Verfassungsgericht kippt zweiten Nachtragshaushalt 2021
Der Bundeshaushalt 2021 wurde trotz Schuldenbremse mit 60 Milliarden Euro aufgestockt - bei Notlagen wie der Corona-Krise ist das möglich. Aber durfte der Bund das Geld später für den Klimaschutz nutzen?
Wegen Verstoßes gegen Ausnahmen bei der Schuldenbremse hat das Bundesverfassungsgericht den zweiten Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Mit der Etatänderung wollte die Bundesregierung Kredite in den Klimaschutz investieren, die ursprünglich für Corona-Maßnahmen gedacht waren.
Union hat erfolgreich gegen Aufstockung geklagt
Der Umfang des "Klima- und Transformationsfonds", in dem das Geld nun eingeplant ist, schrumpft daher um 60 Milliarden Euro. "Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren", erklärte das höchste deutsche Gericht am Mittwoch in Karlsruhe. Die Unionsfraktion im Bundestag hat damit erfolgreich gegen das Umschichten geklagt. (Az. 2 BvF 1/22)
Die Regierungsfraktionen im Bundestag seien auf das Szenario vorbereitet, sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. Direkte Auswirkungen auf den Zeitplan für den Bundeshaushalt 2024 sehe sie zunächst nicht. "Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass wir den Haushalt dennoch zum 1. Dezember verabschieden und dass die Bereinigungssitzung morgen ganz normal stattfindet." In dieser Sitzung nimmt der Haushaltsausschuss letzte Änderungen am Etat für 2024 vor.
Greenpeace: Rückschlag für Klimaschutz
Nach Einschätzung der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist das Urteil ein "herber Rückschlag für den Schutz des Klimas". "Nun rächt sich, dass die Ampel den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft von Anfang an mit finanzpolitischen Taschenspielertricks bezahlen wollte", beklagte der geschäftsführende Vorstand von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser. Kredite, neue Steuern und der Abbau klimaschädlicher Subventionen dürften nun keine Tabus mehr sein.
1/2 Dieses Urteil des #Bundesverfassungsgericht/s ist ein herber Rückschlag für den #Klimaschutz! Nun rächt sich, dass die #Ampel den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft von Anfang an mit finanzpolitischen Taschenspielertricks bezahlen wollte.
— Martin Kaiser (@martinkaisergp) November 15, 2023
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts bezieht sich auf den Haushalt 2021. Wegen der Notfallsituation während der Corona-Pandemie hatte der Bund diesen in Form einer Kreditermächtigung um 60 Milliarden Euro aufgestockt. In solch außergewöhnlichen Situationen oder auch bei Naturkatastrophen ist es trotz Schuldenbremse möglich, Kredite aufzunehmen. Am Ende wurde das Geld nicht für die Bewältigung der Pandemie und ihrer Folgen gebraucht. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP wollte das Geld daher für den sogenannten Klima- und Transformationsfonds nutzen und schichtete es mit Zustimmung des Bundestages rückwirkend um - allerdings erst im Jahr 2022.
Darum ist der Nachtragshaushalt unzulässig
Das Gericht stellte nun klar, dass es einen Zusammenhang zwischen der außergewöhnlichen Notsituation und den mit dem Geld bezahlten Maßnahmen geben müsse. Dies habe der Gesetzgeber hier nicht ausreichend deutlich gemacht, sagte die Vorsitzende Richterin Doris König. Sie verwies auf die wiederholte Inanspruchnahme der Möglichkeit notlagenbedingter Kreditmittel und den Umstand, dass die zunächst für erforderlich erachteten Kreditermächtigungen zum Ende des Haushaltsjahres nicht zur Krisenbewältigung verwandt worden sind.
Außerdem dürften die einem Sondervermögen infolge von Notsituationen zugeführten Mittel nur in demjenigen Haushaltsjahr eingesetzt werden, für das sie bereitgestellt wurden. Auch müsse das Parlament einen Nachtragsentwurf bis zum Jahresende beschließen. "Die faktisch unbegrenzte Weiternutzung von notlagenbedingten Kreditermächtigungen in nachfolgenden Haushaltsjahren ohne Anrechnung auf die 'Schuldenbremse' bei gleichzeitiger Anrechnung als 'Schulden' im Haushaltsjahr 2021 ist demzufolge unzulässig", so das Gericht.
So argumentierten die beiden Seiten
Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg hatte bei der mündlichen Verhandlung im Juni gesagt, die Schuldenbremse brauche eine wirkliche Bremswirkung, damit nicht immer wieder Vorratskassen angelegt und Verwendungszwecke geändert würden. Auch in Notlagen müsse klar sein, wo der Spielraum des Staates für Kreditermächtigungen ende, ergänzte der Bevollmächtigte der Union, Karsten Schneider.
Dagegen argumentierten Vertreter der Regierung, infolge der Pandemie habe die Volkswirtschaft geschwächelt, auch private Investitionen hätten angestoßen werden müssen. Mit der Umschichtung des Geldes habe ein Stück weit Verlässlichkeit für Investitionen geschaffen werden sollen. Parallel zur Verhandlung erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), eine Entscheidung gegen den Nachtragshaushalt würde Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen.
Der Zweite Senat musste sich mit einer neuen Thematik befassen. Dabei ging es unter anderem darum, ob eine Kreditermächtigung auch wirtschaftliche Krisenfolgen abdecken darf und wann nachträgliche Haushaltsänderungen beschlossen werden müssen.
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