Kommentar: Der Mob von Chemnitz ist eine Schande für Deutschland

Im Zuge der Proteste in Chemnitz kam es zu rassistisch motivierten Übergriffen (Bild: Screenshot/AZeckenbiss/Twitter)
Im Zuge der Proteste in Chemnitz kam es zu rassistisch motivierten Übergriffen (Bild: Screenshot/AZeckenbiss/Twitter)

Ein rechter Mob marschiert durch Chemnitz. Man muss jetzt sagen: Es ist wieder soweit.

Ein Kommentar von Jan Rübel

In Chemnitz haben sich am gestrigen Sonntag viele Hutbürger ihrer Nationalität vergewissert, das hatten sie wohl nötig. „Wir sind das Volk“, skandierten sie – und angesichts ihres beschämenden Auftritts zeitigte es hoffentlich eine therapeutische Wirkung, sich der eigenen Staatsbürgerschaft sicher zu sein, wenigstens dessen. Also: Selbst wer sich derart daneben benimmt, bleibt im „Volk“. Vielleicht hilft es für die Zukunft. Aber ein bisschen mehr integrieren könnte sich mancher schon.

Was gestern in Chemnitz geschah, legte genau offen, was ein Teilnehmer einer AfD-Demo rief: „Wir sind doch eh alle Nazis.“ Nun, das erscheint übertrieben, weist aber in die richtige Richtung. Es marschierte wieder ein Mob. Nicht nur gewaltbereit, sondern auf Gewalt aus. Unbeteiligte Passanten wurden angegriffen, nur weil sie nicht weiß waren.

Ein Mob marschierte wie zu Zeiten der SA. Es ist wieder soweit. Dieser Mob hatte sich gebildet, weil in der Nacht zuvor ein Streit eskaliert war: Noch ermittelt die Polizei und gibt Informationen spärlich heraus (was Sinn macht, wenn man eines Täters habhaft werden will). Aber es steht fest: Ein Mann wurde getötet, zwei weitere Männer wurden verletzt, alle drei durch Messerstiche. Man weiß ferner, dass es einen Streit zwischen Männern aus mehreren Nationalitäten gegeben haben soll. Wer anfing, wer provozierte, wer drohte, schimpfte oder als erstes zu Gewalt griff, ist noch nicht bekannt. Aber weil der Tote und die zwei Verletzten Deutsche sind, kocht die Chemnitzer Seele hoch.

Dem Mob reichte es aus. Seine Rechnung: Nicht-Deutscher meuchelt Deutschen. Das gehe gar nicht, also Zeichen setzen.

Die Tankwarte von der AfD

Der Mob weiß mehr als die Polizei, unterstützt von der „Bild“-Zeitung, die voreilig berichtete, und natürlich sekundiert von der AfD, die es nicht abwarten konnte mit dem Anzapfen beziehungsweise Befeuern einer gewissen Wut. Als Tankwart würde ich kein AfD-Mitglied anstellen. Und natürlich war jenes Gerücht höchst effektiv, wonach am Anfang dieses tödlichen Streits eine sexuelle Belästigung gestanden habe. Sex zieht immer – er ist das rassistische Klischee schlechthin, dass die „Ausländer“ sich „unsere Frauen“ nehmen wollen.

Aber gehen wir einmal davon aus, dass ein Deutscher von einem Nicht-Deutschen getötet wurde, nehmen wir es also an, nur um diesen Mob zu verstehen: Welche Geschichte will er uns erzählen?
Will er weismachen, dass Nicht-Deutsche besonders darin auffallen, Gewalt gegen Deutsche auszuüben? Ist es so, dass ein „Bürger“, ob Hutbürger, Wutbürger oder einfach nur ein Mensch sich fürchten muss, wenn er gewisse Straßen passiert? Ist er seines Lebens nicht mehr sicher? Gibt es da Horden, die ihm den Weg versperren, die von ihm wollen, dass er anders lebt und statt Kloß mit Wurst nur Döner isst?

All dies ist nicht so. Die Polizeiliche Kriminalstatistik zitiere ich an dieser Stelle nicht mehr ausführlich, ein Verweis genügt. Die Polizei hat genau protokolliert, dass sich die Gewalt von nach Deutschland eingewanderten Menschen gegen deutsche Menschen, sei es ein Faustschlag oder ein tödlicher Messerstich, nicht derart erhöht hat, dass diese Gewalt im Meer der alltäglichen Gewalt, welche sich übrigens auch in Grenzen hält, herausragend wäre.

Was aber für den Mob den Unterschied macht: Ein Deutscher ist ihm offenbar mehr wert. Wenn der meuchelt, stünden dann die Leute in Chemnitz auf und protestieren? Ein „Ausländer“ soll in den Augen des Mobs den Mund halten, devot lächeln, brav seine Steuern zahlen und sich im Zweifelsfall ordentlich verprügeln lassen. Wer aber Unterschiede macht, ist ein Rassist.

Bei Gesprächen mit Rechtspopulisten fällt mir oft auf, wie selbstsicher und wissend sie auftreten. Ein Vergewaltigungsfall im Stadtpark? Hm, ja, die Polizei wird uns weismachen wollen, dass es KEIN Flüchtling gewesen sei… und wenn es der Kevin war, dann schaut man weg, passt nicht ins Bild.

Deutschland wird schlecht geredet

Das Bild, welches die Hutbürger von Deutschland malen, ist kein schönes. Sie entwerfen ein Szenario, nach dem hier Bürgerkrieg herrscht. Der Deutsche muss sich verteidigen, heißt es in dieser höchst abenteuerlichen Entfernung von der Wirklichkeit, in dieser Propaganda wie aus braunen Zeiten, oder wie es der AfD-Frontmann Markus Frohnmaier aktuell twitterte: „Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach! Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende ‚Messermigration‘ zu stoppen! Es hätte deinen Vater, Sohn oder Bruder treffen können!“

Frohnmaier lügt nicht nur. Er lügt, um zu hetzen. Er offenbart einen unmoralischen Charakter, für den seine früheren Schullehrer nur weinen können.

Fakt Eins: Der Staat schützt – weitgehend. Was aber den Staat und seinen Schutz offenbar herausfordert, ist ein rechter Mob, der wahllos Passanten angreift.

Fakt Zwei: Einen aggressiven und angreifenden Mob nenne ich keinen Schutz.

Fakt Drei: Messermigration klingt toll, diffamiert aber Menschen, die Frohnmaier kennenzulernen anscheinend vehement abwehrt.

Fakt Vier: Es kann jeden treffen, zum Beispiel beim Überqueren einer Straße.

Es gibt keinen Grund für Angstgequatsche. Nur, wenn man unbedingt Angst haben will. Übrigens haben viele Asylbewerber Angst. Sie fürchten sich vor jenen, die angeblich so viel Angst haben. Können diese deutschen Angsthasen nicht endlich eine Angsttherapie beginnen? Wer sich mit nicht allzu Deutschen unterhält, erfährt von dieser Achtsamkeit, von der Frage: Ist es hier sicher? Wie sind die Leute drauf auf der Party, zu der ich eingeladen bin, könnten sie mich bedrohen?

Denn die Gewalt von Deutschen gegen von ihnen als Nicht-Deutsche Empfundene ist die große Gewalt in unserem Land.

Chemnitz hatte gestern eigentlich Stadtfest feiern wollen. Es endete um 16 Uhr, zuerst offiziell aus Pietätsgründen wegen des Todesfalls. Allein diese städtische Verlautbarung ist mies. Hätte man das Stadtfest abgesagt, wäre ein Schwede oder ein Afghane tot über der Hecke gefunden worden? Später bestätigten die Verantwortlichen, dass der wahre Grund für die Absage die Furcht vor dem Mob war und die Sorge, nicht genug Polizeieinheiten mobilisieren zu können. Eine berechtigte Sorge, wie sich zeigen sollte.

Der Mob vom Sonntagabend war eine Schande für Deutschland.