"Keine Vision oder Lösung": Soziologe prangert bei "Hart aber fair" Migrationspolitik an
Ob Katharina Dröge (Grüne) oder Armin Schuster (CDU). Zum Thema Asylpolitik verheddern sich die Gäste von Louis Klamroth in kleinteiligen Debatten statt echte Visionen zu präsentieren. Für Soziologe Özgür Ozvatan blieben bei "Hart aber fair" (ARD) die wichtigsten Fragen offen.
Für Louis Klamroth zählte er zu den "Überfliegern": Dabei hätte sich Mohamad Hamzaalemam wohl in seinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt, einmal als Fililalleiter einer Bäckerei im deutschen Eberswalde zu landen. Dass er dort nach der Flucht aus seiner Heimat Syrien Fuß fasste, verdankte er unter anderem der Unterstützung durch Bäckermeister Björn Wiese. "Viel Eigeninitiative, ohne die hätte es nicht funktioniert", gestand der Unternehmer am Montagabend bei "Hart aber fair" (ARD).
Vier Geflüchtete hatte Wiese seit 2016 ausgebildet, zudem Quereinsteiger und Menschen beschäftigt, die anderswo ihre Qualifikation erhalten hatten. Von der Organisation von Sprachkursen bis hin zu Unterkünften galt es dabei zahlreiche Schwierigkeiten zu bewältigen.
Auch wenn diese Themen mittlerweile besser geregelt seien, sei das Engagieren insbesondere von Ausreisepflichtigen weiterhin problematisch: "Jede Ausländerbehörde hat einen Ermessungsspielraum und trifft andere Entscheidungen: Wer hat da Lust, jemanden langfristig zu beschäftigen?", brachte er die unsichere Situation von Unternehmerinnen und Unternehmern auf den Punkt. Und "auch die Motivation der Menschen in Dauerduldung ist schwierig", ergänzte er. Handwerker wie er seien bereit, diese Menschen auszubilden.
Armin Schuster: "Tun Sie das nicht, das ist für mich nicht so gut"
Dass der Bäckermeister dabei auf den anwesenden Innenminister von Sachsen, Armin Schuster (CDU) guckte, schien den nicht zu stören: "Ich habe das gleiche Problem", solidarisierte er sich - zur Überraschung aller - mit dem Bäckermeister: Angesichts von 13.000 Ausreisepflichtigen müsse er aufpassen, dass seine Ausländerbehörden keine falschen "Prioritätenentscheidungen" treffe, gab er zu und meinte halb im Scherz: "Was für ein Wahnsinn, ich hätte nicht gedacht, dass ich das im deutschen Fernsehen sage." Statt Menschen, die ein "blitzsauberes" Leben führten und arbeiteten, ständen Fälle von "Straftätern, Identitätsstäuschern" im Fokus. "Die schieben Sie nach oben, verstehe ich", übersetzte Klamroth und ignorierte den halbherzigen Protest des CDU-Politikers ("Tun Sie das nicht, das ist für mich nicht so gut.") gekonnt.
Es brauche eine "geordnete, gesteuerte Migrationspolitik", betonte Schuster, die Lage sei in den Kommunen in ganz Deutschland "jenseits aller Limits". Das bestätigten auch Hans Reichhart (CSU), Landrat im bayrischen Günzburg, und die Berliner Senatorin unter anderem für Integration und Vielfalt in Berlin, Cansel Kiziltepe (SPD).
Flüchtlingszahlen: Braucht Deutschland eine Obergrenze? @armin_schuster hat eine klare Meinung! #hartaberfair pic.twitter.com/djuvUVxElh
— hart aber fair (@hartaberfair) March 11, 2024
Diese Belastungsgrenze sei eher etwas "Gefühliges", sah Soziologe Özgür Özvatan von der Humboldt-Universität zu Berlin eben diese Limits nicht erreicht. Vielerorts seien die Menschen falsch verteilt. "Wenn wir uns die Wahlprogramme der Bundestagswahl 2021 anschauen, sehen wir, dass demokratische Parteien kaum etwas zu Migrationspolitik sagen." Das Problem liege in der Migrationsverwaltung und Überbürokratisierung, "was heute besprochen wird, ist nur kleinteilig, aber sie vermitteln keine Vision oder Lösung für die nächsten 10 - 15 Jahre".
Geflüchteter Haidary: "Warum nicht eine normale Giro-Bankkarte?"
"Kommen Sie mit mir nach Sachsen, da können wir die Obergrenze besichtigen", widersprach Schuster. Das Problem liege nicht nur in der falschen Verteilung. Um "humane Migrations- und Integrationspolitik" zu betreiben, habe die CDU schon vor Jahren flexible Obergrenzen vorgeschlagen. Denn "wenn in letzten zehn Jahren in Deutschland drei Millionen Menschen mit Asylbezug aufgenommen" wurden, müsse man aktuell die Zahl auf 60.000 beschränken, um diese richtig zu integrieren. "Was wir jetzt tun, hat mit Integration nichts zu tun", kritisierte er.
Ab April werde in Sachsen die Bezahlkarte getestet, brachte Klamroth eine Maßnahme zur Begrenzung der Migration ins Spiel (Schuster: "Ich hätte über andere Dinge gesprochen."). In Berlin werde diese Möglichkeit hingegen noch getestet und statt einer begrenzten Bargeldabhebung von 50 Euro, wie in Sachsen, sprach sich Senatorin Kiziltepe für eine "hundertprozentige Bargeldabhebung aus, alles Andere wäre ein integrationspolitisches Desaster". Noch müsse aber geprüft werden, welches Problem die Karte löse. Das des "Schleuserlohns", musste CDU-Mann Schuster nicht lange überlegen.
Dass Schleuser nicht erst bei der Ankunft am Zielort bezahlt würden, wusste Arif Abdullah Haidary aus eigener Erfahrung: Er hatte 2015 für seine Flucht aus Afghanistan nach Deutschland 21.000 Euro bezahlt. Zudem hätten viele Geschäfte kein Lesegerät, nannte er weitere Argumente gegen die Bezahlkarte, die auch zu einer Stigmatisierung führe: "Ich will nicht zeigen, dass ich ein Geflüchteter bin, ich bin auch ein Mensch und habe das Recht auf Barzahlung", betonte er, "warum dieser Aufwand, warum nicht eine normale Giro-Bankkarte?"
Katharina Dröge: "Sie wissen, dass es nicht funktionieren wird"
Für Diskussionen bei "Hart aber fair" sorgte auch eine weitere Maßnahme, "die Menschen zu entmutigen", übers Mittelmeer nach Deutschland zu gelangen. Nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens diskutiere die Bundesregierung derzeit Drittstaatenlösungen und überprüfe, ob das "im Einklang mit europäischem Recht" sei, erklärte Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge. Eine solche Prüfung habe 2016 bereits stattgefunden, sah Migrationsexperte Gerald Knaus diese Notwendigkeit als nicht gegeben.
Für Schuster war das alles Zeitverschwendung: Die Bundesregierung solle "diesen klugen erprobten Gedanke endlich umsetzen und endlich aufhören zu prüfen", empörte sich der sächsische Innenminister. "Sie wissen, dass es nicht funktionieren wird", warf ihm Dröge "Ablenkung" vor. Vielmehr müsse man sich auf Migrationsabkommen auf Augenhöhe, einen fairen Verteilungsschlüssel in der EU und die Reduzierung von Fluchtursachen konzentrieren, ließ sie sich auch von seinen zahlreichen Unterbrechungen nicht vom Thema ablenken.
Alles "kleinteilige Debatten, die für die Politik interessant sind, aber für die Menschen da draußen nicht", konnte Dröge damit Soziologe Özvatan nicht überzeugen. Offen blieb für ihn die Lösung angesichts der alternden, schrumpfenden Gesellschaft oder wie man das Bleiben in Deutschland attraktiver machen könnte. Die Debatte wird weitergeführt, ob bei "Hart aber fair to go" oder an einem anderen Abend.