Klimaaktivist Thomas Gönner im Yahoo-Interview: "Alles dauert unglaublich lange"

Thomas Gönner von den Grünen ist aus der Klimabewegung kommend in der Kommunalpolitik tätig. Im Interview mit Yahoo spricht er über die Herausforderungen in der Politik und zivilen Ungehorsam.

  Klimaaktivist Thomas Gönner aus Baden-Baden (Bild: Jörg P. Bongartz)
Klimaaktivist Thomas Gönner aus Baden-Baden (Bild: Jörg P. Bongartz)

Herr Gönner, Sie kommen aus der Klimabewegung – und entschieden sich, durch Kommunalpolitik etwas verändern zu wollen. Wurden noch als Schüler Mitglied im Gemeinderat von Baden-Baden. Hat sich das fürs Klima gelohnt?

Thomas Gönner: Die handfesten Ergebnisse sind nicht so, wie sie sein müssten. Es ist aber extrem wichtig, dass eine Position wie von Fridays for Future in solchen Legislativen vorkommt. Im Gemeinderat sitzen nur sehr wenige, die für das Klima wirklich etwas ändern wollen. Es ist allein ein Erfolg, als Stimme da drin zu sein.

Klingt ernüchternd. Welche Bretter haben Sie da angebohrt?

Zum Beispiel wurde nach langer Arbeit für Baden-Baden ein Klimaaktionsplan verabschiedet. Wir von den Grünen sind mit vielem darin nicht einverstanden und haben auch letztendlich gegen ihn gestimmt. Denn der Plan gibt ein geringeres Ziel aus, als sich die Stadt schon 2010 gegeben hatte – und bei Reduktionen kaum etwas auf die Reihe gekriegt hatte. Das ist schon eine schlechte Performance. Zum Beispiel wird Windkraft im gesamten Stadtkreis grundsätzlich ausgeschlossen.

Mit welchem Argument?

Wir haben eine starke Anti-Windkraft-Lobby, die davon überzeugt ist, dass Infraschall Menschen krank machen würde, dass Windkraft gefährlich sei und die Natur verschandele.

Reicht das bis in die Grünen hinein?

Nicht in die Fraktion. Aber ich weiß von einigen Parteimitgliedern, die dieser regenerativen Energie skeptisch gegenüberstehen.

Ganz Deutschland redet über Windkraft, wie nun geklotzt werden soll – und dann sowas. Lässt Sie das verzweifeln?

Politik im Legislativbereich ist extrem langwierig, besonders die Kommunalpolitik. Alles dauert unglaublich lange. Und es dauert noch länger, wenn der Bund nicht voranschreitet, Fördergelder zur Verfügung stellt und Ziele ausgibt, sondern nur tröpfchenweise verteilt. Das macht es Kommunen einfacher, nichts zu unternehmen.

Frustriert das junge Leute, die sich in der Politik engagieren wollen?

Mit diesem klein-klein kommt meine Generation ganz gut klar, gerade jene, die von FFF in die Politik gehen: Wir akzeptieren das natürlich nicht, haben aber ein Verständnis dafür, wie die Prozesse laufen. Nur mit diesem Wissen können wir etwas ändern! Die aktuelle FFF-Gruppe in Baden-Baden besteht aus 16- bis 17-Jährigen – und sie diskutieren über Verfahrensfragen, kennen Gesetze und Gutachten. Die wissen über Klima und Windkraft mehr als die meisten Mitglieder des Gemeinderats.

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Streben eigentlich immer noch junge Leute in die Kommunalpolitik – oder ist der Schwung von vor zwei Jahren vorbei?

Damals, zur Hochzeit von FFF, gab es eine überhöhte Hoffnung von vielen. Da meinten manche, die Jungen strömen zu hunderttausenden zu den Grünen und auch anderen Parteien. Das passierte ja nicht in dem Ausmaß. Ich bin mir aber sicher, dass es bald eine radikale Verjüngung in den Kommunalparlamenten Baden-Württembergs geben wird – über Parteigrenzen hinaus. Schon der Bundestag hat sein Gesicht verändert: 50 Jusos und 30 Mitglieder der Grünen Jugend sind in ihn gewählt worden.

Ist die Zeit mit einer Million Klimademonstranten auf der Straße vorbei?

Pandemiebedingt ist das einfach unrealistisch. Aber in den nächsten Jahren kann das nochmal so kommen. Auch hat sich die Gesellschaft weiter politisiert. Die Leute sehen, dass sich etwas ändern muss.

Die Klimabewegung ist vielfältiger geworden. Neben FFF ist auch „Ende Gelände“ stärker geworden, und nun gibt es den „Aufstand der letzten Generation“. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Das ist nicht unerwartet, denn die Klimabewegung war nie homogen. Da gibt es eine starke zum Beispiel kapitalismuskritische Gruppe – und auch eine unterschiedlich ausgeprägte Bereitschaft, mit Parteien zusammenzuarbeiten. Das gemeinsame Ziel aber ist nicht verlorengegangen.

Wird die Bewegung radikaler?

Das sehe ich aktuell nicht. Wenn große aktivistische Bewegungen entstehen, gibt es in ihnen einen kleinen Teil, der zu Grenzverletzungen bereit ist. Das war bei den Achtundsechzigern so, aber auch bei uns und bei den so genannten Coronaprotesten. Ich halte es also für möglich, dass es Radikalisierungen geben wird – im Hambacher Forst wurden zum Beispiel Fahrzeuge der Forstwirtschaft mutwillig zerstört; das ist nicht mehr ziviler Ungehorsam, sondern darüber hinaus. Aber derzeit ist das keine Tendenz.

Es baut sich ja gerade eine Doppelfront auf. Einerseits sieht man die Herausforderungen durch den Klimawandel und andererseits die magere Bilanz des Erreichten. Von Jahr zu Jahr muss es doch einen zunehmenden Frust über das Ungleichgewicht zwischen diesen beiden Kräften geben. Das wird nicht in Aggression umschlagen?

Es gibt definitiv dieses Potenzial – aber nicht bei einer breiteren Masse. Was ich indes sehe: Die Bereitschaft, zivilen Ungehorsam zu leisten, steigt. Aktionen wie von der „letzten Generation“ oder von „Ende Gelände“ werden Zulauf haben.

Braucht es mehr Aufrüttelung und Provokation?

Ja. 70 Prozent der Deutschen sagen, dass wir mehr Klimaschutz brauchen. Aber das spiegelt sich nicht in den Wahlergebnissen wider. Es gibt noch einen Mangel an Bereitschaft, gewisse Maßnahmen mitzutragen – etwa den Lebensstil ein wenig ändern. Da kann Aufrüttelung helfen.

Was sagen Sie Autofahrern, die dringend zur Arbeit müssen, oder einer Ärztin, die dringend zu einer OP muss – und die im Stau stecken, weil die Straße von Klimaaktivisten besetzt wird?

Für zivilen Ungehorsam gibt es grundsätzliche Regeln, die alle lernen, wenn sie an solchen Aktionen teilnehmen. Wenn Straßen blockiert werden, dürfen Leib und Leben nicht gefährdet werden. Klar, da regen sich Leute auf. Aber dass zum Beispiel Krankenwagen aufgehalten wurden, ist ein Gerücht, das sich als falsch erwiesen hat. Ich traue den Menschen in der Bewegung des zivilen Ungehorsams zu, dass sie das Augenmaß besitzen, solche Situationen einzuschätzen.

Sind Sie immer noch optimistisch, was das Stemmen der Herausforderungen durch den Klimawandel angeht?

Optimismus ist das falsche Wort. Ich sehe keine Alternative. Es muss passieren, die Alternative ist nicht tragbar.

Was ist denn die Alternative?

Dass wir noch in diesem Jahrhundert globale Kipppunkte erreichen. Dann würde ich als 80-Jähriger eine Erderwärmung um vier Grad Celsius erleben – dann könnten 50 Prozent der derzeit von Menschen besiedelten Regionen weltweit nicht mehr so bewohnt werden. Wir haben dann Fluchtbewegungen von der Hälfte der Weltbevölkerung.

Baden-Baden würde wahrscheinlich einen guten Rotweinanbau kriegen.

Den haben wir jetzt schon. Und unsere Winzer müssen bereits ihre Rebsorten umstellen, denn für die bisherigen klassischen wird es in der Rheinebene zu warm. Da geht man nun auf Rebsorten aus dem Mittelmeerraum über. Das ist eine enorme wirtschaftliche Herausforderung für die Winzer.

Das Interview führte Jan Rübel