Kommentar: Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht verraten ihre Ideale

Spaltet die Linkspartei und hat mit Alice Schwarzer ein Manifest zum Ukrainekrieg geschrieben: Sahra Wagenknecht, hier beim einem Parteitag im Oktober 2011 (Bild: REUTERS/Thomas Peter)
Spaltet die Linkspartei und hat mit Alice Schwarzer ein Manifest zum Ukrainekrieg geschrieben: Sahra Wagenknecht, hier beim einem Parteitag im Oktober 2011 (Bild: REUTERS/Thomas Peter)

Die Publizistin und die Politikerin haben einen Aufruf gestartet – ein „Manifest für den Frieden“. Doch damit verraten sie die letzten Ideale der Friedensbewegung. Ihre bewusste Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriffskrieg Russlands beruht auf kaltem und zynischem Kalkül.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Schon eine Viertelmillion Menschen haben den Aufruf unterschrieben. Er klingt ja auch gut: Wer ist gegen ein „Manifest für den Frieden“? Den will man schließlich. Die Publizistin Alice Schwarzer und die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht wollen damit Einfluss auf unsere Politiker ausüben – damit sie keine weiteren Waffen an die Ukraine liefern und sich stattdessen für Verhandlungen einsetzen. Klingt schön. Bleibt aber in der Bullerbü-Blase.

Wer meint, sowas unterschreiben zu können, sollte sich diese Zeilen des Manifests genauer anschauen. „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden?“ Solidarität ist erstmal ein Akt, der keine Einschränkungen kennt – natürlich gibt es Grenzen. Aber die Schranke, die Schwarzer und Wagenknecht in diesem Fall senken, bedeutet: Den Ukrainern die Fähigkeit zur Verteidigung schmälern. Denn ein realistischer und empathischer Blick auf dieses Land zeigt, dass die Bevölkerung nicht gewillt ist, sich den russischen Angriffstruppen zu ergeben. Es wird also solange gekämpft und gestorben werden, bis der Aggressor ablässt – sei es durch Verhandlungen, durch Einsicht nach Zermürbung, was auch immer. Der Aggressor wird im Manifest genannt: Es ist die russische Regierung.

Alice Schwarzer und Co-Autorin Wagenknecht versuchen Verständnis für den Aggressor zu erwecken (Bild: Getty Images)
Alice Schwarzer und Co-Autorin Wagenknecht versuchen Verständnis für den Aggressor Putin zu erwecken (Bild: Getty Images)

Dann aber wirft das Duo eine erste Nebelkerze. „Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?“ Natürlich mach Selenskyi aus seinem Ziel kein Geheimnis, und das ist nie gewesen, Russland auf ganzer Linie zu besiegen. Niemals gab es nur einen klitzekleinen Hinweis darauf. Warum kommt diese Frage also um die Ecke? Es ist der erste von vielen Versuchen in diesem Manifest, Verständnis für den Gewalttäter zu äußern. Was ziemlich abscheulich ist.

Denn die beiden können sich schlicht nicht entscheiden. Zum einen präsentieren sie sich antimilitaristisch und pazifistisch. Und zum anderen kommen sie zu militärischen Expertisen, die übrigens realitätsfern sind. Eine Kostprobe liefern sie gleich zu Beginn ihres „Manifests“: „Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land.“ Das ist eine realitätsferne Einschätzung. Die Bürger der Ukrainer wehren sich recht erfolgreich gegen die Invasion, die beiden könnten vielleicht hierfür mal die „tagesschau“ einschalten. Und es sterben zwar viele Menschen, aber hin zu einer Entvölkerung des 43,79-Millionen-Landes wäre es sein weiter Weg. Hier greift das Duo in die Trickkiste der Dramatisierung, und dies nicht nur einmal: Denn die beiden schreiben: „Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt.“ Man kann über die Sinnhaftigkeit eines ukrainischen Angriffs auf die ukrainische Krim diskutieren – immerhin ist diese Region bereits seit 2014 – völkerrechtswidrig – annektiert; bei einem großen Problem wie dem aktuellen Krieg ist es clever, es in kleinere zu teilen und nicht gleich das große Fass aufzumachen. Woher die beiden aber ihre intimen Kremlkenntnisse eines „maximalen Gegenschlages“ haben, würde ich gern wissen. Genauer gesagt wäre es auch ein „Schlag“, kein Gegenschlag. Denn Russland bleibt der Aggressor. Auch in der Krim. Oder wollen die beiden mal eben elegant das Völkerrecht ignorieren?

Als herrschte Schweigen im Walde

Schließlich steigern sich die beiden zu einer maximalen Aussage: „Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.“ Das klingt ziemlich festgelegt. Noch ist in Wirklichkeit offen, wie sich dieser Krieg entwickelt. Aber mitnichten entschieden ist, dass die Ukraine ihr Territorium nicht verteidigen kann. Aus Russland macht dieses Duo zweierlei: Einerseits stellen sie den Staat als bedroht da, und andererseits beschreiben sie ihn mit militärischen Superkräften. Beides ist falsch.

Am Ende kommen die beiden dann zum Kern: „Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen.“ Erstens würde ein Ende von Waffenlieferungen die Ukraine schwächen, die derzeit angegriffen wird – Verhandlungen hin oder her. Und Russland macht aktuell keinerlei Anstalten, irgendetwas von Verhandlungen wissen zu wollen. Daher ist zweitens diese Forderung nur wohlfeil. Denn sie wird im Wissen ausgesprochen, in der eurasischen Tiefebene zu verhallen.

Es hat sich an der Lage leider nichts geändert: Der so genannte „Westen“ beschwört weiterhin die russische Regierung, von ihren Verbrechen abzulassen. Und sie macht weiter. Hinter den Kulissen wird viel geredet, ausgetestet, herangetastet. Die versteckte Agenda – sie ist entweder sehr gut versteckt, oder sie existiert nicht.

Dieser hochtrabend „Manifest“ genannte Kurztext springt unter jede noch so tiefe Inhaltslatte durch.

Worum geht es eigentlich?

Schwarzer und Wagenknecht verraten die letzten Ideale der Friedensbewegung. Sie tun so, als würde nicht genügend auf einem Verhandlungswege versucht. Damit können sie hübsch dastehen, aber Pazifismus nur für die Galerie ist im Grunde keiner. Denn ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Pazifismus nie deckungsgleich mit Gewaltlosigkeit war. Das Recht auf Verteidigung gegen einen Angriffskrieg war immer auch im Pazifismus gegeben. Und in diesem Fall sind die russischen Motive niedrig: Es geht nicht gegen Nazis, sondern gegen die Selbstbestimmung eines Volkes, gegen eine Kultur.

Doch Schwarzer und Wagenknecht meinen, es besser zu wissen. Besser als die überwältigende Mehrheit der Ukrainer. Sie reden über sie. Und teilen ihnen nonchalant mit, dass sie sich besser ergeben – mit all den grausamen Folgen.

Warum nimmt der Kreml all diese „Friedensbemühungen“ positiv auf? Mehrt das seine Bereitschaft, sich endlich zu Gesprächen hinzusetzen, die das Ziel haben, dass der russische Staat sich hinter seine eigenen Grenzen zurückzieht? Nein. Im Kreml finden sie Schwarzer und Wagenknecht toll, weil sie bestens in die manipulierende Staatspropaganda passen. Eine prima Rolle.