Nahost-Krieg: "Grenze der Belastbarkeit" in Gaza laut UN erreicht

Hilfsorganisation warnen vor einer humanitären Katastrophe im Gaza-Streifen. Laut UN-Generalsekretär António Guterres sei die «Grenze der Belastbarkeit» erreicht. Auch die USA fordern erneut mehr Schutz für Zivilisten - jetzt beugt sich Israel dem Druck, zumindest etwas.

UN-Generalsekretär António Guterres hat den Weltsicherheitsrat erneut gedrängt, sich für einen humanitären Waffenstillstand im Gaza-Krieg einzusetzen. Die «Grenze der Belastbarkeit» im Gazastreifen sei erreicht, sagte Guterres vor dem Gremium in New York. «Es gibt ein hohes Risiko, dass das humanitäre Unterstützungssystem in Gaza komplett zusammenbricht, was verheerende Konsequenzen hätte.»

Die Sitzung war einberufen worden, weil Guterres den Rat zuvor in einem seltenen Schritt dringend aufgefordert hatte, sich für die Abwendung einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen einzusetzen.

(deutsch: Ich habe mich gerade auf Artikel 99 der UN-Charta berufen – zum ersten Mal in meiner Amtszeit als Generalsekretär. Angesichts der großen Gefahr eines Zusammenbruchs des humanitären Systems in Gaza fordere ich den Rat auf, dabei zu helfen, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, und rufe dazu auf, einen humanitären Waffenstillstand auszurufen.)

In einem entsprechenden Brief bezog er sich dabei auf Artikel 99 der UN Charta. Dieser erlaubt dem Generalsekretär, den Sicherheitsrat auf «jede Angelegenheit hinzuweisen, die seiner Meinung nach die Gewährleistung von internationalem Frieden und Sicherheit gefährden kann» und ist den UN zufolge seit Jahrzehnten nicht angewandt worden.

Die Vereinigten Arabischen Emirate legten daraufhin einen neuen Resolutionsentwurf mit der Forderung nach einem Waffenstillstand vor. Ob und wann über den Entwurf abgestimmt wird, war nicht klar. Eigentlich war dies für die Sitzung mit Guterres vorgesehen gewesen, wurde dann aber wieder verschoben.

Möglicherweise könne es am heute Abend (Ortszeit) noch zu einer Abstimmung kommen, hieß es aus Diplomatenkreisen. Ähnliche Resolutionsvorstöße waren bislang am Widerstand der USA gescheitert.

EU setzt Top-Militärs der Hamas auf Terrorliste

Die EU hat den Kommandeur des bewaffneten Arms der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas, Mohammed Deif, auf seine Terrorliste gesetzt. Auch Marwan Issa wurde aufgenommen, wie aus dem EU-Amtsblatt von heute hervorgeht. Der Mitteilung zufolge müssen nun alle Gelder sowie andere finanzielle Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen dieser Personen eingefroren werden. Zudem dürften ihnen weder direkt noch indirekt Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressourcen bereitgestellt werden.

Mohammed Deif und Marwan Issa gelten als Hamas-Führungsfiguren und Planer des beispiellosen Massakers in Israel vom 7. Oktober, in dessen Folge rund 1200 Israelis getötet und rund 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt wurden. Die Organisation Hamas, die 2007 gewaltsam die Macht im Gazastreifen an sich gerissen hatte, wurde von der EU bereits 2001 als Terrorgruppe eingestuft.

Opfer-Angehörige des Hamas-Massakers protestieren gegen Netanjahu

Angehörige der beim Hamas-Massaker getöteten und entführten Israelis haben in Jerusalem den Rücktritt des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gefordert. Israelischen Medien zufolge kamen 200 bis 300 Demonstranten zu der Kundgebung in der Nähe des Parlaments.

Es gibt massive Kritik an dem Regierungschef, der bisher keine direkte Verantwortung für das politische und militärische Versagen am 7. Oktober übernommen hat. Bei dem schlimmsten Massaker der Geschichte Israels ermordeten Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen rund 1200 Menschen und verschleppten rund 240 weitere in den Gazastreifen.

Schon vor dem brutalen Terrorangriff hatte es in Israel immer wieder Massenproteste gegen Netanjahu und seine Koalition gegeben. Es ist die am weitesten rechtsstehende Regierung in der Geschichte Israels.

Beschuss an israelisch-libanesischer Grenze geht weiter

An der Grenze zwischen dem Libanon und Israel hat es heute wieder Beschuss gegeben. Das israelische Militär teilte mit, ein verdächtiges Flugobjekt aus Richtung des Libanons abgefangen zu haben. Die israelische Armee habe mit Artillerie auf den Abschussort und weitere Ziele im Nachbarland gefeuert.

Die proiranische Hisbollah im Libanon reklamierte mehrere Angriffe auf Israel für sich. Die Miliz habe nach eigenen Angaben mehrere Orte im Grenzbereich «mit entsprechenden Waffen» angegriffen.

Seit Beginn des Gaza-Krieges nach dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober kommt es immer wieder zu Konfrontationen zwischen Israels Armee und militanten Gruppierungen wie der Hisbollah in der israelisch-libanesischen Grenzregion. Es ist die schwerste Eskalation seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006. Einen Friedensvertrag zwischen beiden Ländern gibt es nicht.

Demonstrationen in arabischen Ländern in Solidarität mit Gaza

Tausende Menschen haben am Freitag erneut in arabischen Ländern in Solidarität mit den Menschen in Gaza und gegen die Militäreinsätze Israels demonstriert. Beispielsweise in Jordaniens Hauptstadt Amman kamen Tausende im Anschluss an das Freitagsgebet zu einem Demonstrationsmarsch zusammen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Petra berichtete. Laut der Nachrichtenseite Al-Ghad forderten sie die «Befreiung Palästinas». Weitere Demonstranten versammelten sich demnach an der US-Botschaft in Amman. Sie beschuldigten die US-Regierung, Israel im Krieg gegen die islamistische Hamas uneingeschränkt zu unterstützen und forderten den Abbruch der Beziehungen zu den USA.

Auch im Jemen hat es nach Angaben des von den Huthi-Rebellen betriebenen TV-Senders Al-Masirah Proteste gegeben. In der Rebellenhochburg Saada hätten die Demonstranten Unterstützung für die Huthis gezeigt. Huthi-Rebellen greifen Israel seit Ausbruch des Gaza-Krieges immer wieder mit Drohnen und Raketen an. Zuletzt hatten sie auch mehrfach Schiffe mit israelischen Bezug im Roten Meer attackiert.

In der libanesischen Hauptstadt Beirut hielten Dutzende Demonstranten nahe der französischen Botschaft einen stillen Sitzstreik ab. Sie protestierten gegen die Tötungen von Zivilisten im Gazastreifen und forderten einen Waffenstillstand. Auf Schildern, die sich auf ihre Mündern geklebt hatten, war «Gaza Waffenstillstand» zu lesen. Vor den Demonstranten wurden zahlreiche Särge aus Pappe aufgestellt, die die getöteten Zivilisten darstellen sollten.

Hoffnung auf schnellere Hilfe für Gaza

Israels Bodenoffensive im Gazastreifen lässt den Hunderttausenden von palästinensischen Zivilisten kaum noch sichere Zufluchtsorte. In Rafah an der Grenze zu Ägypten suchten so viele Menschen Schutz vor den Kämpfen, dass die Stadt inzwischen weder Lebensmittel noch Strom und auch kein ausreichendes Trinkwasser mehr für sie habe, wie ein Reporter der britischen BBC berichtete.

Angesichts der wachsenden Kritik an den stockenden Hilfslieferungen nach Gaza und auf den Druck der USA hin hat sich Israel nun bereiterklärt, am Grenzübergang Kerem Schalom eine zweite Kontrollstelle für Lastwagen mit Hilfsgütern zu nutzen.

"Karte Südlicher Gzastreifen"; Grafik: S. Stein, Redaktion: A. Brühl (Aktualisierung)
"Karte Südlicher Gzastreifen"; Grafik: S. Stein, Redaktion: A. Brühl (Aktualisierung)

USA richten erneut Mahnung an Israel

US-Außenminister Antony Blinken rief Israel erneut auf, mehr für den Schutz von Zivilisten in dem Küstenstreifen zu tun. Israels Führung habe zwar wichtige zusätzliche Schritte in diese Richtung unternommen, so Blinken. Es gebe aber nach wie vor eine Lücke zwischen dem, was er bei seinem jüngsten Besuch in Tel Aviv angeregt habe und was an Ergebnissen zu beobachten sei.

Es gehe zum Beispiel nicht nur darum, Sicherheitszonen einzurichten, sondern sie auch so zu kommunizieren, dass die Menschen tatsächlich wüssten, wohin, wann und auf welchem Weg sie flüchten könnten. Zudem müsse es in solchen Sicherheitszonen Essen, Wasser und Medikamente für die geflüchteten Menschen geben. Im Gazastreifen herrschten «unvorstellbare Verluste, Zerstörung und Elend», schrieb auf X Cindy McCain, Leiterin des Welternährungsprogramms. Jeder leide Hunger.

Israel: Hamas feuert aus Sicherheitszonen

Israels Militär erklärte unterdessen, dass die Hamas aus solchen «humanitären Sicherheitszonen» heraus Raketen auf Israel abgeschossen habe. Israelische Medien veröffentlichten am Donnerstag derweil Bilder von Dutzenden im Gazastreifen festgenommenen Palästinensern in Unterhosen. Die Identität der Männer war zunächst unklar. Der israelische Militärsprecher Daniel Hagari sagte, die Viertel Dschabalia und Schedschaija im Norden des Küstenstreifens seien «Hochburgen von Terroristen und wir kämpfen gegen sie».

Wer in diesen Gebieten verblieben sei, aus Tunnelschächten oder aus Gebäuden komme, werde untersucht, um zu klären, «wer Verbindungen zur Hamas hat und wer nicht». Man nehme alle fest und verhöre sie, erklärte Hagari. Derweil gehen auch in der südlichen Stadt Chan Junis, die als Hochburg der Hamas gilt, die Häuserkämpfe weiter.

Die Zahl der in dem von Israel abgeriegelten Küstengebiet getöteten Palästinenser ist seit Kriegsbeginn laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde inzwischen auf 17 177 gestiegen. Die Zahl lässt sich gegenwärtig nicht prüfen, die UN und andere Beobachter weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit als insgesamt glaubwürdig herausgestellt hätten.

Video: Baerbock fordert "weniger zivile Opfer" von Israel