Jessy Wellmer: "Mir war die Darstellung des 'bösen Russen' immer zu eindimensional"

Jessy Wellmer ist vor allem aus der "Sportschau" (ARD) oder dem "ARD-Mittagsmagazin" bekannt. Nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine reiste die gebürtige Güstrowerin in ihre Heimat, um die Stimmung der Ostdeutschen gegenüber Russland und Putin einzufangen.  (Bild: ARD / BR / Markus Konvalin)
Jessy Wellmer ist vor allem aus der "Sportschau" (ARD) oder dem "ARD-Mittagsmagazin" bekannt. Nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine reiste die gebürtige Güstrowerin in ihre Heimat, um die Stimmung der Ostdeutschen gegenüber Russland und Putin einzufangen. (Bild: ARD / BR / Markus Konvalin)

Jessy Wellmer ist Ostdeutsche. Putins Angriff auf die Ukraine hat sie zutiefst erschüttert. Wie kann es sein, dass viele Menschen aus ihrer Heimat sich dennoch zu Russland hingezogen fühlen? Dieser Frage geht die "Sportschau"-Moderatorin in einer ARD-Reportage nach. In einem Interview sprach sie über ihre Erkenntnisse.

Jessy Wellmer kennen viele als Moderatorin der "Sportschau am Sonntag" (18 Uhr, das Erste). Doch mit Fußball hat ihre neue Reportage nichts zu tun: Unter dem Titel "Die Story im Ersten: Russland, Putin und wir Ostdeutsche" (Montag, 24. Oktober, 20.15 Uhr, das Erste) begab sich Wellmer auf eine vierwöchige Reise in ihre alte Heimat, nach Güstrow und in andere ostdeutsche Städte. Im Gespräch mit ihrer Familien, Freunden und anderen Einheimischen wollte sie herausfinden, welche besondere Beziehung die Ostdeutschen heute noch zu Russland haben und wie alte Erinnerungen aus DDR-Zeiten die Einstellung gegenüber dem Ukraine-Krieg verändern. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur teleschau spricht die 42-Jährige über ihre Motivation und ihre Erkennntnisse.

"Mir war die Darstellung des 'bösen Russen' immer zu eindimensional", sagt Wellmer: "Denken Sie nur an all die sadistischen, russischen Massenmörder aus den James-Bond-Filmen." Dass ihr Sohn und ihre Tochter dieses Klischee übernähmen, will sie unbedingt vermeiden. Doch auch bei ihren Landsleuten, den Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR, vermeidet sie es zu pauschaulisieren: "Es gibt nicht DIE Ostdeutschen", stellt sie sowohl im Interview als auch im Film immer wieder klar.

Für "Die Story im Ersten: Russland, Putin und wir Ostdeutsche" sucht die ARD-Journalistin Jessy Wellmer (links) das Gespräch mit ihren Eltern: Wie denken sie über Putin und seinen Angriff auf die Ukraine? (Bild: NDR / Jan Müller)
Für "Die Story im Ersten: Russland, Putin und wir Ostdeutsche" sucht die ARD-Journalistin Jessy Wellmer (links) das Gespräch mit ihren Eltern: Wie denken sie über Putin und seinen Angriff auf die Ukraine? (Bild: NDR / Jan Müller)

"Viele Ostdeutsche haben den Eindruck, dass ihnen seit 30 Jahren niemand zuhört"

Der Mauerfall sei für die einen "das größte Glück der Welt" gewesen, doch andere hätte "komplett ihre Orientierung verloren". Diese Unsicherheit nach Ende der DDR dürfe man nicht unterschätzen, sagt sie im Interview, denn das Gefühl der Unterlegenheit wirke bis heute nach: "Viele Ostdeutsche fühlten sich vom Westen von oben herab behandelt, und vielen geht es jetzt wieder genauso, nach dem Motto: Damals haben die Wessis schon alles besser gewusst, und jetzt, wenn's um Russland geht, tun sie es wieder. Oder umgekehrt: Die Wessis reden schon wieder von etwas, wovon sie nichts verstehen."

Sie selbst starte deshalb einen "persönlichen Versuch, zu vermitteln zwischen zwei Seiten, die zusammengehören und doch so für sich stehen". Dabei gehe es "nicht eine Sekunde lang darum, die DDR zu verharmlosen oder den Angriffskrieg Russlands zu relativieren", sondern darum, zu sagen: "Ich bin anderer Meinung als Du, aber ich höre Dir jetzt mal zu." Sie betont: "Viele - auch im Westen - haben den Eindruck, dass sie nicht mehr gehört werden, und viele Ostdeutsche haben den Eindruck, dass ihnen seit 30 Jahren niemand zuhört." Daher laute ihr Appell an ihre Landsleute im Osten: "Die Debatten, die ihr führt, die habt ihr nicht exklusiv, sondern die führen auch Menschen im Westen. Wir haben gerade - überall in Deutschland - so viele Probleme. Alte Ost-West-Rechnungen lösen die nicht, sie machen sie nur größer."

Direkt im Anschluss an die Reportage ist Jessy Wellmer bei Frank Plasberg in der Polit-Talkshow "Hart aber fair" (21 Uhr, das Erste) zu Gast. Zusammen mit dem ehemaligen Boxweltmeister Henry Maske, dem Publizisten Ralf Fücks, der Buchautorin und Politikberaterin Antje Hermenau und dem Historiker Stefan Creuzberger diskutiert sie dabei die Frage: "Eine Frage der Herkunft: Warum sehen Ost- und Westdeutsche Russlands Krieg so anders?"