"Hiphop - Made in Germany": Diese Dokureihe müssen Rap-Fans gesehen haben

Cora E., Toni-L und Martin Stieber (von links) suchen auf dem Mark-Twain-Village in Heidelberg nach dem amerikanischen Einfluss, der für den HipHop der Stadt so wichtig war. (Bild: NDR)
Cora E., Toni-L und Martin Stieber (von links) suchen auf dem Mark-Twain-Village in Heidelberg nach dem amerikanischen Einfluss, der für den HipHop der Stadt so wichtig war. (Bild: NDR)

Mit dem beigen Mercedes auf Zeitreise durch vier Jahrzehnte Deutschrap: Die NDR-Dokureihe "Hiphop - Made in Germany" verknüpft den Wandel des Genres mit historischen Ereignissen. In Verbindung mit interessanten Gesprächspartnern entstand die wohl beste Doku zum Thema aller Zeiten.

Zwei Herren jenseits der 50 fahren im stylischen Oldtimer durch Heidelberg. Aus der Musikanlage kommen alte US-Hits à la "Rapper's Delight", die ersten ikonischen Zeilen werden direkt mitgerappt. Es ist Musik, die Martin Stieber, einst einer der Stieber Twins, und Toni-L von Advanced Chemistry inspiriert hat - und die Generation nach den beiden deutschen HipHop-Pionieren ebenso. In den 80er-Jahren schwappte HipHop in die BRD und das überschaubare kurpfälzische Heidelberg entwickelte sich auch aufgrund seiner US-Army-Siedlung zu einer bedeutenden Keimzelle der Subkultur. Aus Subkultur wurde Popkultur und aus Deutschrap das musikalisch wie inhaltlich wohl diverseste Genre des Landes.

In "Hiphop - Made in Germany" wird der beige Mercedes der Protagonisten zum DeLorean: Die vierteilige NDR-Dokureihe (abrufbar in der ARD-Mediathek) nimmt Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf eine Zeitreise durch vier Jahrzehnte deutscher HipHop. Für Deutschrap-Fans ist das Format ein absolutes Muss. Doch auch für sonstige Musikliebhaber oder einfach nur popkulturell Interessierte verdeutlicht die Doku hervorragend den Wandel des Genres im Kontext historischer Ereignisse: ob Mauerfall, Nazipogrome oder Agenda 2010. Und so erklingen neben prägenden Rap-Songs auch alte Nachrichtenbeiträge aus dem Radio des Mercedes. Die eingespielten Archiv-Beiträge aus dem TV sind pures Gold.

Jede Episode legt für sich zwar den Fokus auf eine Dekade und eine ebendiese prägende Stadt, Querverweise und Interviews mit Rapperinnen und Rappern unterschiedlichster Couleur, HipHop-Journalisten und Gesprächspartnern aus Politik und Kultur aus heutiger Perspektive ordnen die damaligen Ereignisse jedoch zeitübergreifend ein: Unter anderem Disarstar, Eko Fresh, Prinz Pi, Liz und Smudo, aber auch Politiker Gregor Gysi oder Comedian Özcan Cosar. "Die vier Elemente von HipHop sind das, was die Leute draus machen", findet Toni-L mit Blick auf die "klassischen" Elemente Graffiti, DJing, Breakdance und Musik. "Und für jede Generation ist es etwas anderes."

Zwei Generationen Hamburger Rap: Eunique fährt mit Denyo von den Beginnern durch die gemeinsame Heimatstadt. (Bild: NDR)
Zwei Generationen Hamburger Rap: Eunique fährt mit Denyo von den Beginnern durch die gemeinsame Heimatstadt. (Bild: NDR)

"Tanzen, Musik machen, sprühen, rebellisch sein"

Unter anderem werden in der Dokureihe Pionierarbeit, Politisierung und Kommerzialisierung thematisiert. Dabei lenkt die erste Folge auch den Blick auf vernachlässigte Teilaspekte der Bewegung, etwa HipHop in Ostdeutschland. "Wenn du in der Altstadt einer ostdeutschen Metropole groß geworden bist, da sah es halt auch wirklich so aus wie in der Bronx in den 70er-, 80er-Jahren", weiß Untergrund-Legende Morlock Dilemma aus Leipzig. Und sowieso: "Tanzen, Musik machen, Sprühen, rebellisch sein. Zeig mir einen Dreizehnjährigen, der da nicht feuchte Finger bekommt."

Außerdem wird über viele Folgen hinweg immer wieder die Frauen-Rolle im Deutschrap aufgegriffen. So nimmt Cora E., die mit "Schlüsselkind" (1997) einen der wohl meistzitierten Deutschrap-Songs überhaupt veröffentlichte, auf der Auto-Rückbank Platz und berichtet über ihre Erfahrungen als Frau in einer Szene, die damals hierzulande noch den Kinderschuhen entwuchs. Lady Bitch Ray erzählt in Folge zwei von den irritierten Reaktionen auf ihre sexpositiven und feministischen Texte.

Für Kitty Kat ist der Blick zurück ein schmerzhafter: "Ich wurde von meiner Plattenfirma Aggro Berlin drei Jahre lang versteckt gehalten", so das damals einzige weibliche Signing beim Indie-Label. Dort dachte man zunächst, durch ihr Aussehen ließe sie sich nicht gut vermarkten. Rap funktionierte stets auch als gesellschaftliches Spiegelbild und so bedeutend antirassistische Statements auch waren, gab es auch blinde Flecken in der Szene in Sachen Sexismus oder Antisemitismus.

Ali Bumaye und Kitty Kat fahren durch Berlin. In der Hauptstadt wurde der Rap in den 00er-Jahren spürbar härter. (Bild: NDR / David Meister)
Ali Bumaye und Kitty Kat fahren durch Berlin. In der Hauptstadt wurde der Rap in den 00er-Jahren spürbar härter. (Bild: NDR / David Meister)

Harte Verhältnisse - harter Rap

In den 90er-Jahren wurde der Rap politischer, auch eine Folge der brennenden Flüchtlingsheime zu Beginn des Jahrzehnts. Gleichzeitig wurde in dieser Zeit das Verhältnis zwischen Kunst und Kommerz neu verhandelt, der erste große HipHop-Boom des Landes lockte die großen Major-Labels. Stellvertretend für diesen Teil der Geschichte lenkt Denyo von den Beginnern den beigen Mercedes durch die Hansestadt, begleitet von Rapperin Eunique, die die heutige Hamburger Szene repräsentiert.

"Ich glaube, dass Rap in den 00er-Jahren härter wurde, weil auch die gesellschaftlichen Verhältnisse härter wurden", fasst Ex-Labelchef und Journalist Marcus Staiger das folgende Jahrzehnt zusammen, in dem Aggro Berlin provozierte - und den deutschen Rap revolutionierte. Unter anderem Aushängeschild Sido prollte damals auf Schulhöfen aus den Handylautsprechern und gab den Abgehängten aus den ärmeren Vierteln eine Stimme. Und die Haupstadt bildet dann auch die Kulisse für die Fahrt von Ali Bumaye und Kitty Kat in die Vergangenheit.

In der letzten Episode, die den deutschen Rap seit 2010 dokumentiert, steht Frankfurt am Main im Zentrum. Das Straßenrap-Duo Celo & Abdi cruist durch die Main-Metropole, unter anderem wird der Aufstieg des "größten Gangsta-Rappers Deutschlands" (Eko Fresh), Haftbefehl, thematisiert. Vier Jahrzehnte deutscher Rap - und die Geschichte geht weiter.

Im beigen Mercedes in die Vergangenheit: Martin Stieber und Toni-L schwelgen in Erinnerungen. (Bild: NDR / David Meister)
Im beigen Mercedes in die Vergangenheit: Martin Stieber und Toni-L schwelgen in Erinnerungen. (Bild: NDR / David Meister)