Zu streng oder zu schwach? EU-Regelwerk für KI spaltet
Brüssel/Berlin (dpa) - Die Europäische Union (EU) hat sich kurz vor dem Wochenende auf Regeln für die Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) verständigt. Das Europaparlament und die EU-Staaten stellten heraus: Es sind weltweit die ersten Regeln für KI. Jedoch kommt von zwei Seiten Kritik. Die einen halten die Regeln für zu streng, die anderen für zu lasch. Die Wirtschaft befürchtet, die künftige EU-Verordnung werde Innovationen hemmen. Aus Sicht von Verbraucherschützern werden die Risiken mancher Anwendungen nicht ernst genug genommen.
Europa droht nach Ansicht des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) bei der Schlüsseltechnologie KI nun ins Hintertreffen zu geraten. «Mit der umfassenden Regulierung von KI-Basismodellen und KI-Anwendungen gefährdet der AI Act die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit sowohl auf Hersteller- als auch auf Anwenderseite», sagte BDI-Geschäftsführungsmitglied Iris Plöger. Die Regulierung basiere auf unausgereiften Kriterien, die den Unternehmen weniger statt mehr Rechtssicherheit brächten.
Der Technikbranchenverband Bitkom sprach von einem «politischen Schaufenster-Erfolg zu Lasten von Wirtschaft und Gesellschaft». Der erzielte Kompromiss greife tief in die Technologie ein.«Die EU bindet damit den Unternehmen einen regulatorischen Klotz ans Bein. Das Risiko ist groß, dass europäische Unternehmen durch nicht praxistaugliche Vorhaben der rasanten technologischen Entwicklung künftig nicht folgen können», sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Kritik von Verbraucherschützern
Die europäische Verbraucherschutzorganisation Beuc kritisierte dagegen, dass sich die EU zu sehr auf den guten Willen der Unternehmen zur Selbstregulierung verlasse. «So werden beispielsweise virtuelle Assistenten oder KI-gesteuerte Spielzeuge nicht ausreichend reguliert, da sie nicht als Hochrisikosysteme gelten. Auch Systeme wie ChatGPT oder Bard werden nicht die notwendigen Leitplanken erhalten, damit die Verbraucher ihnen vertrauen können», hieß es.
Die deutsche Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) sieht in der KI-Verordnung hingegen einen Schutz für Verbraucher vor den Risiken der neuen Technologie. «In den Verhandlungen haben wir uns besonders dafür eingesetzt, dass KI-Systeme transparent, nachvollziehbar und überprüfbar gestaltet werden. So müssen nun künftig Unternehmen, die den Einsatz von KI-Technologien anbieten, Informationen über die Funktionsweise ihrer Systeme bereitstellen und KI-gestützte Entscheidungen erläutern», berichtete Lemke am Samstag. Bei Verstößen könnten Verbraucherverbände mit Verbandsklagen gerichtlich dagegen vorgehen.
Die vorgelegten Vorschriften legen Verpflichtungen für KI auf Grundlage ihrer potenziellen Risiken und Auswirkungen fest. Als besonders riskant werden KI eingestuft, die ein erhebliches Schadenspotenzial etwa für Gesundheit, Demokratie, Umwelt oder Sicherheit haben.
Regulierung von sogenannten Basismodellen
Bestimmte Anwendungen werden komplett verboten, etwa biometrische Kategorisierungssysteme, die sensible Merkmale wie zum Beispiel die sexuelle Orientierung oder religiöse Überzeugungen verwenden. Auch das ungezielte Auslesen von Bildern aus dem Internet oder aus Überwachungsaufnahmen für Gesichtserkennungsdatenbanken soll nicht erlaubt sein. Allerdings wird es Ausnahmen für biometrische Identifizierungen im öffentlichen Raum in Echtzeit geben, etwa bei der Gefahr eines Terroranschlags oder bei der gezielten Suche von Opfern von Menschenhandel. Um diesen Punkt wurde intensiv gerungen, das EU-Parlament wollte eigentlich ein komplettes Verbot.
Ein weiterer Streitpunkt war die Regulierung von sogenannten Basismodellen. Das sind sehr leistungsfähige KI-Modelle, die mit einem breiten Satz an Daten trainiert wurden. Sie können die Grundlage für viele andere Anwendungen sein. Dazu zählt etwa GPT. Deutschland, Frankreich und Italien hatten zuvor gefordert, dass nur konkrete Anwendungen von KI reguliert werden sollten, nicht aber die Basis-Technologie an sich. Nun einigten sich die Unterhändler auf bestimmte Transparenzpflichten für diese Modelle.
Der Bundesminister für Digitales, Volker Wissing (FDP), enthielt sich einer endgültigen Bewertung. Einerseits sei verhindert worden, dass bestimmte Systeme in den Hochrisikobereich fallen, andererseits müsse das Regelwerk Innovationen ermöglichen und verhältnismäßig sein, sagte er am Samstag. «Ob dies gelungen ist, werden wir uns in den nächsten Tagen sehr genau anschauen.»