Kommentar: Brauchen wir Jens Spahns "Pakt für Leistung und Fleiß"?
Der CDU-Politiker fordert schärfere Sanktionen, wenn Arbeitslose Jobangebote ablehnen. Womöglich geht es ihm weniger um Land & Leute, sondern um einen Tritt nach unten zum Aufstieg nach oben.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Wenn sich Politiker gegenseitige Pakte vorschlagen, versichern sie sich meist ihrer unterschiedlichen Haltungen. Es ist gerade mal wieder solch eine Periode, in der es nur so von Pakten hagelt. Da schlägt Kanzler Olaf Scholz (SPD) der Union in der Opposition eine Art Abkommen vor, um die Wirtschaftsprobleme des Landes gemeinsam anzugehen. Und aus der CDU schallt es zurück, man fordere einen „Pakt für Leistung und Fleiß“, wie es bei Jens Spahn heißt.
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Der Ex-Gesundheitsminister hat sich wieder gesammelt und will nochmal. Er ist jung genug, um seine Ambitionen nicht zu zügeln; langfristig sieht er sich als Parteichef und Kanzler. Das ist legitim. Nur fragt man sich, ob wir mehr Leistung und mehr Fleiß brauchen. Ich meine: Das können wir uns im Ernst fragen. Würde sowas etwas bringen?
Was meint Spahn eigentlich genau?
Konkret meint Spahn wohl damit, dass er die beschlossene Erhöhung des Bürgergeldes ablehnt. Und nun geht er weiter, mit dem von ihm ausgegebenen Motto: „Wer arbeiten kann, sollte arbeiten.“ Was meint er damit? Es sei eine Debatte nötig über die Frage, welche Folgen es für Menschen habe, die eine angebotene Arbeit nicht annehmen. Ihm gehe es nicht um diejenigen, die nicht arbeiten könnten - wegen Krankheit, Behinderung oder einer schwierigen Lebensphase. Für diejenigen solle es eine angemessene, vernünftige Unterstützung geben. Es gehe um 24-, 28-, 33-jährige „gesunde, fitte junge Menschen“ - bei ihnen habe er die Erwartung, dass ein Angebot für eine Qualifikation oder eine Arbeit angenommen werde, so Spahn. Wenn sie nicht angenommen werde, sollte dies auch stärkere finanzielle Konsequenzen haben als bisher - zumal in einer Zeit, in der es zigtausende offene Arbeitsstellen gebe.
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Ich verstehe Spahn so: Wenn wir mehr Arbeitslose in Arbeit kriegen, lösen wir das Problem, dass viele Stellen, gerade in der Facharbeit, unbesetzt bleiben und dies die Wirtschaft hemmt. Das klingt logisch, nach einer Win-Win-Situation. Bleibt nur der Realitätscheck.
Was hat welche Folgen?
Zum einen glaube ich schon, dass Arbeit an sich einen Beitrag zum persönlichen Glück leistet – da wir von Leistung sprechen. Eine Aufgabe haben, Struktur, Austausch mit Anderen, das ist alles nicht unwichtig. Und wenn dann mehr Geld in der Tasche ist, Armut reduziert wird – umso besser.
Ich habe indes praktische Fragen. Wenn Spahn nur die Jüngeren im Blick hat, müsste dies in den Vorschriften oder in einem Gesetz verankert werden. Das stelle ich mir als Nichtjurist schwierig vor; nicht, dass Spahn an „faule“ 20-ger denkt und dann dafür sorgt, dass einem 60-Jährigen vorgeschrieben wird, auf den Dächern zu tanzen. Was Spahn fordert, ist leicht herausposaunt und schwierig sinnvoll umgesetzt.
Überhaupt wird darüber gestritten, um wie viele Menschen es sich überhaupt handelt. Aus den Jobcentern heißt es, dass die Anzahl jener, die wirklich aktiv eine Arbeitsaufnahme vermeiden, sehr gering sei. Dem werden immer wieder Praxisbeispiele entgegen gehalten; es wird wohl beides geben. Festzuhalten ist, dass es schon jetzt Sanktionen und finanzielle Einbußen gibt, wenn man nicht mit den Jobcentern kooperiert. Ich kriege den Verdacht, Spahn hat weniger die Arbeitslosen und ihren möglichen Dienst für Deutschland im Sinn, sondern sein etwas angespanntes Verhältnis zur Solidarität.
Mit dem Finger auf den Nächsten
Die scheint bei ihm Grenzen zu kennen. Völlig skeptisch werde ich, wenn es um „Leistung“ und „Fleiß“ geht. Aus CDU und CSU ist in diesen Tagen dazu ein schier erheiterndes Lied zu hören. Es handelt in mehreren Strophen vom Niedergang des Landes, weil wir es nicht mehr drauf hätten. Das Gewinner-Gen sei uns abhanden gekommen, und im Gegenzug sind wir zu einer Republik aus Warmduschern geworden. Man hört diese Litanei bei den Bundesjugendspielen der Schulen, weil angeblich durch eine Reform der Siegesgedanke beschnitten werde (was nicht stimmt). Es geht weiter mit CDU-Mitgliedern wie Aki Watzke von Borussia Dortmund, der sein eigenes fehlendes Wissen rund um die DFB-Reform bei Spielweisen von Kindern in Fußballvereinen dadurch kompensiert, indem er fabuliert, es würden Gewinner und Verlierer wegfallen. Und von Rechtsaußen aus dem Bereich der AfD röhrt oft der Bass über die so genannten „Minderleister“, also jene, die für die Gesellschaft nicht genügend aufbringen. Momentan seien wir alle wie die deutsche Fußballnationalmannschaft – eben blamabel, eine „Made in Germany“ der anderen Art.
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Aus all dem spricht erst einmal eine gesunde Selbsteinschätzung. Denn wer kritisiert, sieht sich automatisch als „Mehrleister“. Also, der Spahn würde im Park die Blätter aufsammeln wie ein Wirbelwind, acht Stunden am Tag!
"Falsches Signal": Spahn empört über starke Bürgergeld-Erhöhung https://t.co/bLniWnjeLW
— ntv Nachrichten (@ntvde) August 30, 2023
Konstruierte Gleichheit
Da überrascht es nicht, dass Spahn ein Problem damit hat, wenn Arbeitslose mehr in der Tasche haben. Die Anhebung der Regelsätze kritisiert er. „Nach heutiger Rechtslage erhält eine vierköpfige Familie im Schnitt 2311 Euro an Bürgergeld. Damit hat sie faktisch so viel zur Verfügung wie eine Durchschnittsverdiener-Familie in Deutschland“, sagte Spahn in der „Bild“-Zeitung. Das stimmt so nicht. Denn Durchschnittsverdiener erhalten deutlich mehr Geld. Spahn verwechselt sie vielleicht mit Geringverdienern, die allerdings ihre Einkommen auf Antrag durch staatliche Hilfen aufstocken können – was den Beziehern von Bürgergeld natürlich nicht möglich ist.
Spahn konstruiert also eine Gleichheit, die nicht da ist. Und schafft damit einen Unterschied, einen Spalt, der umso größer ist. Geht es ihm darum? Dass sich die Mehrheit der Arbeitenden in Deutschland angeblich besser fühlt, wenn der kleinen Gruppe der nicht Arbeitenden mehr Steine in ihren Alltag gelegt werden? Wie eine Leistung oder wie ein Fleiß wirkt das für mich nicht.
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