Mit ihm stirbt ein Stück Bundesliga-Geschichte
Einen Tag nach dem Tod von Bernd Hölzenbein betrauert der deutsche Fußball eine weitere prägende Figur der Bundesliga-Geschichte: Gerd Roggensack ist am Mittwoch verstorben.
„Zick-Zack Roggensack“, wie der frühere Flügelstürmer einst gerufen wurde, erreichte als Fußballer nicht dieselben Höhen wie Weltmeister und Eintracht-Frankfurt-Ikone Hölzenbein.
Aber auch Roggensack hinterließ über Jahrzehnte hinweg viele Spuren: Als Spieler und Trainer war er am sportlichen Aufstieg diverser Meister-Mannschaften mehrerer Generationen beteiligt - und auch im mit Abstand größten Skandal der Liga-Historie spielte er eine nicht unwesentliche Rolle.
SPORT1 zeichnet ein bewegtes Fußball-Leben nach.
Meister mit dem BVB im Jahr der Bundesliga-Gründung
Roggensack, am 5. Oktober 1941, inmitten des 2. Weltkriegs, in Güstrow bei Rostock geboren, siedelte in jungen Jahren nach Nordrhein-Westfalen über, wo seine Fußball-Karriere begann.
Zu Beginn der Sechziger wurden sowohl der FC Schalke 04 als auch Borussia Dortmund auf Roggensack aufmerksam. Weil S04-Coach Fritz Langner Roggensack beim Probetraining mit Medizinbällen und Laufschinderei verschreckte, heuerte er beim BVB an - und wurde Teil der letzten Dortmunder Meistermannschaft vor der Bundesliga-Gründung.
Roggensack spielte bei der Borussia an der Seite von Klubikonen wie Timo Konietzka - später Schütze des allerersten Bundesliga-Tors -, Reinhold Wosab und Lothar Emmerich - Namensgeber des BVB-Maskottchens Emma. Gegen die starke Offensivkonkurrenz konnte er sich jedoch nicht durchsetzen und ging einen Schritt zurück in die Regionalliga West zu Arminia Bielefeld.
In der damals zweithöchsten Spielklasse schlug Roggensack voll ein: Mit 20 Toren in seiner ersten Saison wurde er zum Liebling der Fans, die seine trickreichen Dribblings mit dem Ruf „Zick-Zack Roggensack“ anfeuerten und feierten.
Im Jahr 1967 feierte Roggensack nach einem Wechsel zum 1. FC Kaiserslautern sein Bundesliga-Debüt, war unter Trainer Egon Piechaczek Leistungsträger. Mit zehn Toren – gekrönt von einem Hattrick beim 3:0 gegen 1860 München – spielte sich Roggensack in den erweiterten Kreis der Nationalmannschaft. Trotz des gelungenen Klassenerhalts wechselte Roggensack nach einem Jahr zurück zur Arminia, wo ebenfalls Piechaczek übernahm. 1970 gelang Bielefeld der Sprung in Liga 1, ins Zentrum einer unrühmlichen Ära.
Im Zentrum des größten Bundesliga-Skandals
Als Roggensack mit Bielefeld in die Bundesliga zurückkehrte, grassierten dort skandalöse Machenschaften: Mehrere Klubs verstrickten sich im Abstiegskampf in korrupte Spielmanipulationen, um den Zugriff auf die begehrten Millionen-Fleischtöpfe des frisch etablierten Oberhauses zu behalten.
Die Unkultur war damals endemisch, begünstigt durch das große Etat-Gefälle zwischen Bundes- und Regionalliga und damals vergleichsweise niedrige Spielergehälter, die durch Lizenzregelungen gedeckelt wurden und damit der Gier nach Extraverdiensten Tür und Tor öffneten. Um die 100 Spieler - teils sehr prominente - sollen beteiligt gewesen sein, das Unrechtsbewusstsein war gering.
„Sieben Achtel der Saisonspiele liefen normal“, erinnerte sich Roggensack später im Stern an die Zustände: „Wenn es dann um den Abstieg ging, reisten Vorstände mit Geldkoffern durch die Gegend.“
Die Arminia und ihr Boss - der hauptberufliche Buchhändler Wilhelm Stute - gehörten zu den Teams, die sich den Klassenerhalt erkaufen wollten, bezuschusst vom Bauunternehmer Rupert Schreiner, der sich als Gegenleistung Aufträge im Arminia-Umfeld zusichern ließ. Roggensack war der Siegtorschütze zweier verschobener Spiele gegen Schalke 04 und Hertha BSC am letzten Spieltag, die der Arminia den Klassenerhalt sicherten.
Roggensack - der in die Mauschelei involviert war - erinnerte sich später, dass das Schurkenstück fast schiefgegangen wäre, weil Schalkes Torwart Dieter Burdenski nicht eingeweiht war: „Der hielt bis zehn Minuten vor Schluss wie der Teufel. Dann machte ich das 1:0. Dadurch sind wir nicht abgestiegen.“
Einen Tag später jedoch, am 6. Juni 1971, platzte die Bombe: Horst-Gregorio Canellas, Präsident des im Abstiegskampf unterlegenen Konkurrenten Kickers Offenbach, ließ die Machenschaften - in die er auch selbst verstrickt war - auffliegen. Auf filmreife Art und Weise.
Filmreife Skandal-Enthüllung bei Geburtstagsparty
Bei der Feier seines 50. Geburtstags spielte der hauptberufliche Südfrüchtehändler seinen Gästen - unter ihnen Bundestrainer Helmut Schön und mehrere Journalisten - heimlich aufgenommene Tonbandaufzeichnungen vor: Zu hören war, wie der 1999 verstorbene Canellas mit mehreren Vertretern anderer Klubs Spielverschiebungen aushandelte, unter ihnen die Nationalspieler Manfred Manglitz, Torwart des 1. FC Köln, und Bernd Patzke von Hertha BSC.
Der spektakuläre Knall setzte einen Enthüllungskreislauf in Gang, an dessen Ende der DFB Geldzahlungen von über 1,1 Millionen D-Mark ermittelte. Bielefeld wurde unter der Federführung von Chefankläger Hans Kindermann zum Zwangsabstieg verurteilt, diverse prominente Spieler der Ära - unter ihnen Manglitz, Klaus Fichtel, Klaus Fischer und Reinhard „Stan“ Libuda - zu lebenslangen Sperren (die später aufgehoben wurden).
Roggensack entging einer Strafe, der Zwangsabstieg erwies sich allerdings als Schlusspunkt seiner Karriere als Bundesliga-Spieler. Später erklärte er trotzdem, dass ihn die Aufklärung des Skandals „erleichtert“ hätte.
Beim FCK verzweifelt an Wolfram Wuttke
Nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn und einem beruflichen Zwischenspiel als Textilkaufmann etablierte sich Roggensack als Trainer. Engagements bei Bielefeld und beim damaligen Zweitligisten Eintracht Braunschweig endeten mit Abstiegen, danach allerdings polierte Roggensack seinen Ruf auf, als er Wattenscheid 09 fast ins Oberhaus führte. Im Sommer 1989 engagierte ihn Bundesligist Kaiserslautern.
Roggensack führte das legendäre Team mit Keeper Gerry Ehrmann, Spielmacher Wolfram Wuttke und dem Sturmduo Stefan Kuntz und Bruno Labbadia zwischenzeitlich auf Platz 1 und ins Halbfinale des DFB-Pokals.
Auf den vielversprechenden Start folgte jedoch eine Misserfolgsserie in der Liga, begleitet von atmosphärischen Turbulenzen. Immer wieder im Zentrum stand der 2015 früh verstorbene Wuttke, der wegen einer Feier-Eskapade auf dem Dürkheimer Wurstmarkt und anderer Disziplinarprobleme mehrfach suspendiert und schließlich zu Espanol Barcelona abgeschoben wurde.
Kurz darauf wurde auch Roggensack entlassen, zu den großen Erfolgen der goldenen FCK-Ära - dem Pokalsieg 1990, dem Meistertitel 1991 - führte die „Roten Teufel“ Nachfolger Kalli Feldkamp.
Letzter Karriere-Höhepunkt mit Wolfsburg im DFB-Pokal
Für Roggensack folgten weitere Zweitliga-Engagements bei Preußen Münster, Fortuna Köln und dem VfL Wolfsburg, wo Roggensack seinen letzten großen Karriere-Höhepunkt erlebte.
Roggensack, der die „Wölfe“ im April 1995 von Eckhard Krautzun erbte, führte das Team mit Regisseur Claus-Peter „Pelé“ Wollitz zum bis dato größten Erfolg der Klubgeschichte.
Unter Roggensacks Führung bezwang Wolfsburg im Halbfinale des DFB-Pokals durch ein Tor von Sturm-Veteran Siggi Reich den 1. FC Köln mit 1:0 und löste das Ticket für ein Duell mit Borussia Mönchengladbach im Berliner Olympiastadion.
Die Krönung blieb Wolfsburg und Roggensack verwehrt, im Finale ließ sich die starbesetzte Gladbach-Offensive den Sieg nicht nehmen - 3:0 hieß es nach Toren von Martin Dahlin, Stefan Effenberg und Heiko Herrlich.
Nach der Entlassung in Wolfsburg war Roggensack nur noch als Amateur- und Jugendcoach tätig, was ihm nach eigenen Angaben nichts ausmachte.
Der Profibetrieb sei zuletzt nicht mehr seine Welt gewesen, sagte Roggensack - Vater des ebenfalls viele Jahre als Amateurcoach aktiven Oliver Roggensack - 2005 dem Stern: „Es wird nicht mehr hart genug trainiert, die Spieler denken an Werbeverträge und Interviews. Am liebsten hätte ich immer nur als Jugend-Trainer gearbeitet.“
Roggensack starb am Mittwoch nach langer, schwerer Krankheit im Kreise seiner Familie. Er wurde 82 Jahre alt.