Ingo Zamperoni: "Pressefreiheit geht uns alle an"

"Journalismus ist keine Blase", sagt Ingo Zamperoni im Interview. "Pressefreiheit muss auch gelebt werden - von Journalistinnen und Journalisten, aber auch der ganzen Gesellschaft."  (Bild: NDR/Christian Spielmann)
"Journalismus ist keine Blase", sagt Ingo Zamperoni im Interview. "Pressefreiheit muss auch gelebt werden - von Journalistinnen und Journalisten, aber auch der ganzen Gesellschaft." (Bild: NDR/Christian Spielmann)

Die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" schlägt Alarm: Weltweit steht es nicht gut um die freie Presse. Ingo Zamperoni, der sich im Rahmen einer NDR-Reportage auf die Suche nach Lösungen begeben hat, hält die Entwicklung für ein gesamtgesellschaftliches Problem: "Journalismus ist keine Blase."

Nicht in allen Ländern ist Pressefreiheit selbstverständlich. Weit muss man allerdings nicht blicken, um eine Bedrohung der freien Presse erkennen zu können: Während in EU-Staaten wie Ungarn und Polen staatliche Zensur längst Standard ist, häufen sich in Deutschland die Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten. Im NDR geht "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni nun der Frage nach, was nötig ist, um die Pressefreiheit - und damit auch unsere Demokratie - zu wahren. Die von dem 49-Jährigen moderierte Reportage mit dem Titel "Angriffe, Drohungen, Zensur - Kampf um die Pressefreiheit" (Montag, 11. September, 11.30 Uhr, live im Stream auf NDR.de, und Dienstag, 12. September, 00.00 Uhr, im linearen Programm) bildet den Auftakt zur "1. Hamburger Woche der Pressefreiheit" (11. bis 15. September).

teleschau: Deutschland ist in diesem Jahr in der Rangliste der Pressefreiheit das dritte Jahr in Folge abgestiegen. Werten Sie das als Warnsignal oder ist der Diskurs schon unwiederbringlich kaputt?

Ingo Zamperoni: Der Diskurs sollte nie aufgegeben werden! Aber ein Warnsignal ist es natürlich. Deutschland ist in der Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" von Platz 16 auf Platz 21 abgerutscht, weil die Angriffe und Drohungen gegenüber Journalistinnen und Journalisten zugenommen haben. So scheint das Wort von der sogenannten "Lügenpresse" in gewissen Kreisen zu einer Legitimation geworden zu sein, um Berichterstatter am Rande von Demonstrationen sogar körperlich angreifen zu können.

teleschau: Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Arbeit der Presseleute aus?

Zamperoni: Viele von ihnen gehen nur noch mit Sicherheitspersonal zu bestimmten Veranstaltungen, um darüber zu berichten. Manche werden auf öffentlichen Veranstaltungen sogar namentlich genannt und an den Pranger gestellt. Daraus folgern bestimmte Kreise leider, dass man gegen die genannten Personen pöbeln, sie bedrohen oder sogar angreifen kann. Ich habe daher größten Respekt gerade vor den Kolleginnen und Kollegen in Regionalmedien, die von Menschen aus der Nachbarschaft wegen ihrer kritischen Berichte unter Druck gesetzt werden und nicht einfach wegfahren können wie Reporterinnen und Reporter überregionaler Medien. Trotzdem lassen sie sich selten einschüchtern und bleiben kritisch gegenüber denjenigen, die sie bedrohen. Das verdient großen Respekt.

"Soziale Medien spielen bei der Radikalisierung von Meinungen eine zentrale Rolle", erklärt "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni. (Bild: NDR/Hendrik Lüders)
"Soziale Medien spielen bei der Radikalisierung von Meinungen eine zentrale Rolle", erklärt "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni. (Bild: NDR/Hendrik Lüders)

"Viele nutzen die Pressefreiheit in Deutschland, um damit Falschinformationen zu verbreiten"

teleschau: Welche Rolle spielten soziale Medien während Ihrer Recherche? Haben Sie festgestellt, dass Plattformen wie Twitter (X) und Facebook als Katalysatoren für Aggressionen gegenüber Journalistinnen und Journalisten dienen?

Zamperoni: Soziale Medien spielen bei der Radikalisierung von Meinungen eine zentrale Rolle. Allerdings sollten wir die Nutzung verschiedener Plattformen unterscheiden. Twitter, also heute "X", wird in Deutschland vor allem von Politikern, Multiplikatoren und Menschen genutzt, die Diskussionen anstoßen oder weitertreiben wollen, also auch von Journalistinnen und Journalisten. Aber natürlich funktioniert auch dort Zuspitzung und Polarisierung besonders gut, da das Format grundsätzlich nicht viel Raum für breite Differenzierung bietet.

teleschau: Inwiefern unterscheidet sich dieses Nutzungsverhalten von dem auf Facebook oder gar Telegram?

Zamperoni: Bei der Verbreitung von Hass, auch gegen Journalistinnen und Journalisten, spielen in Deutschland offenbar Facebook und Telegram eine größere Rolle. Dabei ist Facebook eher "männlich geprägt" - und zu einer Art "Hassmaschine" geworden - anders als Instagram, das zwar auch zu Mark Zuckerbergs Meta Konzern gehört, aber doch eher von Frauen genutzt wird. Auch der Dienst Telegram, der in Russland entwickelt wurde, gehört zu den beliebtesten Messengern in Deutschland. Wie auch bei Facebook kann Telegram für Fake-News missbraucht werden, wenn etwa Bots Propaganda und Verschwörungserzählungen verbreiten. Wir wollen die Meinungsfreiheit und Pressefreiheit nicht einschränken. Leider gilt auch: Viele nutzen die Pressefreiheit in Deutschland, um damit Falschinformationen zu verbreiten.

teleschau: Es gibt, im Hinblick auf Nachrichtenverbreitung, immer lauter werdende Rufe nach strengeren Regulierungen für Tech-Giganten wie Meta und Google. Glauben Sie, dass solch eine Regulierung die Pressefreiheit fördern oder hindern würde?

Zamperoni: Wir haben in Deutschland seit 2017 das Netzdurchsetzungsgesetz, das sogenannte NetzDG. Es verpflichtet Plattformbetreiber, Hassrede, strafbare Falschinformationen und Beleidigungen zu löschen. Anbieter sozialer Netzwerke sollen rechtswidrige Inhalte prüfen, entfernen oder den Zugang zu ihnen sperren. Es gibt also Regulierungsmöglichkeiten.

teleschau: Wie effektiv ist das NetzDG in der Praxis?

Zamperoni: Das Problem ist, dass viele gar nicht wissen, wo und wie sie strafbare Inhalte anzeigen können. Und bis die Betreiber geprüft und gelöscht haben, sind viele neue rechtswidrige Inhalte ins Netz gekübelt worden. Anspruch und Wirklichkeit klaffen noch weit auseinander. Ein weiteres Problem: Kritische Kommentare werden gleich mit gelöscht. Wer übrigens nach strengeren Regulierungen ruft, sollte sich darüber im Klaren sein, dass damit auch die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt werden könnte. Es ist also ein Dilemma.

"Angriffe, Drohungen, Zensur - Kampf um die Pressefreiheit" lautet der Titel einer von Ingo Zamperoni moderierten Reportage, die im Rahmen der "1. Hamburger Woche der Pressefreiheit" im NDR (Dienstag, 12. September, 00.00 Uhr) zu sehen ist. (Bild: NDR/Christian Spielmann)
"Angriffe, Drohungen, Zensur - Kampf um die Pressefreiheit" lautet der Titel einer von Ingo Zamperoni moderierten Reportage, die im Rahmen der "1. Hamburger Woche der Pressefreiheit" im NDR (Dienstag, 12. September, 00.00 Uhr) zu sehen ist. (Bild: NDR/Christian Spielmann)

"Äquidistanz zur Lüge oder zum Hass darf es nicht geben"

teleschau: Ihre Sendung thematisiert auch die Situation in EU-Ländern wie Ungarn und Polen. Wie kann die Europäische Union Ihrer Einschätzung nach effektiv auf solche Einschränkungen der Pressefreiheit reagieren?

Zamperoni: Das ist eigentlich eine Frage an Annalena Baerbock, unsere Außenministerin. Sie kann diplomatische Gespräche führen, um bei den Regierungen in Warschau und Budapest auf eine größere Medienvielfalt zu drängen. Denn in diesen Ländern dominieren inzwischen staatlich gelenkte Medien. Unabhängige Zeitungen und TV-Sender mussten in Ungarn schließen oder wurden einfach abgewickelt. In Budapest gibt es zum Beispiel eine staatliche Institution, die Sender, Zeitungen und Online-Portale kontrollieren soll. Da wird auch zensiert. Aber auch was in Italien unter der neuen Regierung passiert, sollten wir genau beobachten.

teleschau: Es heißt, die Feder sei mächtiger als das Schwert. Glauben Sie, dass dieser Spruch in der heutigen Zeit noch Gültigkeit hat? Wie können Journalisten ihre "Feder" am effektivsten einsetzen, um gegen Unterdrückung und Zensur anzukämpfen?

Zamperoni: Journalistinnen und Journalisten sollten weiterhin kritisch bleiben und Politikerinnen und Politiker, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen mit Distanz begleiten. Der berühmte Satz von Hanns Joachim Friedrichs, meinem Vorgänger bei den "Tagesthemen", ist für mich immer noch aktuell. Als Journalist sollte man "sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten". Er meinte damit, dass Journalistinnen und Journalisten keine Aktivisten sein sollten, ihre "Feder" nicht für oder gegen eine Sache oder Angelegenheit missbrauchen sollten. Gleichwohl sah er sicherlich aber keinen Widerspruch darin, Menschenverachtendes oder Verfassungsfeindliches deutlich als genau das anzuprangern. Denn Äquidistanz zur Lüge oder zum Hass darf es nicht geben. Und noch eines: Wir sollten auch das persönliche Gespräch mit unseren Kritikern suchen.

teleschau: So mancher Kritiker verweigert sich dem Diskurs jedoch vollständig.

Zamperoni: Klar, das ist nicht mit jedem möglich. Aber es gibt sehr viele Menschen, die zweifeln und noch für ein Gespräch und die Auseinandersetzung erreichbar sind. Mit denen sollten wir häufiger diskutieren. Journalismus ist keine Blase. Pressefreiheit muss auch gelebt werden - von Journalistinnen und Journalisten, aber auch der ganzen Gesellschaft. Pressefreiheit geht uns alle an, denn sie ist eine Säule einer Demokratie.

Ingo Zamperoni plädiert dafür, als Journalisten auch "das persönliche Gespräch mit unseren Kritikern" zu suchen. (Bild: NDR/Hendrik Lüders)
Ingo Zamperoni plädiert dafür, als Journalisten auch "das persönliche Gespräch mit unseren Kritikern" zu suchen. (Bild: NDR/Hendrik Lüders)