Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Was könnte Putin drohen?

Zwischen den Trümmern ganzer Wohnblocks versuchen Menschenrechtler wie Richard Weir Spuren für die Kriegsschuld Russlands zu sammeln.  (Bild: SWR)
Zwischen den Trümmern ganzer Wohnblocks versuchen Menschenrechtler wie Richard Weir Spuren für die Kriegsschuld Russlands zu sammeln. (Bild: SWR)

Ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sammelt die unabhängige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Beweise, um Putin in Den Haag vor Gericht zu bringen. Eine ARD-Dokumentation begleitet die mutigen Männer und Frauen bei ihrer gefährlichen Arbeit im Kriegsgebiet.

Fast ein Jahr ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 vergangenen. Ein Jahr, in dem unzählige Menschen, darunter Zivilisten, Familienväter, Frauen und Kinder, auf grausame Weise gefoltert und von russischen Soldaten ermordet wurden. Die Verantwortlichen, allen voran der russische Präsident Wladimir Putin, konnten bislang nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Doch das könnte sich eines Tages ändern: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag bereitet ein Verfahren vor. Doch für eine Verurteilung braucht es gerichtsfeste Beweise. Eben diese will eine Gruppe mutiger Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler beschaffen. Die aufschlussreiche "ARD Story: Anklage gegen Putin?" von Christian H. Schulz begleitet sie dabei. Der Film, der das Grauen der Kriegsverbrechen deutlich vor Augen führt und die Hürden bei der Aufarbeitung anschaulich erklärt, wird am Montag, 13. Februar, um 22.50 Uhr, im Ersten ausgestrahlt.

Nur zwei Wochen nach der Rückeroberung der ostukrainischen Stadt Isjum durch die Ukraine reisen Belkis Wille und Richard Weir von der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Ende September durch das kriegszerstörte Gebiet. Zwischen den Trümmern zerstörter Wohnhäuser, Schulen und anderer Gebäude versuchen sie die Spuren des Krieges für einen späteren Gerichtsprozess zu sichern. Das wichtigste Puzzleteil in dieser grauenvollen Detektivarbeit sind die Aussagen der Überlebenden: "Ich erinnere mich. Bomben fielen stundenlang in der Nähe", erinnert sich eine Ukrainerin unter Tränen. Ein Mann berichtet, dass sieben Familienangehörige beim Angriff auf ihr Wohnhaus starben.

Frische Gräber sind nur eines von vielen Schreckensbildern, die seit einem Jahr aus der Ukraine kommen.  (Bild: SWR)
Frische Gräber sind nur eines von vielen Schreckensbildern, die seit einem Jahr aus der Ukraine kommen. (Bild: SWR)

Mehrere Länder führen Ermittlungen durch

Richard Weir versucht aus diesen traumatischen Erinnerungen möglichst viele Fakten herauszufiltern: "Wenn dieses Gebäude für militärische Zwecke genutzt wurde, durfte es angegriffen werden", erklärt er: "Aber wenn sich beim Angriff Dutzende Zivilisten darin befinden, könnte das natürlich immer noch ein Verstoß gegen das Kriegsrecht und sogar ein Kriegsverbrechen sein." Bei der Bewertung der Lage sollen auch Geodatenanalysten helfen, die Satellitenbilder auswerten und mit Onlinevideos vergleichen.

Die Ergebnisse dieser Arbeit sind für viele Parteien von Bedeutung: Nach dem Weltrechtsprinzip kann jedes Land auch eigene Ermittlungen zum Ukraine-Krieg durchführen. In ganz Europa seien derzeit mindestens 21 Ermittlungen zu den Verbrechen in der Ukraine im Gange, sagt Balkees Jarrah von Human Rights Watch. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Einzelstraftaten, sondern auch die Befehlsketten, die bis an die Spitze der russischen Kriegsführung reichen.

Belkis Wille von der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist entsetzt über das, was sie in den Kriegsgebieten der Ukraine zu sehen bekommt.  (Bild: SWR)
Belkis Wille von der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ist entsetzt über das, was sie in den Kriegsgebieten der Ukraine zu sehen bekommt. (Bild: SWR)

Zwei Kontrahenten im Fokus

Dass Putin oder sein Außenminister Sergei Lawrow eines Tages in der Haftanstalt der Vereinten Nationen in Den Haag landen, ist dennoch ungewiss: Der Nachweis ihrer Verantwortung für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord sei schwierig zu erbringen, heißt es in der Reportage. Das Verbrechen des Angriffskrieges müsste wiederum vom UN-Sicherheitsrat an den internationalen Strafgerichtshof überwiesen werden. Diesen Vorgang könnte Russland durch sein Veto-Recht blockieren. Ein Sondertribunal könnte diese Lücke überbrücken. Was Putin erwarten könnte, zeigt der Blick in die Vergangenheit: 2001 wurde der serbische Präsident Milosevic als Schlüsselfigur der Jugoslawienkriege in Den Haag vor Gericht gestellt.

Der Krieg in der Ukraine bleibt auch im weiteren Verlauf des Abends Thema: Um 23.35 Uhr zeigt das Erste am Montag die "ARD Story: Das Duell: Selenskyj gegen Putin". Die Filmemacherin Claire Walding rückt dabei die beiden führenden Persönlichkeiten des Krieges ins Zentrum: Auf der einen Seite steht der ehemalige Komiker Wolodymyr Selenskyj, dessen kommunikatives Talent zu seiner stärksten Waffe wurde. Auf der anderen Seite steht Wladimir Putin, der Ex-KGB-Offizier, der von der Dauer seines Krieges vermutlich überrascht wurde.

Was steckt hinter den Aussagen der beiden Männer? Wie änderte sich ihre Kommunikationsstrategie und der Einsatz ihrer propagandistischen Mittel im Laufe des letzten Jahres? Internationale Expertinnen und Experten, darunter die russische Polit-Journalistin Yevgenia Albats, der ukrainische Philosoph Volodymyr Yermolenko und die britische Kreml-Insiderin Catherine Belton geben ihre Einschätzung ab.

Wolodymyr Selenskyj war einst ein Komödiant ukrainischer Filme. Als Präsident des kriegsgebeutelten Landes hat er international große Anerkennung erlangt.  (Bild: rbb / ARD / Ukraine Presidency)
Wolodymyr Selenskyj war einst ein Komödiant ukrainischer Filme. Als Präsident des kriegsgebeutelten Landes hat er international große Anerkennung erlangt. (Bild: rbb / ARD / Ukraine Presidency)