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Kommentar: Ein Jahr Ampel-Regierung im Bund – Was lief gut und was war schlecht?

Eitel Sonnenschein, wenigstens im Sommer: Mitglieder der Bundesregierung bei ihrer Klausur in Schloss Meseberg im August (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
Eitel Sonnenschein, wenigstens im Sommer: Mitglieder der Bundesregierung bei ihrer Klausur in Schloss Meseberg im August (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Erstmals wird der Bund von einer Dreierkoalition regiert: SPD, Grüne und FDP bilden die „Ampel“. Doch wie war das erste Jahr? Ein Dauerstopp auf Rot oder schaltete es auch mal auf Grün? Vielleicht sagt die Wartephase Gelb am meisten über den Zustand dieser Regierung aus.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wirklich nicht unwichtig für die aktuelle Bundesregierung ist die Einschätzung eines Vorgängers aus der Opposition. „Guten Morgen Deutschland!“, twitterte heute der CDU-Endlosminister Peter Altmaier, nunmehr ein „Bürger“. „Heute vor einem Jahr war Regierungswechsel: Unaufgeregt & demokratisch-normal. Darum beneiden uns Viele auf der Welt. Nicht alles läuft gut, das tut es nie - aber dieses Deutschland ist das beste, das wir jemals hatten!“ Altmaier war immer bekannt dafür, auch jenseits der Parteibuchhorizonte zu denken, bei aller Passivität seiner eigenen Regierungskunst. Und es stimmt: Totalausfälle, Krisengestotter und Untergangsstimmung haben sich mit dem Beginn der neuen Koalition nicht breitgemacht. Irgendwie läuft es. Nur wie genau?

Vieles hatte sich dieses Bündnis vorgenommen. Eine neue Einigkeit sollte demonstriert werden, neue und pragmatische Sachlichkeit. Modernität. In der Gänze lässt sich feststellen: Die gute Partylaune war schnell vorbei. Pragmatisch reagierte man schon. Aber echte Modernität sieht anders aus.

Keine Bundesregierung zuvor wurde mit einem Krieg vor der Haustür konfrontiert. Dies hat die Uhren auch in Berlin neu gestellt. Krisenmanagement war angesagt, es fraß Zeit und Ressourcen und schliff einige Reformprojekte.

Das sind die Pluspunkte dieser Regierung

Im Familienrecht wurde das Land tatsächlich moderner. Da wird der Alltag von Lebensgemeinschaften offener geregelt. Auch das Selbstbestimmungsrecht räumt neue Rechte ein, wie den Namens- und Geschlechtswechsel im Pass. Und das leidige „Werbe“-Verbot für Ärzte, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren, kippte FDP-Justizminister Marco Buschmann ebenfalls.

Wirklich fleißig war die Regierung im Arbeitsbereich. SPD-Mann Hubertus Heil lieferte den Zwölf-Euro-Mindestlohn und tauschte Hartz IV gegen das Bürgergeld ein. Damit hat der Bund den schlechter gestellten Bürgern zu mehr Teilhabe und Rechten verholfen – neue soziale Standards gesetzt.

Die Wirtschaft drohte im Schatten des Krieges zu brennen. Aber da holte man im Kanzleramt zuerst einen „Wumms“ und dann einen „Doppel-Wumms“ aus dem Schrank, sprich: viel Geld. Das beruhigte, die Wirtschaft brach nicht ein – und Bürgern wurde geholfen.

Im Zuge der Energiekrise, auch ausgelöst durch den Krieg, reagierte die Koalition pragmatisch. Die Grünen räumten bisherige Positionen, holten Kohlekraftwerke zurück, verlängerten Atomstrom und kauften teures Flüssiggas. Bloß nicht den Mittelstand verschrecken, hieß wohl die Devise. Man kann über diese Heftigkeit erschrecken, auf jeden Fall dokumentierten die Grünen ihre Fähigkeit, für die Haltungen vieler Bürger und nicht nur für die ihrer Wähler mitzudenken; so wachsen Volksparteien heran.

In der Außenpolitik punktete die Ampel ebenfalls über die Grünen. Annalena Baerbock installierte mehr Haltung bei den Diplomaten, legte sich mit Autokraten an, zeigte Empathie und Rückgrat.

Im Agrarwesen und im Tierschutz gab es erste Fortschritte. Schwer war das nicht, nach Jahren des Nichtstuns unter CDU/CSU-Ministern. Zumindest eingeleitet wurde die Agrarwende hin zu mehr Ökologischem, mit Zielvorgaben und leisen Priorisierungen. Und ein Tierschutzlabel kommt.

Ansonsten können sich die Bürger über mehr Kindergeld freuen, über handfeste Pläne zum Wohnungsbau und darüber, dass auch ein nichtkonservativ geführtes Innenministerium Sicherheit ernst nimmt. Aus dem Verkehrsressort kommt eine gute Meldung: Das Neun-Euro-Ticket bewährte sich und findet wenigstens einen klein geratenen Nachfolger.

Das sind die Minuspunkte dieser Regierung

Schief lief einiges. Beim Doppelwumms zum Beispiel regiert das Gießkannenprinzip; Reiche profitieren unnötigerweise, während andere drohen, im Bürokratiedschungel nicht rechtzeitig Unterstützung zu finden. Auch staunt, ganz ehrlich, das Ausland über diese Wummserei: Sie verhagelte die Gas- und Strompreise nach oben, war europaweit nicht abgesprochen und im Grunde egoistisch, nach dem Motto: Sollen im Zweifel doch andere die Loser sein.
Darüber hinaus machte Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen eine unglückliche Figur beim Hin und Her mit den Gaspreisen: Zwischenzeitlich schien er gewisse Tragweiten dieses Marktes nicht ganz durchdrungen zu haben. Und die in den Umfragen glänzende Baerbock redete zwar zuweilen Tacheles, schwieg aber an anderer Stelle: Die Proteste in Iran hätten sich über frühere und entschlossenere Unterstützung gefreut.

Und Buschmann als Justizminister trieb zwar mehr Rechte voran, die Stärkung seines Apparats aber, der Gerichte und des Bürokratieabbaus kam indes kaum voran; dies sind aber wichtige Baustellen.

Als ihren Federschmuck würde FDP auch bezeichnen, sich gleich zu Beginn der Legislatur bei der Coronapolitik durchgesetzt zu haben – die allgemeine Notlage wurde für beendet erklärt, und das zu einem Zeitpunkt, an dem das noch keinen Sinn machte. Somit erklärten sich die Liberalen zu Sieger einer Symbolpolitik auf dem Rücken von Erkrankten.

Ferner gab es im Zuge des Ukrainekrieges ein Zaudern & Zögern. Mal wollte Kanzler Olaf Scholz die russische Regierung nicht allzu sehr verschrecken, mal kündigte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) Waffenlieferungen an die angegriffene Ukraine an, die sie nicht halten konnte; auch bei ihr drängte sich der Verdacht auf, dass sie in ihrem Ressort nicht genau Bescheid weiß.

Verkehrsminister Volker Wissing, der mit dem Neun-Euro-Ticket, ist auch der mit dem Njet zu allem anderen. Einer Verkehrswende legte der Autolobbyist alle erdenklichen Steine in den Weg. Kein nennenswerter Impuls kam aus seinem Haus, als habe man vom Klimawandel noch nie gehört.

Zu der Gesundheitspolitik von Karl Lauterbach lässt sich nicht viel sagen, weil sie verwirrt und unklar ist. Im Bildungs- und Wissenschaftsbereich agierte die FDP-Ministerin Bettina Stark-Watzinger blass, keine Initiative wird hängenbleiben.

Unterm Strich wurden viele Gesetze verabschiedet, nicht wenige weisen in eine bessere Zukunft. Aber die Linie fehlt. Die Fliehkräfte rund um Corona, Krieg und Wirtschaftskrise samt Inflation würden auch jedes Regieren beeinträchtigen. Aber Stärke darf nicht nur demonstriert werden wie auf einer Bühne, sondern muss auch sein.