Kommentar: Ein Pflichtdienst bringt mehr Schaden als Nutzen
Der Bundespräsident schlägt ein Pflichtjahr vor – für den Dienst an der Allgemeinheit. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit aber zeigen: Es spricht eine Menge dagegen.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Nun hat der Bundespräsident endlich einmal geliefert. Jener Frank-Walter Steinmeier, für den die Ausgestaltung seines Traumjobs als Staatsoberhaupt ein einziger Wohlfühltermin zu sein scheint (es sei denn, es geht nach Kiew). Unser Bundespräsident ist nicht dafür bekannt, dass er neue Denkanstöße liefert, Debatten lostritt, ermahnt und erinnert. Das wäre eigentlich die wahre Berufsbeschreibung für den Bewohner von Schloss Bellevue, aber Steinmeier war bisher Meister des Ungefähren und Wabernden. Grau ist seine gefühlte Lieblingsfarbe.
"Gerade jetzt kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein"
Doch nun hat Steinmeier überrascht. Er hat eine öffentliche Diskussion angestoßen, sozusagen seine eigene Blase verlassen und gesagt: "Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn." Wie das? Mit einem Pflichtdienst, den der Bundespräsident vorschlägt.
"Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein", sagte Steinmeier der "Bild am Sonntag".
Also, man kann ja darüber nachdenken. Und es ist endlich mutig vom Bundespräsidenten, denn populär ist sein Vorschlag nicht. Wer mag schon Pflichten?
An meinen eigenen Zivildienst denke ich gern zurück. Eine sinnvolle Tätigkeit, das Spüren von Verantwortung, verbunden mit dem Auszug aus dem Elternhaus und der wachsenden Unabhängigkeit. Aber dazu zwingen?
Lässt sich das Gute erzwingen?
Mir leuchtet ein Zwangsdienst nicht ein. Natürlich mag es sein, dass Verständnisse für andere Lebensentwürfe abnehmen, aber erstens scheint mir bei solchen Problemen ein Einsatz mit der Brechstange wenig überzeugend und zweitens werden die Lebensentwürfe Anderer nicht gleich weniger in Frage gestellt, wenn man in der Jugendherberge das Geschirr abwäscht.
Auch dünkt mir, dass vor allem jene einen Zwangsdienst befürworten, die ihn nicht mehr leisten müssten. Wir haben ja gut reden. Doch wie sehen das die Jugendlichen? Daher ist der Vorstoß von Tilman Kuban, dem Chef der Jungen Union, ziemlich gut: Er schlägt eine Online-Umfrage vor. Das mag schwierig zu realisieren sein, verfolgt aber den richtigen Ansatz. Hätte auch nicht gedacht, dass ich den mal lobe.
Auch punktet das Argument mit der Schulpflicht wenig. Die gibt es, weil Bildung eine Vorbedingung und ein Garant für ein zufriedenes Erwachsenenleben ist, und das gilt für die Spülmaschine in der Jugendherberge weniger, auch wenn sie beeindruckend groß sein mag und es sicherlich viele andere sehr soziale Zwangsdienste gäbe.
Zwang kann nur aus einer Notwendigkeit heraus entstehen, die keine besseren Optionen kennt. Und danach sieht es in unserer Gesellschaft nicht aus, noch schickt sich das Abendland nicht an, unterzugehen.
Die Lehren aus der Vergangenheit
Auch würde der Aufbau eines Zwangsdienstes erst einmal eine neue Bürokratie entstehen lassen, die einiges kostet. Der frühere Zivildienst lohnte sich für den Staat gar nicht, denn die Infrastruktur des verwaltenden Bundesamtes verschlang Unsummen. Und eine weitere Folge: Ein Zwangsdienst würde die Sozialberufe fluten und sie weiter abwerten. Wenn man auch junge Leute da ranlassen kann, so die entstehende gefährliche Denke, dann kann das ja nicht so kompliziert sein; entsprechend wenig werden dann die Profis neben den Zwangsdienstlern entlohnt.
Dabei brauchen wir das Gegenteil.
Und wer im Lebenslauf eine Denkpause einlegen will, kann das schon jetzt: Die Freiwilligendienste sind aus dem Boden geschossen und erfreuen sich großer Beliebtheit. Das ist der gangbare Weg.
Also, lieber Bundespräsident: Nice try und vielen Dank für die Anregung, aber besser nicht. Und worüber diskutieren wir jetzt?
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