Kommentar: Die doppelte Staatsbürgerschaft ist kein Ausverkauf

Die Bundesregierung will das Geburtsrecht stärken: Wer keine Vorfahren in Deutschland hat, kann leichter Deutscher werden. Geschichtsvergessene ohne Lösungsziel finden das vielleicht schlecht. Aber es ist richtig und überfällig.

Eine Sammlung elektronischer Pässe in Deutschland im Jahr 2017 (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Eine Sammlung elektronischer Pässe in Deutschland im Jahr 2017. (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Früher einmal, als sich unsere Ahnen am Lagerfeuer versammelten, erzählten sie sich dies und das. Raunten über den Neuling, der sich in der vorigen Woche blicken ließ. Und der gut daran tat, davonzulaufen. Denn Fremde wurden aus Angst rasch einen Kopf kürzer gemacht; das Weltbild reichte meist von der linken bis zur rechten Hand.

Einiges hat sich seitdem geändert. Im heutigen Deutschland gibt es Städte wie Berlin, das vor 250 Jahren auf eine Politik der Einwanderung setzte. Seitdem ist es schwierig geworden, einen Berliner zu finden, der sich als Ur-Berliner zurecht bezeichnet. Vielmehr gilt: Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?

An einem aber hat die deutsche Politik bis heute festgehalten, nämlich am Abstammungsrecht. Da wurde auf die Blutlinie geschaut, wenn es darum geht, wer einen deutschen Pass hat oder nicht. Es ist die Beschwörung des mittelalterlichen Lagerfeuers. Romantisch wirkt es weniger. Mehr als der Ausdruck eines Mangels. Wer jetzt noch Angst verspürt, wenn ein "Fremdling" vorm Gartenzaum spazieren geht, sollte mal seine Persönlichkeit checken. So cool war das Mittelalter womöglich auch nicht.

Manche sind gleicher

Dann wurde das Abstammungsrecht aufgelockert. Wer aus dem EU-Ausland kam, konnte leichter Deutscher werden – auch, ohne die ursprüngliche Staatsbürgerschaft abgeben zu müssen. Doch für die große Gruppe der vor Jahrzehnten aus der Türkei Eingewanderten und ihrer Kinder sowie Kindeskinder gilt es bis heute nicht. Da drängt sich schon die Frage auf: Warum soll einem Menschen mit türkischer Geschichte in seiner Familie, der hier geboren und aufgewachsen ist, nicht möglich sein, was einem Italiener, der vor ein paar Jahren kam, erlaubt ist?

Die Neunmalklugen mögen einwenden: Tja, letzterer soll doch auch nicht diesen tollen Schatz kriegen. Aber wie bereits geschrieben: Lagerfeuer ist keine Lösung mehr. Und es ist zigmal bewiesen, wie wichtig, positiv und einfach normal es ist, dass die Menschen in einer Gesellschaft auf einer Augenhöhe agieren, zum Beispiel auch dann sich politisch betätigen, eben etwa durchs Wahlrecht.

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Infografik: Türk:innen in Europa | Statista
Infografik: Türk:innen in Europa | Statista

Lauter Ausreden

Türken wurde eine gewisse Loyalität abverlangt. Entweder du gibst deine türkische Staatsbürgerschaft ab, oder du kriegst nicht die deutsche. Es war lächerlich. Wer nach Erklärungen dafür sucht, landet ausschließlich in den Gefilden des Rassismus. Woandershin geht es nicht. Die Staatsbürgerschaft ist die Dokumentation eines Faktes. Und die deutsche ist allen Bemühungen zum Trotz, in uns etwas Besonderes zu sehen, auch nicht herausragend wertvoll. Es geht vielmehr um Gerechtigkeit, um einen Realitätscheck.

Wer sich dem verweigert, versucht sich nicht nur auf Kosten Anderer aufzuhübschen (und wird dadurch erst recht hässlich), sondern bleibt im Moment stecken. Hat keine Ahnung, wohin es mit ihm und dem Land gehen soll. Das Einfrieren dieses Augenblicks funktioniert vielleicht auf der Kinoleinwand oder auf dem Computerbildschirm. Aber beim Übergang ins Dreidimensionale gerät dies zu einem mehrstufigen total fail.

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