Ivanna Sakhno: "Als Ukrainerin ist es für mich unmöglich, unpolitisch zu sein"

Schon seit Jahren setzt sich Ivanna Sakhno für die Ukraine ein: "Ich bin einfach nur ein Mensch, der sich um seine Heimat sorgt." (Bild: 2022 Getty Images/Vittorio Zunino Celotto)
Schon seit Jahren setzt sich Ivanna Sakhno für die Ukraine ein: "Ich bin einfach nur ein Mensch, der sich um seine Heimat sorgt." (Bild: 2022 Getty Images/Vittorio Zunino Celotto)

Im Alter von 13 Jahren ließ Ivanna Sakhno die Ukraine hinter sich, um auch international als Schauspielerin Fuß zu fassen. Heute setzt sich die Hauptdarstellerin einer neuen ZDF-Serie für ihr Heimatland ein - denn "Stille", so erklärt die 25-Jährige im Interview, sei häufig "schlichtweg Ignoranz".

Vinca ist ein Mythos. In einer schicksalshaften Nacht in den 90-ern verschwand die charismatische Schülerin einer internationalen Schule an der Côte d'Azur spurlos. Auch 25 Jahre später bleibt ungeklärt, was mit ihr geschah - auch Thomas Degalais (Ioan Gruffudd), heute ein erfolgreicher Autor und damals Vincas Jugendliebe, scheint nichts über den Verbleib des Mädchens zu wissen. Gespielt wird Vinca, die rätselhafte Protagonistin der international co-produzierten Miniserie "Das Mädchen und die Nacht", von Ivanna Sakhno ("Bad Spies"). Hierzulande ist die 1997 in Kiew geborene Schauspielerin ab 13. August (22.15 Uhr) im ZDF und bereits ab 4. August in der ZDF Mediathek in dem sechsteiligen Drama zu sehen. Nur wenig später feiert mit "Star Wars: Ahsoka" (ab 23. August bei Disney+) eine weitere Serie mit Sakhno Premiere. Im Interview spricht die Tochter zweier ukrainischer Filmemacher über ihren ungewöhnlichen Weg nach Hollywood, aber auch über den Krieg in ihrem Heimatland.

teleschau: Sie engagieren sich seit Jahren politisch. Finden Sie es wichtig, Ihre Plattform als Schauspielerin auch auf diese Weise zu nutzen?

Ivanna Sakhno: Das ist jedem selbst überlassen. Ich jedoch habe keine Wahl: Als Ukrainerin ist es für mich unmöglich, unpolitisch zu sein. Ich bin einfach nur ein Mensch, der sich um seine Heimat sorgt. Mir ist es wichtig, auf all den Schmerz auf der Welt aufmerksam zu machen. Auch auf den, der den Menschen in der Ukraine zugefügt wird. Manchmal ist Stille auch schlichtweg Ignoranz, vor allem jetzt.

teleschau: Sind die Menschen außerhalb der Ukraine zu still?

Sakhno: Ich glaube, die Welt hat sich an den Krieg in der Ukraine gewöhnt. Das geschieht immer, wenn die Menschen angsteinflößende Dinge über einen langen Zeitraum in den Nachrichten sehen. Eine solche Entwicklung ist aber gefährlich, denn die Lage vor Ort ist nicht weniger schrecklich geworden. Es ist immer noch wichtig, darüber zu sprechen. Die Menschen in der Ukraine sind dankbar für jegliche Unterstützung, aber sie brauchen sie jetzt. Wenn in einigen Jahren Filme gedreht werden über die Helden des Krieges, ist es für diese vielleicht schon zu spät. Mein Vater etwa dokumentiert den Krieg direkt an der Front. Das ist seine Waffe als Filmemacher. Vor Ort tut jeder das, was er kann - deshalb bin ich so stolz auf mein Heimatland.

Ivanna Sakhno steht im Fokus von "Das Mädchen und die Nacht" (Sonntag, 13. August, 22.15 Uhr, im ZDF): Was hat es mit dem rätselhaften Verschwinden von Vinca (Sakhno) auf sich? (Bild: ZDF / François Lefebvre)
Ivanna Sakhno steht im Fokus von "Das Mädchen und die Nacht" (Sonntag, 13. August, 22.15 Uhr, im ZDF): Was hat es mit dem rätselhaften Verschwinden von Vinca (Sakhno) auf sich? (Bild: ZDF / François Lefebvre)

"Meine Eltern wollten nie, dass es mich auch in die Branche verschlägt"

teleschau: Hat es Sie geprägt, dass Ihre Eltern in der Filmbranche tätig sind?

Sakhno: Auf jeden Fall. Als ich ein Kind war, zeigte mir meine Mutter Jean-Pierre Jeunets "Die fabelhafte Welt der Amelie". Diese Geschichte hat in mir den Wunsch geweckt, ebenfalls Filme zu drehen. Meine Eltern hatten es als Künstler oft nicht leicht in der postsowjetischen Ukraine. Aus diesem Grund wollten sie eigentlich nie, dass es mich auch in die Branche verschlägt.

teleschau: Trotzdem standen Sie bereits als Achtjährige zum ersten Mal vor der Kamera.

Sakhno: Ja, das war in der ukrainischen Sitcom "Lesia + Roma". Obwohl mein Vater an der Produktion beteiligt war, war es eher ein Zufall, dass ich die Rolle bekam. Eigentlich war bereits ein anderes Kind, ein Junge, für die Figur vorgesehen. Als die Dreharbeiten starteten, hatte er jedoch keine Lust mehr (lacht). Also musste schnell ein Ersatz gefunden werden. Ich besuchte meinen Vater an diesem Tag am Set - und sprang kurzerhand ein. Das war meine erste Schauspielerfahrung. Heute bin ich sehr dankbar dafür.

teleschau: Einige Jahre später zogen Sie als 13-Jährige allein nach Kanada, um auch international als Schauspielerin Fuß zu fassen. Wie blicken Sie heute auf diese Zeit zurück?

Sakhno: Es hat mich sehr geprägt, vor allem, weil ich damals kein Wort Englisch gesprochen habe. Ich hatte bereits Jahre zuvor angefangen, meine Schauspielgagen zu sparen, um ins Ausland gehen zu können. Ich wollte die internationale Filmwelt entdecken und ein Teil davon sein. Meinen Eltern lag ich damit ständig in den Ohren, schon als Neunjährige. Eines Tages haben sie mir dann erlaubt, an einem Austauschprogramm teilzunehmen - vermutlich, weil sie es einfach nicht mehr hören konnten (lacht). Heute finde ich es schön, aber auch unglaublich, dass meine Eltern mir so sehr vertraut haben.

Sie will die Menschen wachrütteln: "Ich glaube, die Welt hat sich an den Krieg in der Ukraine gewöhnt", sagt Ivanna Sakhno im Interview. (Bild: 2023 Getty Images for Disney/Jeff Spicer)
Sie will die Menschen wachrütteln: "Ich glaube, die Welt hat sich an den Krieg in der Ukraine gewöhnt", sagt Ivanna Sakhno im Interview. (Bild: 2023 Getty Images for Disney/Jeff Spicer)

"Ich bevorzuge gute Geschichten"

teleschau: Der Sprung ins kalte Wasser hat sich gelohnt: In den vergangenen Jahren wirkten Sie an zahlreichen namhaften Produktionen mit, darunter auch die Serie "Das Mädchen und die Nacht".

Sakhno: Darüber bin ich wahnsinnig glücklich. Die Produktion der Serie war eine wunderbare Erfahrung - vor allem, weil wir sie in Südfrankreich gedreht haben (lacht). In Nizza arbeiten zu dürfen, ist wirklich ein Privileg.

teleschau: Wie war es für Sie, Ihre erste internationale Serienhauptrolle zu spielen?

Sakhno: Ich habe die Rolle als Herausforderung betrachtet. Vinca, das Mädchen, das ich spiele, ist ein sehr komplexer Charakter. Ich wollte sie verstehen, und letztendlich habe ich mich in ihr sogar wiedererkannt. Das ist es, was ich an der Schauspielerei so liebe: Es geht darum, Menschen in all ihren Facetten abzubilden. Ich denke, das ist uns gelungen. Trotzdem war der Dreh oft nicht einfach.

teleschau: Weshalb?

Sakhno: Wir haben die Serie nicht in chronologischer Reihenfolge gedreht, das kann bei einer solchen Geschichte durchaus für Verwirrung sorgen. Zudem gab es viele intensive, emotionale Szenen. Das hat die Dreharbeiten aber erst spannend gemacht.

teleschau: Die Serie beruht auf dem französischen Roman "Die junge Frau und die Nacht". Haben Sie das Buch gelesen?

Sakhno: Ja, ich hatte sogar die Gelegenheit, mit dem Autor Guillaume Musso zu sprechen. Das war für mich sehr wichtig, um meine Figur richtig zu verstehen. Allgemein liebe ich es, zu lesen. Da ich als Schauspielerin ohnehin eine Menge Drehbücher lese, interessieren mich privat aber eher Sachbücher.

teleschau: "Das Mädchen und die Nacht" ist vor allem eines: spannend. Bevorzugen Sie als Schauspielerin ein bestimmtes Genre?

Sakhno: Ich bevorzuge gute Geschichten (lacht). Wenn man die Gelegenheit bekommt, Teil einer solchen Produktion zu sein, sollte man sie ergreifen. Ich habe sehr viel Respekt für jede einzelne Person, die dazu beiträgt, Geschichten zum Leben zu erwecken. Thriller wie "Das Mädchen und die Nacht" liebe ich, aber es gibt nahezu kein Genre, das ich vollständig ausschließen würde - solange ich von dem Projekt an sich überzeugt bin. Ich glaube, es limitiert einen als Schauspieler, wenn man sich nur auf eine bestimmte Art von Rolle beschränkt.

Ivanna Sakhno wurde am 14. November 1997 in Kiew geboren. "Als Osteuropäerin bekam ich oft stereotype Rollen angeboten", berichtet die Schauspielerin im Interview. (Bild: 2023 Getty Images for Disney/Kate Green)
Ivanna Sakhno wurde am 14. November 1997 in Kiew geboren. "Als Osteuropäerin bekam ich oft stereotype Rollen angeboten", berichtet die Schauspielerin im Interview. (Bild: 2023 Getty Images for Disney/Kate Green)

"Als Osteuropäerin bekam ich oft stereotype Rollen angeboten"

teleschau: Gibt es eine Rolle oder Zusammenarbeit, von der Sie träumen?

Sakhno: Es gibt einige Regisseurinnen oder Regisseure, mit denen ich gerne zusammenarbeiten würde. Ansonsten bin ich offen für vieles. Ich bin zum Beispiel ein großer Fan des europäischen Kinos. Ich mag Indiefilme und liebe es, an kleinen, intimen Produktionen mitarbeiten zu dürfen. Trotzdem ist es wundervoll, für große Blockbuster vor der Kamera zu stehen - solange man sich dabei nicht selbst verliert.

teleschau: Möchten Sie eines Tages in die Fußstapfen Ihrer Eltern zu treten und auch hinter der Kamera aktiv werden?

Sakhno: Die Schauspielerei werde ich wohl nie aufgeben. Dafür liebe ich meine Arbeit zu sehr. Trotzdem hat man etwa als Produzentin ganz andere Möglichkeiten, daran will ich mich tatsächlich wagen. Als Regisseurin sehe ich mich aber zumindest in naher Zukunft nicht. Ich habe sehr viel Respekt vor dem Beruf. Regisseure sind der Dreh- und Angelpunkt der Produktion, das ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Aber: Sag niemals nie.

teleschau: Können Sie sich vorstellen, eines Tages auch wieder an einer ukrainischen Produktion mitzuwirken?

Sakhno: Auf jeden Fall! Ich will sehr gerne in ukrainischen Filmen mitspielen und diese auch produzieren. Ich will authentische Geschichten über die Menschen in Osteuropa erzählen. Das ist etwas, womit ich Schwierigkeiten hatte, als ich nach Nordamerika kam. Die Leute haben Vorurteile. Als Osteuropäerin bekam ich oft stereotype Rollen angeboten. Häufig sollte ich Agentinnen, Mafiamitglieder oder Prostituierte spielen. Dabei ist meine Heimat so viel mehr als das. Osteuropäische Frauen sind so viel mehr als das.

teleschau: Fühlen Sie sich als junge Frau im heutigen Hollywood gleichberechtigt?

Sakhno: Das Patriarchat ist in vielen Aspekten unseres Lebens spürbar, auch in Hollywood. Bis heute. Ich sehe jedoch durchaus, dass sich etwas bewegt, vielleicht auch dank der #MeToo-Bewegung. Ich denke, heutzutage ist es für uns Frauen einfacher als vor 100 Jahren. Trotzdem liegt noch ein langer Weg vor uns. Frauenfeindlichkeit ist tief verwurzelt in unserer Gesellschaft. Ich glaube also nicht, dass dieser Kampf bald ein Ende findet. Auch in der Filmbranche nicht.

"Meine Eltern sind beide Filmemacher und hatten es als Künstler oft nicht leicht in der postsowjetischen Ukraine", erzählt Ivanna Sakhno. "Aus diesem Grund wollten sie eigentlich nie, dass es mich auch in die Branche verschlägt." (Bild: 2022 Getty Images/Vittorio Zunino Celotto)
"Meine Eltern sind beide Filmemacher und hatten es als Künstler oft nicht leicht in der postsowjetischen Ukraine", erzählt Ivanna Sakhno. "Aus diesem Grund wollten sie eigentlich nie, dass es mich auch in die Branche verschlägt." (Bild: 2022 Getty Images/Vittorio Zunino Celotto)