa)
Im Gazastreifen werden dringend humanitäre Hilfen benötigt (Bild: Abed Rahim Khatib/dpa)

Kairo/Gaza (dpa) - Erste Hilfslieferungen in den Gazastreifen sind angelaufen. Einige Lastwagen fuhren am Samstag von Ägypten in den palästinensischen Bereich des Grenzübergangs Rafah, wie auf Bildern im ägyptischen Fernsehen zu sehen war. Dem Ägyptischen Roten Halbmond zufolge sollen die 20 Lastwagen vor allem mit Nahrungs- und Arzneimitteln beladen sein. Es sind die ersten Lieferungen über Rafah seit Beginn des Kriegs zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas am 7. Oktober.

Rafah ist derzeit der einzige Weg, Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung in den Gazastreifen zu bringen. Wie lange die Grenze offen bleiben sollte, blieb zunächst unklar. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths erklärte, den Hilfslieferungen seien tagelange intensive Verhandlungen vorausgegangen. Letztlich hatten sich alle Seiten auf den Konvoi mit 20 Lastwagen verständigt.

Die USA, Ägypten und Israel wollten vermutlich sicherstellen, dass mit den Lastwagen nichts außer humanitärer Hilfe über die Grenze gebracht wird. Umstritten war auch die Lieferung von Treibstoff. Israel hatte Hilfslieferungen von seiner Seite aus an die Bedingung geknüpft, dass die Hamas alle der rund 200 Geiseln in ihren Händen zuvor freilassen müsse. Die Hilfslieferungen über Rafah stießen bei Angehörigen der Geiseln in Israel auf scharfe Kritik.

International Erleichterung über Grenzöffnung

Unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Außenminister James Cleverly begrüßten den Beginn der Hilfslieferungen. Scholz schrieb auf der Plattform X, früher Twitter: «Es ist gut und wichtig, dass jetzt erste humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza kommt. Sie brauchen Wasser, Nahrung und Medikamente - wir lassen sie nicht allein.» Von der Leyen nannte auf X den Beginn der Lieferungen «einen wichtigen ersten Schritt, das Leiden unschuldiger Menschen zu lindern».

Der britische Außenminister James Cleverly mahnte auf X an, die Öffnung des ägyptischen Grenzübergangs Rafah dürfe kein einmaliges Ereignis sein. «Die Hilfe ist eine Rettungsleine für die Leidenden. Aber sie darf keine einmalige Sache sein», schrieb er.

Roter Halbmond: Auch Mediziner-Teams fahren in den Gazastreifen

Die Güter sollen über das UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA an die Bevölkerung verteilt werden. Auch Mediziner-Teams würden am Samstag in den Gazastreifen fahren, sagte Chalid Sajid, Leiter des Ägyptischen Roten Halbmonds im Nord-Sinai. «Wir warten auf die Erlaubnis, dass ägyptische Krankenwagen passieren, um verletzte Palästinenser zu ägyptischen Krankenhäusern zu bringen».

Zuletzt hatten sich etwa 170 Lastwagen mit humanitären Versorgungsgütern auf ägyptischer Seite vor dem Übergang gestaut. Die Lkw seien bereit und auf «Stand-by», sagte eine Sprecherin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Samstag in Kairo.

In der Nacht zum Samstag sollten bereits zwei Lastwagen die Grenze überqueren, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr. Die Lkw hatten demnach Medizin geladen und Medienberichten zufolge auch Leichentücher.

Kairoer Gipfel dringt auf schnelles Ende im Nahost-Krieg

Ein «Gipfel für den Frieden», etwa 300 Kilometer vom Gazastreifen entfernt: Mit wortgewaltigen Reden haben sich Spitzenpolitiker in Kairo für ein schnelles Ende des Gaza-Kriegs stark gemacht. Beim Gipfeltreffen auf Einladung Ägyptens gab es am Samstag scharfe Kritik an Israels Angriffen im Gazastreifen wie auch am Terror der dort herrschenden islamistischen Hamas. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock drang - wie andere europäische Vertreter - auf den Schutz von Zivilisten.

Hoffnung auf eine Entspannung gab es bei der Konferenz nicht, auch weil Israel nicht eingeladen war. Einige wenige Hilfslieferungen für die notleidenden Menschen im Gazastreifen liefen am Samstag unterdessen an, die schweren Kämpfe gingen weiter.

Das «unerbittliche Bombardement in Gaza» sei «auf jeder Ebene grausam und skrupellos», sagte Jordaniens König Abdullah II. «Es ist eine kollektive Strafe für eine belagerte und hilflose Bevölkerung. Es ist ein eklatanter Bruch des humanitären Völkerrechts. Es ist ein Kriegsverbrechen.» Weil die Welt schweige, sei die Botschaft an die arabische Welt: «Palästinensische Leben sind weniger wert als israelische. Unsere Leben sind weniger wert als die anderer.»

Ägyptens Präsident und Gastgeber Abdel Fattah al-Sisi versicherte, dass die Palästinesner ihr Land nicht verlassen wollen «selbst wenn sie bombardiert werden». Diese würden bis zum Schluss ausharren, sagte auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. «Wir werden niemals gehen. Wir werden niemals unser Land verlassen. Wir werden aufrecht auf unserem Land stehen bis zum Ende.»

An dem Gipfel nahmen mehrere Staats- und Regierungschefs der Nahostregion sowie Vertreter der UN und westlichen Staaten teil. Mit im großen Saal saßen auch EU-Ratspräsident Charles Michel sowie etwa Außenminister aus Großbritannien, Frankreich, Kanada, der Türkei und Brasilien. Es sei die wohl schwierigste Situation seines «beruflichen, persönlichen oder politischen Lebens», sagte der britische Außenminister James Cleverly.

Annalena Baerbock
Annalena Baerbock

Baerbock rief dazu auf, «jederzeit zwischen Terroristen und der Zivilbevölkerung zu unterscheiden.» Der Kampf gegen die Hamas müsse mit größtmöglicher Rücksichtnahme auf die humanitäre Lage geführt werden, forderte die Ministerin. Die Grünen-Politikerin stellte dabei erneut klar: «Für Deutschland ist die Sicherheit des Staates Israel nicht verhandelbar.» Auch EU-Ratspräsident Michel sagte, Zivilisten und deren Infrastruktur im Gazastreifen müssten geschützt werden.

+++ Israel setzt Vorbereitungen für Bodenoffensive in Gaza fort +++

Die israelische Armee setzt nach eigenen Angaben die Vorbereitungen für die «nächste Phase des Kriegs» im Gazastreifen fort. Dies schließe auch Einsätze am Boden ein, hieß es am Samstag in einer Mitteilung des Militärs. «In den vergangenen Tagen sind Pläne zur Ausweitung der operativen Einsätze gebilligt worden», hieß es weiter. Einheiten der Armee seien vor Ort stationiert und trainierten gemäß den gebilligten Plänen. Kommandeur Or Volozhinsky von der 188. Panzerbrigade sagte den Angaben zufolge: «Wir werden mit Kampfgeist und Entschlossenheit das erreichen, was notwendig ist, um unserem Volk für viele Jahre Sicherheit zu bringen.»

Opfer-Bilanz der israelischen Armee nach zwei Wochen Krieg

Das israelische Militär veröffentlichte am Samstag die Opferzahlen nach zwei Wochen Krieg. In Folge der Angriffe von Hamas-Terroristen seien mehr als 1400 Tote zu beklagen, mehr als 4600 Menschen seien verletzt worden, hieß es in einem Post auf X.

Die Armee habe inzwischen mehr als 6 900 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuerte Raketen gezählt. Davon seien mehr als 450 noch innerhalb des Gazastreifens eingeschlagen. Nach Militärangaben wurden mehr als 1000 Hamas-Terroristen - auch auf israelischem Gebiet - «neutralisiert». Das bedeutet in der Regel, dass sie getötet wurden. Auch dutzende Hamas-Führer seien eliminiert worden, hieß es.

Israel verhängte nach den den Hamas-Angriffen eine Blockade des Gazastreifens und bombardiert dort seither Ziele. Bei den Angriffen starben nach jüngsten Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen 4137 Menschen, davon 70 Prozent Kinder und Frauen. Mehr als 1000 Menschen würden vermisst. Sie befänden sich vermutlich unter den Trümmern. In der aktuell praktisch von der Außenwelt abgeschnittenen palästinensischen Küstenenklave leben gut zwei Millionen Menschen.

Video: Baerbock bei Nahost-Gipfel: "Jedes Zivilistenleben ist gleich wichtig"