Holocaust-Überlebender erhebt Vorwürfe in ZDF-Doku - und appelliert an heutige Schüler

Während des Zweiten Weltkriegs wurde ein Großteil von Albrecht Weinbergs Familie ermordet, unter anderem seine Eltern. (Bild: ZDF / Jesco Denzel)
Während des Zweiten Weltkriegs wurde ein Großteil von Albrecht Weinbergs Familie ermordet, unter anderem seine Eltern. (Bild: ZDF / Jesco Denzel)

Albrecht Weinberg und die Schüler, die er besucht, trennen mehr als 80 Jahre. Und trotzdem scheint der 99-Jährige die Sprache der Jugendlichen zu sprechen. "Mit 16 kann man doch Tattoos haben", flachst Weinberg, um nachdenklich nachzuschieben: "Aber nicht so eines." Schließlich besteht das Tattoo auf seiner Haut, das die Schüler mit ihren Handykameras festhalten, aus Zahlen - Zahlen des Grauens. Die Häftlingsnummer erinnert ihn an seine Zeit im Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs. Passend dazu trägt eine neue Dokumentation aus der "37°"-Sendereihe den Titel "Die Nummer auf meinem Arm".

Anders als die Schüler, die Albrecht Weinberg seit über zehn Jahren über seine Geschichte aufklärt, habe er "keine Jugend gehabt. Kein Tanzen, kein Verliebtsein", wie seine Pflegerin Gerda im ZDF-Film von Güner Yasemin Balci und Jesco Denzel schildert. Seine Realität lautete im selben Alter: drei Todesmärsche, Zwangsarbeit mit 14 Jahren und eine von den Nazis ermordete Familie. Über diese Gräuel zu schweigen, aber ist für Weinberg keine Alternative, denn: "Wenn die paar Überlebenden nicht erzählen, was war, ist alles verloren."

Seit Jahren leistet Albrecht Weinberg als einer der letzten Holocaust-Überlebenden Aufklärungsarbeit in ganz Deutschland. Pflegerin Gerda ist stets an seiner Seite. (Bild: ZDF / Jesco Denzel)
Seit Jahren leistet Albrecht Weinberg als einer der letzten Holocaust-Überlebenden Aufklärungsarbeit in ganz Deutschland. Pflegerin Gerda ist stets an seiner Seite. (Bild: ZDF / Jesco Denzel)

Obwohl er in Bergen-Belsen "zwischen Leichen und Sterbenden gelegen" habe, sei er 1945 von britischen Panzern befreit worden, berichtet Albrecht Weinberg im Film von Güner Yasemin Balci und Jesco Denzel. "Bergen-Belsen war ein Friedhof. Aber auf einem Friedhof sind die Leichen begraben. Da haben die Leichen auf dem Boden gelegen. Nicht eine oder zwei, sondern Tausende."

Danach suchte er zwei Jahre nach seiner Schwester Friedel, um schließlich 1947 gemeinsam mit ihr in die USA zu emigrieren. "Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich wieder in Deutschland bin und es mir so wunderbar geht", sagt er heute. Nach dem Tod seiner Schwester entschied er sich, in die alte Heimat zurückzukehren. Seither engagiert er sich im Rahmen der Erinnerungskultur. "Lasst euch nicht einschüchtern von diesen Fanatikern!", appelliert er bei einem Schulbesuch ob des Rechtsrucks in Gesellschaft und Politik an die Heranwachsenden.

Albrecht Weinberg überlebte drei Todesmärsche und ist heute 99 Jahre alt. (Bild: ZDF / Jesco Denzel)
Albrecht Weinberg überlebte drei Todesmärsche und ist heute 99 Jahre alt. (Bild: ZDF / Jesco Denzel)

Heute, knapp 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, verfolgt Weinberg das Gesehene noch immer - wenngleich er mittlerweile laut Pflegerin Gerda ruhiger schlafe und die Arbeit mit den Schülern Therapie für ihn sei. Wie nahe ihm das Erlebte aber noch immer geht, machen Aufnahmen von einem Gedenkabend klar. "Alle waren Judenfreunde, aber meine Eltern sind lebendig ermordet worden. Von wem denn? Nicht von Adolf, von Deutschen. Keiner hat was gesagt. Hinter den Gardinen haben sie gestanden", beklagt Weinberg, nachdem ein Ortsansässiger unterstrichen hatte, nichts von den Gräueltaten in den KZs gewusst zu haben.

"Jetzt wollen sie sich alle entschuldigen. Hat jemand was gesagt? Kein Wort!", spricht Weinberg in Tränen aufgelöst - und erinnert daran, welche traurige Aktualität seine Appelle besitzen.

"37°: Die Nummer auf meinem Arm" ist am Dienstag, 4. Juni, 22.15 Uhr, im ZDF zu sehen und bereits vorab in der ZDF-Mediathek.