Kommentar: Die AfD verklärt den Tod ihrer eigenen Leute

Ein prominentes Mitglied der AfD stirbt an COVID-19. Parteikader erheben ihn zum "Held der Freiheit". Damit zeigen sie, dass sie wenig von ihr verstehen. Und sie instrumentalisieren sein Leid.

Zu Beginn dieses Jahres: In Berlin werden Kerzen für die Coronatoten entzündet (Bild: REUTERS/Christian Mang)
Zu Beginn dieses Jahres: In Berlin werden Kerzen für die Coronatoten entzündet. (Bild: REUTERS/Christian Mang)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Als die Nachricht vom vor vier Tagen verstorbenen AfD-Politiker Bernd Grimmer kam, verbot sich dazu ein Kommentar. Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete war dem Coronavirus erlegen, Pietät und Respekt vor ihm sowie vor den Trauernden geboten, keine besserwisserischen und zynischen "Lehren" daraus zu ziehen.

Doch nun kommt die Politisierung seines Todes von anderer Seite. Nämlich von den eigenen Kameraden, die neben ihrer Trauer sein Ableben, das Aushauchen seines Lebens, stilisieren. Es macht, für einen Moment, sprachlos.

"Herr Grimmer hat seine Entscheidung gegen die Impfung getroffen"

"Herr Grimmer hat seine Entscheidung gegen die Impfung getroffen", schreibt die AfD Stuttgart in einer Erklärung. "Das Risiko war ihm ohne Zweifel klar. Er hat sich trotzdem dagegen entschieden, weil für ihn Freiheit wichtiger war. Er wollte nicht zum Versuchskaninchen von Pharmalobby und Altparteien Politiker degradiert werden. Für uns ist er ein Held der Freiheit und der Liebe zur Wahrheit. Freiheit ist nicht umsonst. Die alleinige Ursache seines Todes mit einer nicht-stattgefundenen Spritz-Injektion zu begründen, stellt eine reine Mutmaßung dar."

Nur der letzte Satz dieser Passage stimmt. Niemand weiß im Nachhinein, ob eine Impfung Herrn Grimmer das Leben gerettet hätte. Aber seine Überlebenschancen hätte sie massiv verbessert. Doch dazu schweigt die AfD, denn lieber will sie nicht zugeben, dass sie in der Corona-Impfdebatte zum Totentanz bittet, statt auf die Stimmen der Vernunft zu hören. Die AfD macht Geimpfte und Ungeimpfte vor Corona gleich. Beide würden in den Krankenhäusern liegen, beide daran sterben oder auch nicht. Das ist grober Unfug. Alle auf dem Tisch liegenden Fakten dokumentieren, wie stark eine Impfung vor Ansteckung und bei Infektion vor schwerem Verlauf schützt – man muss nur genau hinschauen, wer auf den Intensivstationen liegt und wer dort stirbt.

Alles eine Nummer zu groß

Im Tod ist nichts Heldenhaftes. Für welches Ziel, welches Bekenntnis hat Herr Grimmer diese Welt verlassen? Herr Grimmer hätte nicht sterben müssen. Welche "Liebe zur Wahrheit" ist hier gemeint, wird angedeutet, irgendjemand würde irgendetwas verschweigen? Statt Geraune wäre an dieser Stelle Klartext angesagt, aber dann müsste die AfD im Ländle ja sich im Argumentieren üben; offenbar eine schwierige Angelegenheit. Daher labern Herrn Grimmers Parteifreunde von "Pharmalobby" und "Altparteien" – das klingt hinreichend unscharf und kann seine Entscheidung gegen die Impfspritze zu einer Art "Widerstand" verklären, was es nicht ist: Man hat Herrn Grimmer nicht zur Impfung gezwungen. Die Konsequenzen dessen hat er erfahren müssen.

Doch beim AfD-Kreisvorstand weiß man mehr: "Dr. Bernd Grimmer hat sich bewusst gegen die Therapie ausgesprochen, weil er ahnte, dass es nicht bei zwei Spritzen bleiben würde und weil er klare Hinderungsgründe hatte, nicht daran teilzunehmen." Tja. Ich habe mittlerweile die dritte, und ich wüsste nicht, was dagegensprach. Unfreier fühle ich mich nicht. Und wenn als Versuchskaninchen, dann als eines inmitten eines gigantischen Versuchs, dieser Seuche Herr zu werden. Doch was waren seine Hinderungsgründe, in den Worten der Parteifreunde? "Zum einen wegen der unbekannten Langzeitwirkungen, zum anderen, und das ist der Kern, weil die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper immer dem jeweiligen Menschen gehört. Ein Staat, der das nicht achtet, ist eine Diktatur."

Die AfD lebt von der Opposition. So versucht sie sich groß zu machen, indem sie politisch Andersdenkende auch vergrößert und damit eine größere Gefahr entwirft: Der Staat wird im Zweifel bei Impfverweigerung Bußgelder verteilen, wie beim Durchsetzen der Gurtpflicht; mehr nicht. Die Verfügungsgewalt des Menschen über den eigenen Körper bleibt unangetastet – aber die märchenhafte Vorstellung von berittenen Impfpolizisten, die mit Spritzen an langen Lanzen durch die Straßen galoppieren, ist offensichtlich zu schön. Hier von "Diktatur" zu sprechen offenbart: Entweder hat man keine Ahnung von Demokratie oder man sehnt sich insgeheim eine Diktatur selbst herbei.

Der Stuttgarter Kreisvorstand erntete das zu erwartende Unverständnis ob seiner Worte. Dann legte er noch einen drauf.

Worum es nicht geht

"Das Recht selbst über die eigene Gesundheit zu entscheiden, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und ein selbst bestimmtes Leben waren ihm heilig", schreibt er über Herrn Grimmer. Nun, das würde jede und jeder von sich behaupten – abgesehen davon, dass es bei ansteckenden Erkrankungen für jeden Menschen auch um die Frage geht, welche Folgen der Blick nach innen für andere hat.

Dann werden die Schreiber der AfD Stuttgart zynisch.

"Fakt ist doch, dass jeden Tag Menschen sterben. Wer mit Intensivpflegern und Ärzten spricht, wird erkennen, dass Ungeimpfte genauso wie Geimpfte sterben." Der erste Satz ist banal, der zweite stimmt schlicht nicht. Ein Blick in die Daten würde helfen.

"Um den eigenen Tod ein wenig unwahrscheinlicher zu machen, sind sie bereit, alles zu ertragen. Sie verkaufen sich, ihre Freiheit und vielleicht auch mittelfristig ihre Gesundheit. Sie verlieren ihre Würde und beginnen, aufgehetzt von der Regierung und den Leitmedien, sogar Andersdenkende anzugreifen."

Nun, da geht einiges durcheinander. Von hinten aufgezäumt: Die Angriffe gibt es, aber bisher nahezu von Ungeimpften. Und wer gibt beim Impfen die eigene Würde ab, die Freiheit? Beides sind so starke Werte, das sie von solch einer Impfdebatte nicht im Geringsten berührt werden. Nur wer von Freiheit und Würde wenig versteht, kann auf diese Idee kommen. Und, ganz ehrlich: Um den eigenen Tod unwahrscheinlicher zu machen, bin ich gern bereit, eine, zwei, drei oder vier Impfungen zu ertragen; ein weiterer Arm ist mir infolgedessen immer noch nicht gewachsen.

"Es gibt jedoch Menschen, die die eigene Sterblichkeit vor Augen haben, ihren Frieden damit geschlossen haben, denen klar ist, dass es falsch ist, das eigene Leben um jeden Preis zu verlängern." Der Preis, den Herr Grimmer hätte entrichten müssen, wären zwei Spritzen gewesen, wie sie mittlerweile 3,63 Milliarden (!) Menschen sich gegeben haben; Einbußen an Freiheit, Würde oder körperlichem Wohlbefinden waren bisher in keinem Land der Erde zu beobachten – die zweifellos vorhandenen Impfschäden bis hin zu Todesfällen bleiben marginal, werden nicht vertuscht und dokumentieren die Sinnhaftigkeit der Impfungen.

Das Leben ist doch schön

Doch dann wird der AfD-Text über die Menschen mit der eigenen Sterblichkeit vor Augen (wer hat dies nicht?) romantisch: "Dass auch hier eine Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit zu treffen ist. Die lieber etwas riskanter, doch dafür intensiver und freier leben möchten, die auch im Angesicht des Todes Ihre Würde bewahren möchten und es können."

Will der Kreisvorstand Stuttgart uns sagen, dass AfD-Wähler*innen intensiver und freier leben? Pietät und Respekt vor Herrn Grimmer und den Angehörigen verbieten, darauf näher einzugehen, denn Ironie, Humor und Satire würden sich hier schreiend anbieten; nur dass: So viel Hang zum Hippietum hätte ich den Kreisvorstandsmitgliedern Stuttgart nicht zugetraut.

Am Ende heißt es dann: "Der Tod gehört zum Leben, so wie die Geburt. Vielleicht sind diese Menschen sogar gläubig und glauben an ein Leben nach dem Tod. Das ist zu akzeptieren. Auch in dieser kranken, hedonistischen und angsterfüllten Zeit." Ja, jeder Tod ist zu akzeptieren. Das heißt aber nicht, dass man nicht versuchen könnte, vermeidbare Tode zu verhindern. Und nein: Unsere Zeit ist weder krank noch hedonistisch. Solche Sicht ist lebensabgewandt. Unsere Zeit ist sehr lebendig, es passiert vieles; vielleicht in den Augen eines Rechtspopulisten zu viel, aber das offenbart nur seine eigenen Defizite. Vielleicht empfinden die Autoren jener Zeilen deshalb "hedonistisch" offenbar als negativ. Hedonismus stellte und stellt im philosophischen Sinne die Lust in den Vordergrund. Er meint die Lebenslust. Darin ist nur Gutes. Nur Lebensfeinde sehen darin Oberflächliches, rein Materielles oder sonstwie schlechtes.

Herrn Grimmer hätte ich ein längeres Leben gewünscht. Ein intensives, voller Lebenslust, wie er es sicher geführt hat. Seiner Familie und seinen Lieben mein aufrichtiges Beileid.