Kiew: Russland startet massive Bodenoffensive in ostukrainischer Region Charkiw

Die russische Armee hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew eine Bodenoffensive in der ostukrainischen Region Charkiw gestartet. Das Ministerium sprach von einem Vorstoß auf ukrainisches Gebiet mithilfe gepanzerter Fahrzeuge. (SERGEY BOBOK)
Die russische Armee hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew eine Bodenoffensive in der ostukrainischen Region Charkiw gestartet. Das Ministerium sprach von einem Vorstoß auf ukrainisches Gebiet mithilfe gepanzerter Fahrzeuge. (SERGEY BOBOK)

Die russische Armee hat nach ukrainischen Angaben eine massive Bodenoffensive in der Region Charkiw gestartet. Die russischen Streitkräfte hätten am Morgen versucht, mithilfe gepanzerter Fahrzeuge die ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen, teilte das Verteidigungsministerium in Kiew am Freitag mit. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte eine starke Antwort seines Landes an und bat die westlichen Verbündeten gleichzeitig um "zeitnahe" Militärhilfe.

Einem hochrangigen ukrainischen Militärvertreter zufolge stießen die russischen Truppen rund einen Kilometer in ukrainisches Gebiet vor. Das russische Verteidigungsministerium machte zunächst keine Angaben. Sollte der russische Vorstoß bestätigt werden, würde es sich um die größte Offensive Moskaus in der nordostukrainischen Region Charkiw seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 handeln.

Aus dem Verteidigungsministerium in Kiew hieß es, die Angriffe seien "zurückgedrängt" worden, es fänden jedoch weiterhin "Kämpfe unterschiedlicher Intensität" statt. Mehrere Einheiten der Reserve seien in die betroffene Gegend verlegt worden, um die Verteidigung zu stärken. Die ukrainische Zeitung "Ukrainska Prawda" berichtete unter Berufung auf Militärquellen von Kämpfen in mehreren Ortschaften an der russischen Grenze.

Präsident Selenskyj sprach von "heftigen Kämpfen entlang der gesamten Front". Die Ukraine werde "den Besatzer unweigerlich so zerstören, dass alle russischen Offensivvorhaben vereitelt werden", sagte er in einer in Onlinediensten veröffentlichten Videobotschaft. Der ukrainische Präsident rief die westlichen Verbündeten Kiews erneut zur Lieferung weiterer Militärhilfen auf. "Es ist wichtig, dass die Partner unsere Soldaten unterstützen (...) mit zeitnahen Lieferungen", forderte Selenskyj.

Das ukrainische Verteidigungsministerium erklärte, Russland habe am Vortag mehrere Luftangriffe mit gelenkten Bomben in der Gegend um die Kleinstadt Wowtschansk ausgeführt, die nahe der Grenze zur russischen Region Belgorod liegt. Regionalgouverneur Oleh Synegubow bestätigte verstärkten russischen Beschuss im Norden der Region Charkiw. Einem regionalen ukrainischen Behördenvertreter zufolge wurden in Wowtschansk, wo derzeit rund 3000 Menschen leben, und in mehreren nahegelegenen Ortschaften Evakuierungen ausgeführt.

Der für die russisch besetzten Teile der Region Charkiw zuständige, von Moskau installierte Vertreter Witali Gantschew erklärte im Onlinedienst Telegram, es fänden Kämpfe an "mehreren Abschnitten der Kontaktlinie" statt, "einschließlich der Grenzgebiete".

Ziel der russischen Armee ist es nach Einschätzung eines hochrangigen ukrainischen Militärvertreters, eine "Pufferzone" in den Regionen Charkiw und Sumy zu schaffen, um das ukrainische Militär daran zu hindern, die auf russischer Seite gelegene Region Belgorod weiter unter Beschuss zu nehmen. Über entsprechende Pläne hatte im März bereits der russische Präsident Wladimir Putin gesprochen.

In den vergangenen Monaten war die russische Region häufig von der ukrainischen Armee angegriffen worden. Zudem waren pro-ukrainische russische Milizen im März dieses Jahres sowie im August 2023 auf russisches Gebiet vorgerückt.

Russland versuchte seit Beginn seiner Invasion im Februar 2022, die Grenzregion Charkiw zu erobern; im Herbst 2022 musste sich die russische Armee von dort wieder weitgehend zurückziehen. Doch wie überall an der Front sind es auch in dieser Region seit dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive im Sommer 2023 die russischen Streitkräfte, die derzeit die Initiative haben.

Die USA bezweifelten, dass Moskau bei der jüngsten Offensive größere Fortschritte machen werde. "Wir erwarten keine großen Durchbrüche", sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. Die USA hätten "Vertrauen" in die ukrainischen Streitkräfte, erläuterte Kirby. Washington habe die Offensive erwartet. Russland habe während der monatelangen Hängepartie im US-Kongress bezüglich neuer Militärhilfen entsprechende Vorbereitungen getroffen.

Die USA gaben derweil zudem weitere Militärhilfe für die Ukraine im Wert von 400 Millionen Dollar (gut 370 Millionen Euro) bekannt. Die zu liefernden Rüstungsgüter sollen aus Lagerbeständen des US-Verteidigungsministeriums kommen - und somit rasch verfügbar sein.

ma/mhe