Kommentar: Das Pannenvideo der Verteidigungsministerin – warum eigentlich nicht?

Christine Lambrecht beglückt die Öffentlichkeit mit einem denkwürdigen Silvestervideo. So viel Unprofessionalität, so der Tenor, darf nicht sein. Dabei wirkt das Amateurhafte der Verteidigungsministerin schon fast sympathisch. Vorzuwerfen hat sie sich allerdings eines.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Gespräch mit Soldaten im Dezember (Bild: REUTERS/Thilo Schmuelgen)
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Gespräch mit Soldaten im Dezember (Bild: REUTERS/Thilo Schmuelgen)

Ungewollte Satire ist oft die beste. So gesehen ist Christine Lambrecht ein echter Coup gelungen. Die Bundesverteidigungsministerin meinte, zum Jahresende noch etwas loswerden zu wollen. Husch, husch stellte sie sich vor eine Kamera (iPhone 1?) und sprach spontan eine Art Rückblick. Und nun steht die Welt Kopf.

Warum? Zum einen das Setting: Wackelndes Bild, schlechter Ton. Im Hintergrund das Böllern des Berliner Feuerwerks – Lambrechts Stimme war zuweilen kaum zu verstehen. Dazu zerzauste Haare, alles ziemlich fahrig.

Und was man dann zu hören bekam, ließ die eigenen Haare steif abstehen. „Mitten in Europa tobt ein Krieg“, sagte sie. Das mochte man auch denken, angesichts der Böllerei in Berlin, wo junge Männer Krieg spielten. Aber die Ministerin erratisch weiter: „Damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen.“ Hm, also die Schabab aus Schöneberg könnte sie gemeint haben, die mit den waagerecht gehaltenen Silvesterraketen. Oder vielleicht doch nicht? Ach ja, da gibt es ja noch einen Krieg, nicht weit von Berlin, aber den hört man nicht, womöglich wie die Glocken, die Lambrecht nicht vernommen hat.

Jedenfalls war der Sprung, den die Sozialdemokratin von der Feststellung einer katastrophalen Lage für viele Menschen („Krieg“) hin zu „Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen“ recht groß. Sie verstolperte ihn.

Schrägheit war das Programm

Natürlich wird die Verteidigungsministerin in dieser außerordentlichen Lage krasse Begegnungen gehabt haben. Dafür kann man auch mal Dankbarkeit zeigen. Aber es in solch einer Silvesterbotschaft wie einen Supidupi-Event zu beschreiben, wird der Situation der Ukrainer, die im Luftschutzkeller ganz andere Böllerei über sich ergehen lassen müssen, nicht wirklich gerecht. Dabei heißt es doch, dass man sich an jenen orientieren soll, die am meisten leiden. Aber Lambrecht wollte irgendwie feiern.

Vieles andere an Kritik wegen dieses Comedy-Videos ist überzogen. Welcher Politiker wurde wegen seiner Frisur getadelt? Das ist übliches Bashing. Und auch die fehlende Professionalität der ganzen Aufnahme wirkt eben nicht wie aus dem Ei gepellt, aber fehlbar und menschlich. Fast privat; mit dem Unterschied, dass solch ein Öffentlichkeitsgang kraft ihres Amtes selbst an Silvester nie privat ist. Dennoch ist zu wünschen, dass sich Politiker in der Kommunikation mehr trauen. Dass nicht jedes Wort von einer Kohorte Pressesprecher vorher gedrechselt wird, dass nicht ein mobiles Fernsehstudio jede Umgebung in ein steriles Pseudo-Baywatch verwandelt. In der Künstlichkeit, die mit dem technischen Bilderfortschritt und der Durchdringung der Gesellschaft durch Socialmedia einhergeht, sehe ich nicht nur einen Vorteil.

Welch ein Drehbuch

Der Inhaber meiner Lieblingsvideothek schüttelte gestern zum Lambrecht-Video nur den Kopf, meinte, wenn dies keine Konsequenzen gebe, wisse er auch nicht weiter.

Ich weiß es wirklich nicht: Ist solch eine Realsatire ein Rücktrittsgrund? Haben wir als Staat so wenig Selbstbewusstsein, dass wir fürchten müssen, man nehme uns im Ausland wegen einer kurzen Standup-Minister-Nummer nicht mehr ernst?

Lambrecht hat sich eines in der Tat vorzuwerfen: Die Ukrainer, ihr Leid, ihren Kampf, erwähnte sie in ihrem „Einwurf“ mit keinem Wort. Sie sah nur „viele, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen“. Empathie hört sich anders an. Dafür muss sie die richtigen Worte jetzt finden. Ansonsten wird man tatsächlich den Eindruck nicht los, sie stehe sich selbst im Weg.

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