Kommentar: Friedrich Merz lästert wie ein fieser Onkel

Candidate for the party chair Friedrich Merz delivers a speech at the Christian Democratic Union (CDU) party congress in Hamburg, Germany, December 7, 2018. REUTERS/Fabrizio Bensch
CDU-Politiker Friedrich Merz bei einem Auftritt in Hamburg (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)

Der CDU-Politiker sorgt sich angeblich um Greta Thunberg. Seine Krokodilstränen kann er ruhig stecken lassen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ein Talent von Friedich Merz ist, dass er eindrücklich spricht, im Grunde wie gedruckt. Man hört ihm einfach zu. Enttäuschend aber wird es, wenn der CDU-Politiker, der beinahe Vorsitzender geworden wäre und nun auf ein Scheitern der amtierenden Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauers lauert, Dummheiten sagt, die auch noch böse sind.

Merz mag forsche Worte. Während eines Auftritts bei der „Augsburger Allgemeinen“ äußerte er sich zur aktuellen Person der Woche – und es handelt sich nicht um ihn selbst. Er sagte über die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg: „Also ganz ehrlich, meine Tochter hätte ich da nicht hingelassen.“ Er meinte wohl den Auftritt Thunbergs beim UN-Gipfel in New York. Zu Thunberg persönlich meinte er: „Auf der einen Seite ist das Mädchen bewundernswert, aber auf der anderen Seite ist sie krank.“

Damit offenbart Merz ein Weltbild, angesichts dessen wir verdammt froh sein können, dass er nicht CDU-Parteichef geworden ist. Zuerst zeigt er ein autoritär-bevormundendes Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen. Und dann äußert sich fies über Menschen mit Behinderung, oder genauer: Er gibt abwertendes und diskriminierendes Zeug von sich.

Eine einzige Anmaßung

Es wäre interessant zu erfahren, warum Merz seine Tochter nicht in New York sehen will, als Rednerin vor dem wichtigsten öffentlichen Gremium der Welt. Hält er sie für zu schüchtern, zu ängstlich, traut er ihr es nicht zu? Wo ist sein Problem? Und, viel wichtiger: Was hat seine Tochter mit Thunberg zu tun, die nun ein anderer Mensch ist. Gerüchten zufolge kennt Merz die Schwedin nicht gerade seit Kindesbeinen persönlich. Seine Äußerungen, eben ein Vergleich zwischen seiner Tochter und Thunberg, sind bestenfalls wagemutig.

Jedenfalls wäre zu begrüßen, wenn Papa Merz die Entscheidung über einen Auftritt seiner Tochter bei den UN ihr selbst überlassen würde. Aber nein, er hätte sie “da nicht hingelassen“. Das klingt schneidig, aber beschreibt Merz, als wäre er ein Familientyrann.

Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel. (Bild: Spencer Platt/Getty Images)
Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel. (Bild: Spencer Platt/Getty Images)

Noch viel schwerwiegender finde ich aber seine Worte über Thunberg persönlich. Zuerst kommt das vergiftete Lob, er komplimentiert die 16-Jährige als „bewundernswert“, um dann die Keule herauszuholen. Die Keule wird eingeleitet mit einem „auf der anderen Seite“ und endet mit: „ist sie krank“.

Worin besteht die Krankheit von Thunberg? Sie hat das Asperger-Syndrom, eine milde Form des Autismus. Und auch hier ist die Frage zu stellen, worin eigentlich das Problem für Merz besteht? Meint er, Menschen mit Asperger seien nicht in der Lage eine Rede bei den UN zu halten? Ihr ganzes Leben einer Aufgabe zu widmen, wie dem Eintreten für eine echte Klimapolitik?

Merz wertet Thunberg mit seinen Worten ab. Er sagt weiter: „Da stelle ich mir die Frage: Was machen die Eltern mit diesem Mädchen?“ Ohje, müsste die Antwort im Merzschen Sinne lauten: Sie lassen die Jugendliche ihr Ding drehen! Sie lassen sie sogar nach New York! Merz beendet seinen komischen Ausfall mit der wirklichen ehrlichen Äußerung: „Irgendwie bleibt ein Störgefühl zurück.“

Stimmt. Inwiefern Thunberg „gestört“ ist, darüber lässt sich reden. Merz ist es jedenfalls. Ihn stört, dass ein junger Mensch seinen angestammten Platz verlässt. Asperger ist in der medizinischen Definition eine Erkrankung. Sie steht in den Manuals und wird begleitet von Funktionen, die anders laufen als bei den meisten Menschen - denn gewisse Fähigkeiten zum Erkennen nichtsprachlicher Signale von Mitmenschen sind beeinträchtigt. Das Verständnis des Klimawandels fällt nicht darunter. In der Fachwelt wird durchaus diskutiert, ob es sich bei Asperger überhaupt um eine “Krankheit” handelt.

UND: Krank sein bedeutet nicht, dass die erkrankte Person dysfunktional sein muss. Krank sein bedeutet nicht, dass man keine Meinung zum Klimawandel haben kann. Seit vielen Monaten nun tourt Thunberg durch die Weltgeschichte und macht nicht den geringsten Eindruck, dass ihr Lebensstil einer Aktivistin ihr schadet. Was bildet sich Merz ein mehr zu wissen als sie und ihre Eltern?

Merz verbindet den Begriff der „Krankheit“ mit dem Verhalten von Thunberg. Das ist übergriffig. Es diskriminiert. Dafür gibt es auch einen Fachbegriff: ableistisch – es ist feindlich gegenüber Menschen mit einer Behinderung.

Der fiese Onkel

Denn Merz meint mit seinen Worten nichts anderes, als dass die Eltern Thunberg auf ihre Tochter mehr acht geben sollten, sie besser beschützen sollten, damit sie nicht leidet. Damit spiegelt Merz ein Bild von Erkrankung und von Behinderung, dass vor Ignoranz und Geringschätzung nur trieft: Menschen mit Behinderung, so heißt es oft, seien zu schützen. Daher hießen die Werkstätten für Menschen mit Behinderung, in die sie oft auch gegen ihren Willen geschubst und von der nichtbehinderten Mehrheit isoliert werden, auch früher „Beschützende Werkstätten“. Es ist ein Schutz, auf den Menschen mit Behinderung liebend gern pfeifen. Sie brauchen Anerkennung und Respekt. Einen Auftritt vor den UN sollte ein Ostfriese mit einem IQ von 145 hinkriegen, und ein Schwabe mit 89 auch, meinetwegen mit gebrochenem Bein oder Zahnlücken. Eine Frau mit Trisomie hat ebenfalls etwas über den Klimawandel zu erzählen – warum sollte es ein „Störgefühl“ auslösen oder weniger Relevanz haben, als wenn Merz darüber spricht? Ihm hören wir doch auch zu. Wie viel Thunberg sich bei ihren derzeitigen Leben zumutet, kann jedenfalls Merz nicht beurteilen.

Der CDU-Politiker ist der fiese Onkel, der über Jüngere und über welche mit unterscheidenden Eigenschaften lästert und daher auf die Familienfeiern nur ungern eingeladen wird.

Aber was soll erwartet werden? Beim Abhören seines Auftritts bei der „Augsburger Allgemeinen“ habe ich recht schnell aufgehört das „ich“ zu zählen. Es ist sein Lieblingswort. Einen Volltreffer der Selbstentlarvung landete Merz, als er über sein eigenes jugendliches Engagement schwadronierte, als er so alt war wie Thunberg heute: „Ich habe 1972 vehement gegen Willy Brandt und Herbert Wehner gekämpft.“ Das muss die beiden Haudegen von der SPD damals enorm beeindruckt haben. Sorgen machen wir uns um Merz an dieser Stelle aber nicht.