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Homöopathie: Der Kaiser ist nackt!

Zahlreiche Menschen schwören auf Globuli, ihre Wirksamkeit ließ sich unterdessen nie wissenschaftlich belegen (Symbolbild: Getty Images)
Zahlreiche Menschen schwören auf Globuli, ihre Wirksamkeit ließ sich unterdessen nie wissenschaftlich belegen (Symbolbild: Getty Images)

Homöopathie ist für Millionen Menschen noch immer eine ernstzunehmende Therapiemethode, die sie als Alternative zur kritisch beäugten “Schulmedizin” preisen. Krankheiten sollen nicht durch Fremdsubstanzen oder “Gegen-Mittel”, sondern durch “Gleiches” oder “Ähnliches” in hoher Verdünnung kuriert werden. Das Heilverfahren gilt denen, die daran glauben, als mildes, sanftes und naturverbundenes Heilverfahren.

Aber auch 230 Jahre nach ihrer Begründung ist die Wirksamkeit der Homöopathie jeden wissenschaftlichen Nachweis schuldig geblieben. Alle gesundheitswirksamen Resultate reichten nicht über den Placeboeffekt hinaus. Dieses ernüchternde Fazit zieht die Wissenschaft - und kein seriöser und ernstzunehmender Mediziner würde heute behaupten, dass Zuckerkügelchen (“Globuli”) oder millionenfach verdünnte Tinkturenvirgendeine positive medizinische Wirkung auf den Körper entfalten; jedenfalls nicht mehr als ein Glas Leitungswasser oder eine Messerspitze Rohzucker.

Dennoch boomt der Markt der Homöopathie wie nie – wohl auch deshalb, weil sie oft mit einer Form von Naturheilkunde verwechselt wird und somit vom positiven Image der grün-alternativen Phytomedizin profitiert, obwohl sie mit dieser eigentlich nichts zu tun hat. Aus demselben Grund hatten auch die Grünen stets eine wohlwollend-aufgeschlossene Position zur Homöopathie. Kein Wunder, erlebte die von Samuel Hahnemann begründete Methode doch just zur Entstehungszeit der Partei in den späten Siebzigern – im Fahrwasser der damaligen Beliebtheit esoterischer und alternativer Heilverfahren – in der Bundesrepublik einen Boom.

Doch nun setzt auch bei den Grünen anscheinend ein Umdenken ein - gerade in der nachkommenden Generation: Der grüne Jungpolitiker Tim Demisch (18) aus Berlin hat einen Vorstoß gewagt, den viele seiner Partei wohl nicht zugetraut hätten: Wie im Märchen “Des Kaisers neue Kleider” traute sich Demisch zum blanken Entsetzen der homöopathischen Lobby, die Tatsachen offen beim Namen zu nennen und laut auszurufen: Der Kaiser ist nackt! Respektive lautete der Ausruf Demischs vielmehr: “Homöopathie wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus.”

Für Yahoo Nachrichten hat sich Tim Demisch unseren Fragen gestellt:

Herr Demisch, da haben Sie sich ja mit einer mächtigen Lobby angelegt. Allein in Deutschland setzt die Homöopathie über 600 Millionen Euro um - Tendenz steigend. Wie war die Reaktion dieses mächtigen Gegners?

Tim Demisch: Die homöopathische Branche tritt hierzulande sehr kraftvoll auf, was man nicht zuletzt auch an ihrem jährlichen Umsatz erkennen kann. Dementsprechend wird auf uns Homöopathie-Kritikerinnen und -Kritiker auch mit voller Kraft gefeuert. Grüne Landtags- und Bundestagsabgeordnete, die verschiedenen Geschäftsstellen unserer Partei und vor allem wir als Antragsstellende werden mit Anfragen, Beschwerden und offenen Briefen überhäuft. Wenn man sich die Öffentlichkeitsarbeit der Homöopathie-Branche anschaut, wirkt es, als würde man uns als die größte Gefahr seit langem betrachten. Nichtsdestotrotz bekommen wir gerade von Leuten aus der Medizin und der sonstigen Wissenschaft enormen Rückenwind und werden in unserem Anliegen unterstützt, was uns sehr weiterhilft und in unserer Position stärkt.

Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) verteidigt überraschend die Homöophatie gegen Expertenmeinungen. Auch SPD-Politiker treten offen für die Homöopathie-Lobby ein und äußern sich teils Eins zu Eins identisch mit den Erklärungen von Homöophatiefirmen in ihren Broschüren. Wie tief und wie gut vernetzt ist diese Lobby nach Ihrer Einschätzung?

Demisch: Zunächst möchte ich meine tiefe Enttäuschung über die neue Haltung von Gesundheitsminister Spahn ausdrücken. Vor seinem Amtsantritt vertrat er durchweg die Seite der Wissenschaft und hat sich gegen die Kassenfinanzierung der Homöopathie ausgesprochen. Mittlerweile tut er aber so, als sei das ganze Thema komplett irrelevant und vergisst dabei, dass es um viel mehr als nur ein paar Millionen Euro geht. Es geht um die Glaubhaftigkeit der deutschen Gesundheitspolitik. Meines Erachtens hat Herr Spahn mit seiner neuen Haltung nicht nur diese Glaubhaftigkeit, sondern vor allem auch seine eigene verspielt. Ob er sich dabei von der in großen Verbänden organisierten Homöopathie-Lobby hat beeinflussen lassen, kann ich nur mutmaßen. Fest steht jedoch, dass die Große Koalition beim Thema Homöopathie mutlos auftritt und sich in Teilen sogar öffentlich für die Homöopathie ausspricht. Selbst Abgeordnete wie Karl Lauterbach, die in der Vergangenheit klar für die Wissenschaft Stellung bezogen haben, ziehen sich mehr und mehr zurück.

Es wurde sogar eine Petition gegen Ihren Antrag gestartet, welche doch sehr fragwürdige Behauptungen aufstellt und von einer” Anti-Homöopathie-Lobby” spricht. Wie fühlt es sich an, so einen Gegenwind zu bekommen?

Demisch: Ich glaube, wer ernsthaft für etwas einsteht, muss immer mit Gegenwind rechnen. Mich überraschen die Kampagnen gegen uns zumindest nicht. Was mich hingegen verblüfft, ist die teils absurde Argumentation der Pro-Homöopathie-Seite, welche uns Machenschaften mit der Pharmabranche vorwirft oder behauptet, jemand in meinem jungen Alter könne die angeblich wahre Wirkung der Homöopathie gar nicht nachvollziehen. Nicht selten sehen wir uns auch Beleidigungen und Diffamierungen von dieser Pro-Homöopathie-Seite ausgesetzt, was möglicherweise am Mangel sachlicher Argumente liegt.

Gerade in der Frage des Klimawandels setzen die Grünen stark auf die Aussagen der Wissenschaft. Ihr Antrag ist bei den Grünen ja nicht unumstritten. Wie verträgt sich die ansonsten strikt wissenschaftliche Ausrichtung der Grünen mit der unwissenschaftlichen Homöopathie-Lobby in der eigenen Partei? Und wie hoch schätzen Sie den Anteil der Grünen-Delegierten, die womöglich den Pfad der Wissenschaft verlassen könnten, zugunsten des Verlusts alternativer Wählergruppen?

Demisch: Man darf in Sachen Wissenschaftlichkeit keine Rosinenpickerei betreiben. Wenn wir Grüne uns beim Thema Klimawandel auf die Wissenschaft beziehen, können wir sie beim Thema Homöopathie nicht einfach ignorieren. Das sehen in unseren Reihen glücklicherweise viele genauso, sodass unser Parteitagsantrag für ein Ende der Homöopathie-Sonderrechte sogar zu dem Antrag mit den meisten Unterschriften von Basismitgliedern in der gesamten Parteigeschichte geworden ist, was uns natürlich ehrt und anspornt. Zur Wahrheit gehört aber auch der nicht unerhebliche Widerstand von einigen Grünen gegen unseren Antrag. Bereits heute gibt es Gegeninitiativen, die versuchen, per Parteitagsbeschluss esoterische Positionen zu beziehen und sich somit klar gegen die Wissenschaft wenden. Wie die Abstimmung auf der Bundesdelegiertenkonferenz, dem Parteitag von uns Grünen, am Ende ausgehen wird, lässt sich derzeit schwer einschätzen. Wir vermuten ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen.

Sie haben als weitere Antragstellerin die Ärztin Dr. med. Paula Piechotta an Ihrer Seite. Man kann dem Antrag also nicht vorwerfen, dass fehlendes Fachwissen vorhanden sei. Auch auf den Chef der Kassenärztlichen Vereinigung können Sie inhaltlich zählen - wie vermutlich auf nahezu alle Ärzte in Deutschland. Wie erklären Sie es sich, dass die Homöopathie in Deutschland so lange umfangreiche Sonderrechte genießen konnte, und dass andere Parteien nicht längst eine ähnliche, verständliche Forderung formuliert haben?

Demisch: Dass wir - abgesehen von wenigen Leuten in Union, SPD und FDP - die einzigen sind, die sich so klar gegen die gesetzliche Förderung der Homöopathie aussprechen, finde ich ehrlich gesagt sehr erstaunlich. Erklären kann ich mir das nur mit fehlendem Mut und Angst vor Stimmenverlusten bei der nächsten Wahl. Wir hingegen zeigen mit unseren Forderungen, die Homöopathie nicht weiter von den Krankenkassen erstatten und auch nicht weiter auf vereinfachtem Wege als Arzneimittel in den Verkehr bringen zu lassen, wie wichtig uns eine klare Haltung und ein ernst gemeintes Bekenntnis zu Wissenschaft und Forschung ist. Mit Paula Piechotta, die neben mir als Sprecherin des Antrags fungiert, war es möglich, diese Forderungen sachlich und fachlich fundiert zu formulieren und somit eine Initiative für die Wahrnehmung von uns Grünen als Wissenschaftspartei zu starten. Viele Menschen außerhalb der Partei freut das. So haben wir schon Schreiben von unzähligen Personen bekommen, die sich im Falle der Annahme unseres Antrags aktiv in die Partei einbringen möchten.

Vor dem Hintergrund der guten Umfragewerte der Grünen ist ein baldige Regierungsverantwortung Ihrer Partei auf Bundesebene nicht unwahrscheinlich. Die CDU/CSU als möglicher Koalitionspartner greift das heiße Eisen der Homöophatie bisher nicht an. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Forderungen Ihres Antrags auch in einem möglichen Koalitionsvertrag ihren Platz finden?

Demisch: Nun, ob wir Grüne Teil der nächsten Bundesregierung werden und dann auch noch mit der Union koalieren, kann ich nicht beurteilen. Nehmen wir einmal an, es käme - wie Sie es beschreiben - zu Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU, so würde ich von unserer Verhandlungsgruppe natürlich erwarten, die Parteitagsbeschlüsse zu berücksichtigen. Sollte die Homöopathie in solchen Koalitionsverhandlungen zum Thema werden, müssten wir Grüne unsere Positionen demnach auch klar äußern. Da das Ganze derzeit aber nur auf Spekulationen beruht, kann ich dazu nur wenig sagen. Wir fokussieren uns jetzt lieber darauf, möglichst viele Leute in Politik und Gesellschaft von einer kritischen Haltung zur Homöopathie zu überzeugen. Darauf sollte der Gesetzgeber dann auch unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation reagieren.