"Im Westen nichts Neues": Fast unerträglich - und genau deshalb so gut

Es ist das dritte Mal, dass Erich Maria Remarques Roman "Im Westen nichts Neues" aus dem Jahr 1929 verfilmt wurde und dennoch ist auch diese Version von Regisseur Edward Berger mitreißend, erschreckend und vor allem brandaktuell. Nicht ohne Grund hat der Film jetzt deutsche Oscar-Geschichte geschrieben.

Im Westen nichts Neues
Felix Kammerer kämpft als Paul Bäumler in "Im Westen nichts Neues". (Bild: Reiner Bajo)

Es ist das Jahr 1917, der erste Weltkrieg tobt, unzählige tote Soldaten werden behelfsweise in Massengräber verscharrt, anonym, dreckig und wenig heldenhaft.

Doch davon ahnen der 17-jährige Paul Bäumler und seine Freunde Albert und Müller noch nichts, als sie sich, motiviert von den patriotischen Reden ihres Lehrers, freiwillig zum Kriegsdienst melden. Die jungen Männer werden an die Westfront geschickt und machen sich fröhlich singend auf den Weg dorthin, ein aufgeregtes Lächeln auf den Lippen und den Kopf voller Zukunftsvisionen - Träume von ihrer Rückkehr zu Freunden und Familie als siegreiche, deutsche Helden.

Lächelnd in ihr Verderben

Im Westen nichts Neues
Noch ahnen die jungen Männer nicht, was sie an der Front erwartet. (Bild: Reiner Bajo)

Es sind Szenen wie diese, die "Im Westen nichts Neues" so effektiv machen, denn sie zeigen ungeschönt die Grausamkeit des Krieges. Als Zuschauer*in im Jahr 2022 weiß man, dass mehr als zwei Millionen deutsche Soldaten im Krieg gefallen sind. Man sieht diese jungen Männer, fast noch Kinder, die offensichtlich keine Ahnung von dem haben, was sie erwartet. Die von Menschen, von ihren Lehrern, die es besser wissen sollten, die sie schützen und ihnen helfen sollten, geradewegs in den Tod geschickt werden - und ihrem unausweichlichem Schicksal auch noch freudig lächelnd entgegen schauen.

Natürlich dauert es aber nicht lange, bis die Realität über die Freunde hinein bricht - und das jähe Erwachen ist für den*die Zuschauer*in fast genauso brutal, wie für die jungen Soldaten selber inszeniert. Es ist laut, unübersichtlich und ein Einschlag folgt auf den nächsten, ohne einen Moment zum Durchatmen. Als es scheinbar vorbei ist, wird es nur noch schlimmer. Es gibt kein Entkommen für Paul Bäumler aus diesem Krieg, genauso wie es für den*die Zuschauer*in kein Entkommen vor der Härte dieses Films gibt.

Regisseur Edward Berger schafft es geschickt, das Schicksal des jungen Mannes mit dem Publikum zu verbinden. Wir erleben den ersten Weltkrieg in all seiner Grausamkeit und Brutalität hautnah mit. Und als Zuschauer*in kann man nicht anders als automatisch weiter zu denken. Auch wenn es hier um den ersten Weltkrieg geht, werden sofort Assoziationen an den Irak, an Syrien, an die Ukraine geweckt. 1917 starben deutsche Soldaten an der Westfront, 2022 starben und sterben noch immer ukrainische Soldaten in ihrem Land - "Im Westen nicht Neues" macht trotz seines historischen Hintergrunds auch die Schlachtfelder in der Ukraine plötzlich unmittelbar erlebbar und den Film dadurch so aktuell.

Keine Momente der Pause

Im Westen nichts Neues
Graue Tristesse ist vorherrschend bei "Im Westen nichts Neues". (Bild: Reiner Bajo)

Unterstützt durch die musikalische Untermalung von Lars Ginzel, Frank Kruse und Viktor Prášil und die brillante schauspielerische Leistung des österreichischen Schauspielers Felix Kammerer wird "Im Westen nichts Neues" zu einem Erlebnis - sehr unbequem, aber auch sehr eindrucksvoll.

Dazu kommt die bereits erwähnte Tatsache, dass der*die Zuschauer*in mehr weiß, als Paul Bäumler 1917. Mehr als 100 Jahre später wissen wir, wie der erste Weltkrieg angegangen ist. Und für Geschichtsverdrossene macht der Film selbst mehr als deutlich, dass es hier kein Happy End geben wird. Sei es durch die Komposition, das Unheil verkündende, dröhnende musikalische Thema oder das Dauergrau der Szenerie - Als Zuschauer*in wartet man nur darauf, dass die nächste Katastrophe kommt, der nächste Angriff, der nächste Tod.

Immer wieder gibt es auch eigentlich schöne Szenen, die die Kameradschaft der jungen Männer zeigen, wie sich ihre Freundschaft entwickelt, wie sie gemeinsam Spaß haben, lachen oder Alltägliches machen, wie Kartoffeln schälen. Aber im Hinterkopf bleibt dabei stets der Gedanke, dass immer noch Krieg ist. Dass jeden Moment wieder etwas passieren könnte, das die Idylle zerstört - und grausam, wie Krieg nun einmal ist, passiert auch genau das immer wieder.

Im Westen nichts Neues
Es gibt auch Alltag - doch der Krieg bleibt stets im Hinterkopf. (Bild: Reiner Bajo)

Deprimierend, brutal und geradezu unerträglich

"Im Westen nichts Neues" ist 148 Minuten Anspannung, Trostlosigkeit und Stress. Der Film ist deprimierend, brutal und streckenweise geradezu unerträglich. Und genau deshalb wurde er jetzt bei den 95. Academy Awards mit insgesamt vier Oscars ausgezeichnet, unter anderem für den besten nicht-englischsprachigen Film.

Er ist einer der besten Kriegsfilme der letzten Jahre. An Krieg ist nichts schön, warum sollte dann ein Film darüber schön sein?

"Im Westen nichts Neues" läuft ab dem 29. September 2022 bundesweit in ausgewählten Kinos. Ab dem 28. Oktober 2022 läuft er außerdem weltweit auf Netflix. Regie führte Edward Berger, die Hauptrollen spielen Felix Kämmerer, Albrecht Schuch, Aaron Hilmer und Edin Hasanović. In weiteren Rollen sind unter anderem Daniel Brühl, der auch als Produzent fungierte, und Devid Striesow zu sehen.

Hier ist der Teaser zum Film: