"Ich habe mich auf einmal unwillkommen gefühlt" - Schauspielerin Alessandra D’Averio im Brexit-Interview

Schauspielerin Alessandra D’Averio lebt seit zehn Jahren in London (Bild: Ori Jones)
Schauspielerin Alessandra D’Averio lebt seit zehn Jahren in London (Bild: Ori Jones)

Noch ein Jahr bis zum Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union – kurz Brexit genannt. Was passiert derzeit im Vereinigten Königreich? Wie fühlen sich Europäer („vom Kontinent“), die seit Jahren in Großbritannien leben und arbeiten? Als Englandkorrespondent habe ich vermehrt eine enorme Unsicherheit und Zerrissenheit der Briten wie auch der Expats gespürt. Um mehr zu erfahren, habe ich mich mit der Schauspielerin und Wahl-Londonerin Alessandra D’Averio (27) getroffen.

Aufgewachsen in Deutschland, den USA, Italien und Spanien, ausgebildet in Schauspiel, Gesang und Tanz, kam D’Averio 2007 nach London, wo sie ein Schauspielstudium absolvierte. Seither lebt und arbeitet sie in der Metropole. Bekanntheit erlangte sie etwa durch prominente Auftritte bei der romantischen Komödie “Finding Fatimah” (2017) und viele andere Engagements.

Für Yahoo Nachrichten habe ich die ehemalige Mainzerin zu ihren Eindrücken und Erfahrungen vor und nach der Brexit-Entscheidung befragt.

Wie haben Sie die Brexit-Entscheidung aufgenommen?

Alessandra D’Averio: Sehr schlecht. Ich bin sehr geschockt über die Entscheidung gewesen. Ich habe mich auf einmal als in England lebende Ausländerin unwillkommen gefühlt, als ich gemerkt habe, dass hauptsächlich Fremdenhass bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt hat.

Sie leben jetzt seit über zehn Jahren in England. Was hat sich in dieser Zeit in der Gesellschaft verändert?

Alessandra D’Averio: Nicht viel, um ehrlich zu sein. Die Mieten in London sind teurer geworden, was unter anderem damit zusammenhängt, dass ehemals verrufene Wohngegenden jetzt hip und trendy sind – was man hier als “Gentrification” bezeichnet. Das hat dann zur Folge, dass sich immer weniger Menschen eine Wohnung in Zone 1 oder 2 (Innenstadt) leisten können und praktisch dazu gezwungen werden, in die Außenbezirke zu ziehen. Als ich 2007 nach London kam, war ich zunächst Studentin hier und konnte mir keine so teure Unterkunft leisten. Ich habe es aber trotzdem geschafft, ein Zimmer für nur 80 Pfund pro Woche in Earl’s Court (Kensington – eine der besten Wohngegenden Londons) zu finden. Das wurde dann von Jahr zu Jahr immer teurer und mittlerweile zahle ich mehr als das Doppelte für eine Einzimmerwohnung (Studio) am Rand von Zone 3 im Norden.

Sie sind Schauspielerin. Wie haben Sie und Ihre Kollegen die letzten Monate erfahren? Als Schauspieler muss man sich ja in andere Personen hineinversetzen können.

Alessandra D’Averio: Der Großteil meiner Freunde und Bekannten hat gegen den Brexit gestimmt. Daher sind jetzt alle ziemlich niedergeschlagen, was das Thema angeht und wir fragen uns alle, was die Zukunft so bringen wird. Vor allem die Filmindustrie ist ja auf ihre internationalen Verbindungen stark angewiesen. Wir hoffen, dass sich die Drehbedingungen in Bezug auf ausländische Filmproduktionen mit Drehort Vereinigtes Königreich nicht verschlechtern werden – zum Beispiel im Hinblick auf Visa.

An eine Abkehr vom Brexit glauben nur noch Wenige (Bild: Tobias Huch)
An eine Abkehr vom Brexit glauben nur noch Wenige (Bild: Tobias Huch)

Wie ist die aktuelle Stimmung EU-Ausländern gegenüber? Gibt es einen Unterschied in der Behandlung der Länder, zum Beispiel Polen?

Alessandra D’Averio: Ich denke es gibt da definitiv einen Unterschied. Ich persönlich habe es glücklicherweise noch nicht am eigenen Leib erfahren, aber ich habe von vielen vor allem zum Zeitpunkt des Referendums gehört, dass sie mit Sprüchen wie “Geh doch in dein eigenes Land zurück!” belästigt worden sind. Bei Twitter haben auch viele über ihre Erfahrungen gepostet, daher weiß ich, dass Leute zum Teil als “Polish vermin” (polnisches Ungeziefer) bezeichnet wurden. Und ich denke, dass manche Nationen mehr Hass abbekommen als andere. Vor allem allerdings Immigranten aus dem Nahen Osten. Als Deutsche mit britischem Akzent und italienischen Wurzeln habe ich da Glück, zu mir sind die Leute hier meistens sehr freundlich. Viele finden es sogar beneidenswert, dass ich multilingual aufgewachsen bin und mehrere Sprachen fließend spreche – Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Französisch. Neben Latein als Basis einer humanistischen Schulbildung.

Was ändert sich aktuell? Haben Bekannte oder Sie Angst davor, aus UK ausgewiesen zu werden?

Alessandra D’Averio: Die Ungewissheit der ganzen Sache gegenüber macht sich definitiv bemerkbar. Ich habe mich kurz nach der Entscheidung direkt darum bemüht, ein “permanent residency certificate” zu bekommen. Einige meiner Freunde haben sich auch einbürgern lassen. Ich spiele ebenfalls mit dem Gedanken, britische Staatsbürgerin zu werden.

Glauben Sie noch an einen Meinungswechsel und vielleicht an eine neue Abstimmung, wie sie kürzlich der Liverpool-Trainer Jürgen Klopp gefordert hat?

Alessandra D’Averio: Anfangs habe ich noch daran geglaubt und diverse Petitionen zu dem Thema unterschrieben. Allerdings rückt der Zeitpunkt nun immer näher und es sieht nicht so aus, dass Theresa May einen Rückzug machen wird.

Wissen die Briten eigentlich, worüber sie dort abgestimmt haben oder war und ist die Debatte zu sehr von Populismus beeinflusst?

Alessandra D’Averio: Wie schon gesagt, haben 99% meiner Freunde und Bekannten gegen den Brexit gestimmt. Die sind sich alle darüber bewusst, was ein Austritt aus der EU heißt und schauen diesem mit Schrecken entgegen. Ich denke, dass der Großteil der Menschen, die für den Brexit gestimmt haben, sich vor allem von diverser Wahlpropaganda haben leiten lassen, zum Beispiel das berühmte “Argument” von UKIP – dass mit dem EU-Austritt mehr Geld für den National Health Service (NHS) zur Verfügung stände. Von 350 Millionen Pfund war damals laut Nigel Farages Propaganda-Postern die Rede. Wenn man sich von solchen “Argumenten” leiten lässt ohne die Dinge zu hinterfragen und sich zu informieren, über was man da eigentlich abstimmt, kommt es dann natürlich zu einem kalten Erwachen. Ich denke, dass die Wenigsten, die für den EU-Austritt gestimmt haben, sich eigentlich im Klaren darüber waren, was das für Folgen haben würde.

Wie sehen Sie die Zukunft der Briten nach dem Brexit? Ist UK dann noch attraktiv für Ausländer?

Alessandra D’Averio: Ich denke, dass Großbritannien immer seinen Reiz haben wird. Menschen kommen aus den verschiedensten Gründen hierher. Als Urlaubsziel wird es sicherlich nie an Reiz verlieren. Was für Folgen das Ganze für die Wirtschaft und den Handel haben wird, wird sich dann bald herausstellen. Was ich schade finde, ist, dass es für EU-Ausländer nun um einiges schwieriger werden wird, hier zu studieren und sich beruflich zu etablieren – so wie ich das damals gemacht habe.

Bleiben Sie in UK oder bereiten Sie sich schon auf einen Plan B vor?

Alessandra D’Averio: Ich denke nicht, dass ich als “permanent resident” dazu gezwungen werde, das Land zu verlassen. Und wie gesagt, werde ich mich vielleicht auch bald einbürgern lassen. Daher bleibe ich vorerst hier.