Keine verpflichtenden Medizinchecks für ältere Autofahrer – mit Freiheit hat das wenig zu tun

Die Medizinchecks werden in Deutschland wohl nicht kommen

Ganz schön alt: Ein Jaguar XK 120 OTS in Österreich (Bild: REUTERS/Leonhard Foeger)
Ganz schön alt: Ein Jaguar XK 120 OTS in Österreich (Bild: REUTERS/Leonhard Foeger)

Das EU-Parlament lehnt häufigere Gesundheitskontrollen für Autofahrer ab einem gewissen Alter ab. Das ist nicht nur gegen jede Vernunft. Es ist auch eine falsch verstandene Freiheit.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eigentlich klingt es nach einer Petitesse. Das Europäische Parlament hat beschlossen, dass ein bestimmter Umstand von den einzelnen EU-Mitgliedsländern geregelt werden soll, und nicht zentral. Worum geht es? Um die Frage, ob Autofahrer mit einem fortgeschrittenen Alter öfters zu einem Medizincheck verpflichtet werden sollen, wo sie auf ihre Fahrtauglichkeit hin untersucht werden.

Das hat schon eine Bedeutung. Einen sicheren Verkehr wollen ja alle. Und mit den Jahren auf dem Buckel steigt zwar die Vorsicht, vielleicht auch die Umsicht – aber dafür sinken die Reaktionsgeschwindigkeit und die Schärfe der Sinne. Die braucht man schon.

Dass diese Frage nicht europaweit einheitlich beantwortet werden soll, erstaunt daher. Sind die Senioren in den Niederlanden strukturell mehr oder weniger rüstig als in Deutschland? Gibt es Unterschiede in der Fahrtauglichkeit älterer Menschen zwischen Italien und Dänemark?

Die EU-Kommission in Brüssel wollte durchsetzen, dass Fahrer häufiger zu einer Kontrolle müssen. Das aber lehnte das Parlament ab, „um Diskriminierung zu vermeiden und ihr Recht auf Freizügigkeit und Teilnahme am wirtschaftlichen und sozialen Leben zu gewährleisten.“

Das wirft einige Fragen auf. Ist ein Arztbesuch schon eine Diskriminierung? Und hat man ein Recht darauf, mit einem Metallkäfig auf vier Rädern in einer Geschwindigkeit unterwegs zu sein, die für einen selbst und vor allem für Andere gefährlich werden könnte – obwohl man diese nicht mehr in jenem Griff hat, den man haben müsste? „Freizügigkeit“ in diesem Sinne erscheint mir insofern zweifelhaft frei, wenn es das Recht körperlicher Unversehrtheit Anderer in Frage stellen könnte. Die EU-Kommission wollte doch nur öfters einen Check. Und verläuft der positiv, kann doch mit bestem Gewissen „gewährleistet“ werden.

Der deutsche liberale Heißluftwind

Doch weit gefehlt. An vorderster Front der Blockeure einer einheitlichen Regelung war übrigens FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing. In Brüssel ist man die Verweigerungshaltung der deutschen Liberalen zu vielen Themen mittlerweile gewohnt. Wissing sagte also zum jüngsten Votum: „Deutschland möchte solche Zwangsuntersuchungen nicht haben.“ Bürgerinnen und Bürger müssten eigenverantwortlich prüfen, ob sie fahrtauglich seien oder nicht. „Das gilt für jedes Alter“, betonte der FDP-Politiker.

Volker Wissing. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Volker Wissing. (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Damit berührt Wissing einen Grundkonflikt innerhalb des Liberalismus – und dokumentiert, warum es mit der FDP gerade den Bach hinabgeht. Ab wann sollte der Staat in die Eigenverantwortung hineingrätschen? Ich finde: Er sollte dies tun, wenn dadurch die Gefahr für Mitmenschen zunehmen könnte. Denn die Selbsteinschätzung ist immer eine subjektive Angelegenheit. Niemand möchte jemand anderen verletzen. Aber Mancher möchte sich vielleicht gewissen Schwund nicht eingestehen. Auf dem Land ist das Auto natürlich zuweilen auch eine Grundbedingung für selbstbestimmtes Leben.

Dennoch: Es ist falsch verstandener Westentaschenliberalismus auf dem Rücken Anderer, wenn hier von „Zwang“ schwadroniert wird. Dieser Zwang würde nur beinhalten, zum Arzt zu gehen. Wissing aber tut so, als verlangte man von älteren Autofahrern, dass sie dreimal im Monat nackt durch die Straßen laufen.

Alle nix verstanden

Ein Blick über den Tellerrand lohnt übrigens. Hier eine Tour durch Europa, zusammengestellt vom „SWR“:

Schweiz: ab 75 Jahren alle zwei Jahre eine Kontrolle beim Hausarzt.

Niederlande: Ab 75 Jahren alle fünf Jahre ein Check.

Dänemark: Ab 80 jedes Jahr eine Kontrolle.

Italien: Alle unter 50 müssen alle zehn Jahre zum Check. Ab 50 muss alle fünf Jahre der Führerschein verlängert werden, ab 70 alle drei Jahre, ab 80 alle zwei Jahre.

Spanien: Ab 65 Jahren ein Gesundheitstest alle fünf Jahre.

Portugal: Ab 50 ein Check alle fünf Jahre, ab 70 alle zwei Jahre.

Tschechien: Ab 60 alle fünf Jahre zum Test, dann werden auch dort mit den Jahren die Intervalle kürzer.

Möchte Wissing uns erzählen, dass man in all diesen Ländern nicht verstanden hat, was Liberalismus bedeutet? Die Erfahrungen sagen: Der Eindruck der Diskriminierung hält sich in Grenzen. Vielleicht ist man dort einfach weniger egoistisch.