Kommentar: Die FDP steht vor der Frage ihres Lebens

Sie küssten und sie schlugen ihn: Die Liberalen zeigen einen rätselhaften Umgang mit dem Regierungsapparat – dem sie in der Ampel selbst angehören. Ihre Unsicherheit hat einen Grund. Nur mit der Koalition kann die FDP überleben. Als Renegat würde man sie zwischen den Linien aufessen. Doch dies anzuerkennen, fällt schwer.

Haben auch mal gut lachen: FDP-Vize Wolfgang Kubicki (links) und Parteivorsitzender Christian Lindner im  Berliner Hauptquartier im Jahr 2017 (Bild: REUTERS/Ralph Orlowski)
Haben auch mal gut lachen: FDP-Vize Wolfgang Kubicki (links) und Parteivorsitzender Christian Lindner im Berliner Hauptquartier im Jahr 2017 (Bild: REUTERS/Ralph Orlowski)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Das soll einer verstehen. Vor wenigen Tagen noch holte FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki die ganz große Keule aus seinem Nachtschränkchen und verglich Koalitionspartner Robert Habeck von den Grünen mit Wladimir Putin. Es ging um irgendeinen kleinen Kram, der Vergleich passte nicht nur nicht, sondern … vergessen wir es besser. Jedenfalls war diese Stänkerei nicht als freundlicher Akt misszuverstehen. Die FDP zeigte sich mal wieder als Mr. No in der Regierung.

Doch sie können auch anders.

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Zuerst indes haute Kubickis Vorsitzender Christian Lindner in eine ähnliche Kerbe. Noch zum Wochenende hin diktierte er einem Interviewer seine ablehnende Haltung als Bundesfinanzminister gegenüber einem grünen Kernprojekt: die Kindergrundsicherung. Lindner zeigte sich aalglatt und wie einer, der Armut wirklich nicht versteht. Für die Kindergrundsicherung sehe er kaum Spielraum, und er verwies auf die bereits realisierte Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro. Eine Kindergrundsicherung soll vor allem Kinder in ärmeren Familien besserstellen. Da machte Lindners Haltung nur Sinn, wenn man ihm komplette Ignoranz unterstellt: Was haben Kinder arbeitsloser Eltern davon, dass eine Millionärsfamilie mehr Kindergeld bezieht? Realitätsferner konnte man kaum sein – und das kurz nach den allein von der FDP durchgeboxten Mehrausgaben für den Ausbau mehrerer Autobahnstrecken in Deutschland. Man muss halt Prioritäten setzen.

Vielleicht aber merken die Liberalen, dass sie zu sehr überdrehen. Zu sehr die Grünen verärgern, welche sich deutlich konstruktiver ins Regieren einbringen, während die FDP in Klientelpolitik verharrt.

Meckern können sie

Und so dreht man in der Parteizentrale langsam bei, zumindest deutet es sich an. Kubicki zum Beispiel weist nun mit seiner Keule in eine andere Richtung und sagte aktuell: Er habe keine Sehnsucht nach einem Bündnis mit CDU und CSU. „Ich kenne niemanden in der FDP, der sich aktuell Schwarz-Gelb zurückwünscht.“ Die Grünen seien zwar „anstrengend“, aber die Union sei „unzuverlässig“ und „hinterhältig“. Abgesehen davon, dass Kubicki hier auf Lehrer macht, der Haltungsnoten verleiht und man wirklich nicht versteht, woraus nun Unzuverlässigkeit und Hinterhältigkeit der in der Opposition stehenden Unionsparteien besteht – es war wohl ein Liebesbeweis für die Ampel. Eben à la Kubicki.

Und auch bei Lindners Desinteresse für Kinderschicksale deutet sich eine Kehrtwende an. Eine Regierungssprecherin wies am vergangenen Montag darauf hin, solch eine Grundsicherung ja als Vorhaben von der Koalitionsvorhaben beschlossen sei. Die Zeichen stehen auf Verhandlung. Die Frage scheint nur zu sein, wie viel sie kosten wird.

Also was denn nun

Denn in all dieser Krise weiß die FDP gerade nicht, ob Hü oder Hott. Die vergangenen Wahlen hatte sie krachend verloren, die Frage der Daseinsberechtigung steht wieder im Raum. Braucht es in immer liberaleren Zeiten eine liberale Partei? Und wenn ja, dann solch eine wie die FDP? Die FDP steht vor der Frage ihres Lebens.

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Ihre bisherigen Versuche als Erbschaftsverwalter der Reichen haben wenig Erfolg gezeitigt. Und immer nur zu sozialen und ökologischen Visionen nein zu sagen, ist auch keine Lösung. Die FDP braucht eine Vision. Innerhalb der Ampel. Denn die Partei braucht den Eindruck einer Gestaltungskraft. In der Opposition ist gerade kein Platz für sie: Die Union grast geschickt auf allen Wiesen, während Linke und AfD ihre Ränder pflegen. Die FDP stünde auf ihnen nutzlos herum. Und all dies in Zeiten abnehmender Umfragewerte, welche alle Ampelparteien erfassen: Eine neueste Erhebung sieht erstmals keine Mehrheit mehr für die Koalition.

Nur muss die FDP es hinkriegen, dass diese Bundesregierung als ihr Projekt wahrgenommen wird. Nicht nur als jener Player, der die Grenzpfähle einschlägt, sondern der versucht, das Land nach vorn zu bringen.

Lindner und Kubicki spüren gerade: Draußen vor der Tür weht ein kalter Wind. Dann doch besser drinbleiben und dafür sorgen, dass der Ofen nicht erlischt.

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