Kommentar: Darf man Erdoğan die Hand geben?

Ein schwieriger Staatsgast steht vor der Tür. Recep Tayyip Erdoğan besucht Ende dieser Woche Deutschland. Kanzler Olaf Scholz wird ihn empfangen, natürlich. Aber beim Dinner sollte er ihm nicht nur nette Worte einschenken.

Vor einem Jahr auf dem G20-Gipfel in Bali: Olaf Scholz (links) und Recep Tayyip Erdogan
Vor einem Jahr auf dem G20-Gipfel in Bali: Olaf Scholz (links) und Recep Tayyip Erdoğan.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Vom Charakter her sind die beiden höchst unterschiedlich. Auf der einen Seite Olaf Scholz, der leise vor sich hin in Worten mäandernde Hanseat. Und auf der anderen Seite Recep Tayyip Erdoğan, der polternde Kraftkerl mit dem Hang zum verbalen Punch zwischen die Augen. Nun treffen der deutsche Kanzler und der türkische Präsident aufeinander, wenn nämlich Erdoğan eine Staatsstippvisite macht.

Der Zeitpunkt ist äußerst ungemütlich. Denn nach den mörderischen Hamas-Attacken vom 7. Oktober hat sich Erdoğan klar auf die Seite der Angreifer gestellt – die radikalislamische Palästinenserorganisation, die seit Jahren Gaza terrorisiert, nennt er "Befreier", während Israel "Kriegsverbrecher" sei. Das ist folgerichtig, unterstützt er aus strategischem Kalkül heraus die Hamas doch seit Jahren, bietet ihren Kadern Unterschlupf und Papiere. Das hat drei Gründe.

Erdoğan schaut auf eine islamistische Biografie zurück. Durch sie sieht er in der Hamas gewisse Ähnlichkeiten, was die Durchdringung von Politik mit Religion angeht. Zweitens ist Erdoğan mit antisemitischen Vorstellungen und Erzählungen aufgewachsen, er selbst verbreitet sie und lässt sie verbreiten. Und drittens benutzt er den Konflikt zwischen jüdischen Israelis und Palästinensern, um sich als die Rechte und die Würde und die Stärke der Muslime wahrender Sultan zu gerieren. Erdoğan benutzt alle und alles, wenn es ihm hilft. So auch diesen aktuellen Konflikt.

Also kommt er nun in ein Land, das die Solidarität und das Miteinander mit Israel zur Staatsräson erklärt hat. Da muss es knirschen.

Was soll Scholz also tun? Soll er ihm die Hand reichen, ihn umarmen, herzliche Pressekonferenzen mit ihm abhalten und sich der gegenseitigen Freundschaft preisen? Um es mit einem Satz aus den Sozialen Medien zu sagen: Es ist kompliziert.

Besser Löffel als Messer und Gabel

Natürlich ist Erdoğan als Präsident mit Respekt und Würde zu empfangen. Er soll meinetwegen ein Bankett im Kanzleramt kriegen, das quer durchs Gebäude geht. Und Scholz ist nicht Mesut Özil, bei dem man nur darauf gewartet hatte, dass man ihm eine fehlende Loyalität unterstellen konnte. Scholz hat eben kein türkisches Blut, um es platt zu schreiben. Aus dieser Position kann er sich mit Jedem auf einem Foto zeigen; der Ex-Fußballer hatte da weniger Glück. Und die beiden Länder verbindet eine sehr lange Geschichte, die übrigens weit, weit länger zurückgeht als in die vorigen Fünfziger, in denen die ersten "Gastarbeiter" nach Deutschland kamen. Sie prägten das deutsch-türkische Verhältnis indes noch einmal auf besondere und sehr nachhaltige Art. Da ist es wichtig, dass sich die Politik beider Länder auf Augenhöhe begegnet, sich intensiv austauschen kann – und vor allem ehrlich.

Erdoğan ist kein Typ, der Ehrlichkeit ihm gegenüber schätzt, Loyalität ist ihm wichtiger. Oder das Wahren eines gewissen Scheins, worum es ihm bei seinem Besuch gewiss gehen wird. Aber nur mit Ehrlichkeit kommt man beim Präsidenten weiter, denn ansonsten nimmt er sich, was er kann; eben auch auf Kosten anderer.

Was gesagt werden muss

Daher gibt es einige Gesprächspunkte, die mit ihm abgehakt werden sollten. Seinen Antisemitismus muss ihm Scholz ins Gesicht als solchen bezeichnen. Da reicht es nicht aus, sich nett gegenseitig zu versichern, that we agree to disagree. Und dann geht es um die Deutschen hierzulande, die eine türkische Familiengeschichte haben: Sie soll Erdoğan endlich in Ruhe lassen. Seit 70 Jahren betrachtet der türkische Staat sie in erster Linie als Türken, als SEINE Leute. Sie sind wertvolle Wählerstimmen und sollen genau jene Politik unterstützen, die gerade in Ankara angesagt ist. Das sind im Lauf der Jahrzehnte durchaus unterschiedliche Positionen gewesen – aber immer regierte der türkische Staat in Angelegenheiten in Deutschland hinein.

Krass sieht man das am Beispiel der DITIB. Diese Organisation strukturiert für die türkeistämmigen Bürger hierzulande das Religionsleben. Sie entsendet und bezahlt die Imame in den Gemeinden und setzt durch, was sie predigen. Die DITIB aber wird komplett vom Diyanet kontrolliert – dies ist die Religionsbehörde in der Türkei, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Erdoğan redet also mit. Warum sollte man ihm das weiterhin erlauben? Im Zweifel wird dadurch prinzipiell das Gemeinschaftliche, das Miteinander erschwert. Und vor allem das Eigenständige in der Heimat, die Deutschland ist.

Auf der anderen Seite ist Erdoğan schlicht ein wichtiger Player in der Regionalpolitik. Er hat ein Standing in Verhandlungen mit Russland, kann auf das Regime im Iran einwirken. Er ist natürlich in alle Bemühungen um ein besseres Auskommen der Nationen einzubeziehen, er wird gebraucht.

Ich denke, all diese Themen reichen für ein langes Abendessen mit vielen, vielen Gängen.

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