Karl-Theodor zu Guttenberg - Was Linda sich über mich notiert hat, schmeichelt nur bedingt

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Karl-Theodor zu Guttenberg.Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

„Das Werk übersteigt Ihre geistigen Fähigkeiten.“ Es gibt Komplimente, die sitzen. Ich stehe in einem Buchladen. Die schnarrende Stimme in meinem Rücken ist mir wohlbekannt.

Einen ähnlichen Satz hatte ich zuletzt von meinem Lateinlehrer gehört, nachdem ich kläglich an einer Übersetzung von Seneca gescheitert war.

„Selbst diese ‚Nana‘ schreibt gehaltvollere Texte als Du. Deiner ist geplatzt wie einer ihrer 99 Seifenblasen“, meinte er noch, als er mir die Klausur zurückgab. Mein Hinweis, die Sängerin würde ‚Nena‘ heißen und sei mit ihren Luftballons viel cooler als er, führte ins pädagogische Niemandsland.

Diesmal reagiere ich aber nicht mit pubertärem Trotz, sondern muss lachen. Ich kenne die Person hinter der Stimme seit Jahren. Sie ist die Inhaberin von „Linda’s Bookstore“, einer kleinen Buchhandlung in einem amerikanischen Städtchen.

Er liegt in einer winzigen Seitengasse und wirkt wie aus der Zeit gefallen. Eine altmodische Klingel scheppert beim Eintreten, die Bücher stapeln sich bis unter die Decke; viele haben aufgeklebte handschriftliche Rezensionen.

Bereits als Kind waren Buchläden und Bibliotheken für mich Zauberwelten. Ihre Magie hat mich nie verlassen. Orte, die unsere atemlose Taktung des Alltags zum Stillstand bringen können und virtuelle Umschlagplätze wie Amazon auf die Banalität ihrer Bestimmung zurückwerfen - den seelenlosen Kommerz.

Ich drehe mich um. Linda - sie ist sehr betagt - lächelt mich an und drückt mir einige Bücher in die Hand. Wie sie es immer tat. „Die passen zu Ihnen“, pflegt sie zu sagen. Sie lag niemals falsch.

„Höflicher Deutscher mit seltsamem Gang und Hamsterbacken“

Einmal fragte ich sie, wie sie sich die Lesepräferenzen Ihrer Kundschaft merken könne. „Gar nicht. Mein Gedächtnis ist ein rostiger Sieb. Ich mache mir nach der Verabschiedung immer eine kleine Notiz über die Kunden.”

„Aber Sie kennen doch meinen Namen nicht.“

„Den brauche ich auch nicht. Nur einige Vorlieben und Merkmale. Warten Sie“, Linda holte eine Mappe hervor, blätterte ein wenig und stellte nüchtern fest: „Höflicher Deutscher mit seltsamem Gang und Hamsterbacken. Beide Töchter gehen in […] zur Schule. Das sind doch Sie, auch wenn Sie nicht mehr ganz so dick sind.“

Ich war nur bedingt geschmeichelt. Und doch beeindruckt. Es bedarf keiner großen Anstrengung, seinem Gegenüber mit ehrlicher Aufmerksamkeit zu begegnen, die über das Geschäftsinteresse oder einen erhofften Vorteil hinausreicht. Oft genügt eine einfache Frage, um jemandem wiederkehrend das Gefühl außergewöhnlicher Beachtung zu geben.

Ich habe ein schreckliches Namensgedächtnis. Und ich werde mich beim nächsten Treffen wohl nicht erinnern, wie die drei Personen heißen, mit denen ich mich heute erstmals unterhalten habe. Aber ich könnte den einen fragen, wie seine geplante Hüftoperation verlaufen ist, die zweite, ob ihr Labrador immer noch Durchfall hat und den dritten, weshalb er einen Nationalspieler für einen „überschätzten Knallfrosch“ hielt.

Eine kurze abendliche Notiz hat mir ihre Gesichter dauerhaft eingeprägt. Linda sei Dank.