Kommentar: Berlinale-Tickets für die AfD – warum denn nicht?

Die beiden Direktoren der Berlinale, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, bei einer Pressekonferenz im Januar in Berlin (Bild: REUTERS/Liesa Johannssen)
Die beiden Direktoren der Berlinale, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, bei einer Pressekonferenz im Januar in Berlin (Bild: REUTERS/Liesa Johannssen)

Die Internationalen Filmfestspiele in Berlin haben ihren ersten Aufreger. Freitickets gehen an die Parteien, und damit auch an die AfD. Nun ist der Aufschrei dagegen groß. Er mag ehrlich gemeint sein. Bleibt aber ein Westentaschenrebelliönchen. Wer sich mit den Rechtspopulisten auseinandersetzen will, sollte weder selbst populistisch werden, noch diese Art von Hinterausgang wählen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wäre ich böse, würde ich schreiben: Die Filmwelt will sich bei ihrer Cocktail-Afterparty nicht stören lassen. Da will man lieber unter sich bleiben. Die Probleme der Welt, die man gerade auf der Leinwand begutachtete, draußen lassen. Das schreibe ich natürlich nicht. Aber was sich derzeit an Protesten dagegen regt, dass Vertreter der AfD wie die der anderen ins Berliner Abgeordnetenhaus oder in den Bundestag gewählten Parteien Freitickets zugeschickt bekommen haben, ist wohlfeil. Undemokratisch ist es auch zu nennen. Und zeigt, wie unbeholfen noch mancher im Umgang mit der AfD ist.

Unsere demokratisch verfasste Gesellschaft erlaubt es, eine nicht verbotene Partei wie die AfD zu wählen oder nicht. Unser Recht auf freie Meinungsäußerung und Entfaltung unserer Persönlichkeit macht den Raum frei für eine Auseinandersetzung mit den parlamentarischen Ausdrucksmöglichkeiten wie der AfD. Wir dürfen sie mögen oder sie hassen. Und wo die AfD sich anschickt, wie nicht selten, das Ding mit der freien Meinung, mit dem Respekt und der Persönlichkeitsentfaltung Anderen wegzunehmen, gehört ihr auf die Finger gehauen. Aber nicht dadurch, indem man ihr Freitickets vorenthält.

Warum überhaupt Freitickets für Politiker?

Doch ein offener Brief von 200 Leuten aus der Filmwelt fordert genau dies. Sowas ist Mut am falschen Ort. Eine Gratistapferkeit, die weg zu meditieren versucht, was nicht so einfach geht.

Worum geht es? Die Berlinale ist eine staatliche Angelegenheit, weil sie von der Öffentlichkeit finanziert wird. In den Händen gewählter Parteienvertreter liegt dies also. Und man kann sich darüber Gedanken machen, ob es Sinn macht, Abgeordneten überhaupt Freitickets zuzuschicken – weil sie in der Regel keine darbenden Studenten oder Zeitarbeiter sind. Das Geld für eine oder zwei Karten hätten sie schon. Wenn aber die Berlinale diese Art von Feedback an ihre indirekten Finanziers möchte, dann ist es nur folgerichtig, es an alle gewählten Fraktionen zu richten. Es schickt sich nämlich nicht für eine Festivalleitung, zu entscheiden, wer demokratischer legitimiert ist als andere. Ein Wahlkreuz bleibt ein Wahlkreuz.

Die Filmwelt steht auch nicht vor einem Dilemma. Es gibt da keine zwei sich ähnelnden Optionen. Entweder man handelt demokratisch oder nicht.

Ansonsten ist an einem Verweigerungsaufruf auch eine Menge anderes in die Irre gehend. Rechtspopulisten wie die AfD warten nur darauf, sich in eine Outsider-Position manövriert zu sehen. Die Opferhaltung ist die beliebteste Pose der AfD. Seht ihr, kann sie dann möglichen Anhängern zurufen, sie mögen uns nicht, weil…

…ja, warum eigentlich? Die 200 Unterschriften unter dem offenen Brief würden an dieser Stelle auf die faschistischen Strömungen innerhalb der Partei verweisen, auf die grassierenden Pläne einer als „Remigration“ verbrämten Ausweisungspolitik auf Grund allein rassistischer Motive. Bloß reagiert man auf Ausschluss besser nicht mit symbolischem Ausschluss von Orten, denen man einen gewissen Blasencharakter nicht absprechen kann.

Infografik: Wie viele Deutsche wollen die AfD wählen? | Statista
Infografik: Wie viele Deutsche wollen die AfD wählen? | Statista

Dies hat nichts mit dem Abbröckeln von Brandmauern zu tun. Eine Einladung zur Berlinale ist kein Kotau, kein Hinnehmen nicht hinnehmbarer Haltungen. Eine Auseinandersetzung mit der AfD ist zu führen. Aber dafür gibt es einen vielversprechenden Kompass.

Wir können auch anders

Gut wäre, den eingeladenen AfD-Politikern bei den Filmvorführungen und sich anschließenden Empfängen höflich, respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen. Ihnen klarzumachen, wie wenig ihre Kultur mit der auf den Leinwänden zu tun hat. Rechtspopulisten haben in der Regel eine Kultur, die in ihrer Enge eine nur sehr kleine Schnittmenge mit dem aufweist, was man auf einem Festival wie der Berlinale sieht – denn dort wird die Welt abgebildet, es werden Einblicke in Alltagswelten geschaffen. Ein AfD-Funktionär könnte, rein theoretisch, beim Anschauen von Berlinale-Filme einiges lernen. All dies könnte man bei einem Glas Prosecco ansprechen. Ich bin gespannt, was eine Kristin Brinker und ein Ronald Gläser zu sagen haben, wenn man sie zu einer engagierten Debatte über den gezeigten Film animiert. Was sie zur Förderung der Filmkultur in Deutschland zu sagen haben. Sie sich aber wegzudenken oder ihnen schlicht ignorierend bis feindlich zu begegnen, ist nur Wasser auf ihre Mühlen, die woanders stehen. Dort, wo es wirklich relevant wird.

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