Hungern für Medaillen? -Prominente Sportlerinnen packen über Teufelsfalle Bulimie aus

Die deutsche Kunstturnerin Kim Bui, Bronzemedaillengewinnerin bei den European Championships 2022 und nach 17 Jahren im Nationalkader gerade erst vom Spitzensport zurückgetreten, öffnet sich erstmals vor der Kamera und berichtet von ihrer eigenen früheren Bulimie-Erkrankung.  (Bild:  BR / Robert Grantner)
Die deutsche Kunstturnerin Kim Bui, Bronzemedaillengewinnerin bei den European Championships 2022 und nach 17 Jahren im Nationalkader gerade erst vom Spitzensport zurückgetreten, öffnet sich erstmals vor der Kamera und berichtet von ihrer eigenen früheren Bulimie-Erkrankung. (Bild: BR / Robert Grantner)

Ein ebenso mutiges wie wichtiges Stück Fernsehen: Die mehrfache Biathlon-Medaillengewinnerin Miriam Neureuther und die dreifache Olympiateilnehmerin im Kunstturnen Kim Bui, die ihre Karriere bei der EM 2022 in München beendete, greifen in der BR-Doku "Hungern für Gold" ein Tabuthema auf. Lohnt es sich, für eine Medaille krank zu werden?

"Hungern für Gold" - der Titel dieser TV-Doku lässt aufhorchen: Ex-Biathletin Miriam Neureuther (32) und Kim Bui (34), die 17 Jahre lang internationale Titel im Kunstturnen gewann, wollen mit ihrem sehr persönlichen Bericht, der ab 28. Februar in der ARD-Mediathek zu sehen ist und am Sonntag, 05. März, im Ersten gezeigt wird, vor einer Krankheit warnen, die schleichend kommt und besonders im Spitzensport verbreitet ist: der Essstörung, die sich auswachsen kann bis zur Bulimie. Fazit ihres umfassenden Berichts: Es lohnt sich nicht, für eine Medaille - und sei sie noch so schön - Gesundheit und Leben aufs Spiel zu setzen.

Beide Sportlerinnen bringen eigene Erfahrungen ein. Beide hungerten selbst für den Sport. Der Grat zwischen Selbstdisziplin und Sucht ist schmal. Kim Bui, die Stuttgarterin, deren Eltern aus Vietnam und Laos stammen, wurde erstmals mit 15 von ihrer Trainerin überzeugt, Gewicht zu verlieren, wie im Film erzählt wird. Sie übergab sich: "Es musste raus, ich durfte einfach nicht zunehmen", so erinnert sie sich. Von da an erbrach sie sich mehrmals am Tag. Am Ende sitzt sie nun mit ihren Eltern am Tisch, die sie fragt, warum sie sich nicht mehr um sie gekümmert hätten, als sie immer wieder zur Toilette ging.

Er wollte keinen Konflikt mit der Trainerin, sagt der Vater. Eine Antwort, die heutigen Gymnastik- und Kunstturn-Eltern sicher zur Warnung gereichen sollte. Später sorgte dann eine andere Trainerin dafür, dass Kim wieder herauskam aus der Teufelsfalle Bulimie, die mitunter den Tod, in jedem Fall aber eine Minderung der Knochendichte und das Ausbleiben der Periode und den vergeblichen Kinderwunsch bedeuten kann.

Eine strahlende Siegerin: Miriam Neureuther, damals noch Miriam Gössner, mit der Goldmedaille im Mannschafts-Wettbewerb bei der WM 2012 in Ruhpolding. (Bild:  Christian Manzoni / Getty Images)
Eine strahlende Siegerin: Miriam Neureuther, damals noch Miriam Gössner, mit der Goldmedaille im Mannschafts-Wettbewerb bei der WM 2012 in Ruhpolding. (Bild: Christian Manzoni / Getty Images)

In einer Spezialklinik wird das Essen mühsam wiedererlernt

Miriam Neureuther, die mehrfache Weltmeisterin in der Biathlon-Staffel, wurde nach der Heim-WM in Ruhpolding 2012 von einem Trainer gefragt, ob sie sich vorstellen könne, wie schnell sie "mit drei Kilo weniger" gewesen wäre. Verletzungen, erklärt sie nun, hätten sie dazu veranlasst, über ihren durch Hungern herbeigeführten Gewichtsverlust nachzudenken. "Es muss Vorbilder geben, die beweisen, dass es auch anders geht", sagt sie heute. Im Leistungszentrum für rhythmische Gymnastik bedankt sich eine Sportlerin für ihren Einsatz im Sinne der Gesundheit.

Sportlerinnen der sogenannten "ästhetischen Disziplinen" leben gefährlich. Es gibt ärztliche Kontrollen in den Leistungszentren. Ob sie ausreichen, stellt der Film infrage. Es gibt Fragebögen zu Essgewohnheiten, aber auch die Bestimmung des Körperfetts. Doch die Regeln des IOC werden noch immer umgangen. Nicht jede Ärztin ist so umsichtig wie die Tübinger Doktorin, die bei zahlreichen Athletinnen vor der Bestätigung der Wettkampftauglichkeit eine weitere Beobachtung empfiehlt.

Dass es auch anders geht, stellen im BR-Film mehrere Athletinnen unter Beweis. Eine Triathletin trug in ihrer Wachstumsphase schwere Schäden davon. Sie wiegt heute elf Kilo mehr als damals und läuft inzwischen neue Bestzeiten. Die norwegische Skispringerin Maren Lundby (28) verzichtete wegen ihrer Gewichtsprobleme auf die Olympischen Winterspiele in Peking, nachdem sie zuvor in Pyeongchang 2018 die Goldmedaille gewonnen hatte. Die im Skisport verbreitete Magersucht wollte sie nicht mehr mitmachen, kehrte aber zur WM 2023 als Siebte rechtzeitig ins norwegische Team zurück.

Und dann ist da auch Sven Hannawald. Der Allesgewinner der Vierschanzentournee von 2002, erkennt sich heute selbst nicht mehr. "Guck dir mal den Typ an, der ist ja magersüchtig!" - Das würde er als Zuschauer heute sagen. Geschickt aus der Affäre gezogen, wie es von einem ARD-Experten zu erwarten ist. Aber natürlich: Nicht alle, die knochig aussehen, sind auch süchtig. Die allerdings, die wegkommen wollen von der Sucht, an die sich der Stoffwechsel gewöhnt, haben es schwer, das macht dieser sehenswerte, alarmierende Beitrag deutlich.

Lasst euch von den Trainern nichts einreden - das ist die Botschaft des Films an junge, heranwachsende Menschen. In einer Spezialklinik für Magersüchtige gilt es, mühsam das Essen wieder zu erlernen, die Gewichtszunahme wird zum Kampf. Wie heißt es noch einmal am Ende? "Keine Medaille der Welt ist es wert, seinen Körper zu ruinieren, denn es gibt auch ein Leben nach dem Leistungssport."

"Hungern für Gold" ist seit 28. Februar in der ARD-Mediathek zu sehen. Das Erste zeigt den Film am Sonnag, 5. März, um 16.20 Uhr, im Rahmen der "Sportschau". Im BR-Fernsehen läuft die Doku als "DokThema" am Mittwoch, 8. März, um 22.00 Uhr.

Miriam Neureuther, Olympia-Silbermedaillengewinnerin und zweifache Biathlon-Mannschaftsweltmeisterin, warnt aus eigener Erfahrung vor Magersucht im Spitzensport.  (Bild: BR / Werner Schmidbauer)
Miriam Neureuther, Olympia-Silbermedaillengewinnerin und zweifache Biathlon-Mannschaftsweltmeisterin, warnt aus eigener Erfahrung vor Magersucht im Spitzensport. (Bild: BR / Werner Schmidbauer)