Kommentar: Diese beiden Männer wollen das höchste Staatsamt
Und keiner von ihnen heißt Frank-Walter Steinmeier. Max Otte tritt für die AfD an, Gerhard Trabert für die Linke. Die Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten trennen Welten – aber es gibt auch Gemeinsamkeiten. Und sie erzählen einiges über die Parteien, die sie aufstellen.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Der Bundespräsident ist ein bisschen das Aushängeschild der Republik. Er repräsentiert. Knallharte Politik betreibt er nicht, dafür soll er uns ins Gewissen reden, Orientierung vorgeben. Wen die Parteien für dieses Amt ins Rennen schicken, sagt also einiges aus über sie selbst.
Im Bundestag sitzen sich Linke und AfD als Antipoden gegenüber. Die eine Partei hat ihr Programm im Namen, die andere beschreibt sich verdruckst als Alternative, ist aber stramm rechts. Und beide haben Männer nominiert, die bei ihnen nicht Mitglieder sind, also weitere Ausstrahlung haben sollen, aber doch auch die Parteien ein Stück weit repräsentieren; sozusagen als deren eigene Bundesparteipräsidenten.
Wer sind also Max Otte und Gerhard Trabert? Und wofür stehen sie?
Beide waren oder sind Professoren. Sie haben Bücher geschrieben. Ihre Heimatorte sind nur 180 Kilometer voneinander entfernt. Aber beim selbst verfassten Lebenslauf liegen sie schon weiter auseinander.
„Max Otte ist Unternehmer, Publizist, Philanthrop und politischer Aktivist“, heißt es auf seiner Website. „Die Zeit nannte Ihn ‚einen der angesehensten Ökonomen Deutschlands‘, das Handelsblatt den ‚renommierten Krisenökonomen‘“. Jo, das klingt selbstbewusst.
Trabert dagegen beginnt so: „Alter spielt keine Rolle, aber ich wurde in Mainz geboren. Ich bin stolzer Vater von 4 – mittlerweile erwachsenen – Kindern und seit Kurzem sogar Großvater. Aufgewachsen bin ich in einem Mainzer Waisenhaus, aber als Privilegierter, denn mein Vater arbeitete dort als Erzieher. Meine Kindheit war sehr schön, aber auch mit der Erkenntnis verbunden, dass es anderen Kindern deutlich schlechter geht als mir!“
Jeder setzt halt seine eigenen Prioritäten.
Der Wissensweg
Otte studierte Wirtschaftswissenschaften und Politikwissenschaft, er ging in Forschung und Lehre, verdiente Geld als Fondsberater und Fondsaufleger. Er sammelte Geld ein, um es für sich und andere zu vermehren. Trabert sammelt es ein, um es gleich für andere auszugeben, vor allem für Wohnungslose. Nach seinem Studium der Sozialpädagogik und dann der Medizin wurde er Arzt. Otte ging ins Ausland zum Studieren, Trabert für Hilfseinsätze.
Otte sah in den Nullerjahren den Finanzcrash voraus, weswegen man ihn zuweilen wenig freundlich einen „Crashprophet“ nennt, als einen mit simplen und populistischen Lösungen – aber immerhin hat er vorausgesehen, was anderen nicht gelang. Ottes Alltag spielt sich ab in klimatisierten Büroräumen, der von Trabert auf der Straße. Mit einem Wohnmobil betreibt er aufsuchende Hilfe für Wohnungslose, ist ein „Armendoktor“.
Als seit 2015 viele Menschen nach Deutschland flüchteten, gehörte Otte zu den Erstunterzeichnern einer Erklärung, die sich gegen die „Beschädigung Deutschlands“ wandte, als sei der Staat eine Wertanlage, und sah eine „illegale Masseneinwanderung“ – aus Krieg und Vertreibung; zur selben Zeit fuhr Trabert auf Rettungsschiffen durchs Mittelmeer, um jene, über die Otte schrieb, nicht ertrinken zu lassen.
Man könnte sagen: Otte seht für oben und Trabert für unten. Aber wie so oft lässt sich das Leben nicht in Schwarz und Weiß beschreiben.
Der Blick auf die Finanzwirtschaft
Otte ist kein Hyperturbokapitalist. Er sieht in Sparkassen und Genossenschaftsbanken wichtige Stabilitätsfaktoren – bei einer von ihnen unterhält Traberts Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ sein Spendenkonto. Otte forderte eine Finanztransaktionssteuer und kritisiert, der Finanzsektor habe die Politik gekapert. Er sieht einen Beutekapitalismus zum Vorteil von Superreichen.
Um die Opfer von letzteren kümmert sich Trabert. Auch er fordert eine höhere Besteuerung von Reichen und vor allem mehr Gerechtigkeit für einkommensschwache Bürger; Trabert treibt die sozialen Ungerechtigkeiten in Deutschland an.
Die Bremse nicht gefunden
Otte schießt dann übers Ziel hinaus und forderte etwa während der Finanzkrise, Griechenland pleitegehen zu lassen. Da war ihm das unten recht egal. Während Otte in Migration nur Lästiges bis hin zu Bedrohung sieht, macht Trabert das Menschliche aus, bleibt nah an den Menschen.
Es scheint auch, dass er sich mehr treu bleibt. Bei Trabert ist eine Radikalisierung in seiner Biografie nicht zu erkennen, trotz des Leids, dem er sich kontinuierlich aussetzt. Otte dagegen biegt seit einigen Jahren scharf rechts ab. Seine Kritiken am Wirtschaftssystem münden langsam und zielsicher in Verschwörungserzählungen. Wikipedia zitiert ihn als Redner bei einer Querdenker-Kundgebung: „Corona und Bargeldabschaffung sind zwei Seiten einer Medaille. Das sind Geschäftsmodelle. […] Da stehen finanzstarke Lobbys dahinter.“ Das sind große Worte, einfach mal rausgehauen, ohne Begründung, ohne Beleg und Hinweis; so kritisch man den Kapitalismus auch sieht. Otte tut so, als würde er etwas hinter den Kulissen erblicken. Er ist eben der „renommierte Krisenökonom“. Von Trabert ist kein großer Welterklärungsversuch zu hören. Dafür auch weniger Stuss.
Otte inszeniert sich in letzter Zeit gern als Opfer. Er solidarisiert sich mit Rechten, die er einer „Hetze“ ausgesetzt sieht. Trabert dagegen hat wirkliche Opfer im Blick. Eigentlich ist Otte Mitglied in der CDU. Doch deren Nerven werden von ihm zunehmend strapaziert. Sollte der Vorsitzende der Werteunion, ein Verein von Unionsmitgliedern, die den konservativen Markenkern von CDU und CSU herausstreichen wollen, tatsächlich für die AfD kandidieren, dann wird ein Parteiausschlussverfahren die logische Folge sein.
Mit Otte hat die AfD einen Kandidaten gefunden, der sich von vielen Menschen abwendet. Und die Linke mit Trabert einen, der zu ihnen geht.
VIDEO: CDU und CSU unterstützen Wiederwahl von Steinmeier zum Bundespräsidenten