Kommentar: Höchster Orden für Angela Merkel – aber er passt irgendwie nicht

Die Ex-Kanzlerin erhielt den höchsten Orden, den man ihr in Deutschland geben kann. Die Kritik daran ist überall spürbar. Aber sie ist nur verhalten. Für beides gibt es gute Gründe. Vielleicht sollte man diese Dinger nicht so hochhängen. Womit wir bei der Kanzlerschaft von Angela Merkel wären.

Erhielt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den höchsten Orden: Ex-Kanzlerin Angela Merkel am vergangenen Montag in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
Erhielt von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den höchsten Orden: Ex-Kanzlerin Angela Merkel am vergangenen Montag in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Als ich von dieser Ordensverleihung an Angela Merkel hörte, fiel mir nichts dazu ein. „Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung“ – das klingt mehr nach Pomp und Gloria, weniger nach Kartoffelsuppe und Raute. Merkel war für mich immer eher letzteres. Was soll sie mit solchem Gehänge, wird sie sich gedacht haben. Aber ablehnen geht ja schlecht.

Merkel hätte mit Groucho Marx antworten können. Der berühmte US-Komiker des frühen 20. Jahrhunderts sagte einmal: „I refuse to join any club that would have me” – in etwa: Ich trete in keinen Klub ein, der mich aufnehmen würde. Der Wortführer der „Marx Brothers“ mochte damals wie Merkel heute lieber die scharfe Zunge, unaufgeregt geführt. Machte sich mit wenig gemein. Also hat sie nun diesen Orden.

Steinmeier ehrt Merkel als "beispiellose Politikerin"

Der Zeitpunkt scheint wirklich zumindest verfrüht. Denn diesen Orden erhielt sie für ihre 16 Jahre im Kanzleramt, plus einigen als Bundesministerin, Fraktionsvorsitzende, Parteichefin sowieso. Nur werden sich die Historiker über ihr Wirken erst beugen müssen, die Geschichtsbücher über sie sind noch nicht geschrieben – sie ist ja erst vor ein paar Monaten aus dem Amt geschieden. Der Abstand ist zu kurz.

Und so reihen sich die Kritiker wie die Befürworter einer solchen Ordensverleihung entlang der politischen Stationen Merkels, die natürlich kontrovers sind. Das nennt man Demokratie.

Die einen sagen, in der Coronapandemie hat sie das Land durch unruhige Fahrwasser gesteuert. Andere sagen, sie zauderte zu lang. Wieder andere meinen, da wurde hektisch überreagiert. Als sich Merkel im Jahr 2015 dafür entschied, die Grenzen für die vielen Fliehenden offenzuhalten, da sagten die Einen im Nachhinein: Welch eine Erfolgsstory. Und die Anderen: Chaos war die Folge. Als Merkel in den Finanz- und Eurokrisen die Währung stabil hielt, dankten es ihr die Sparer. Andere, zum Beispiel die Griechen, zucken immer noch wegen der Schrecken, die Merkels Diktat zum „Sparen“ bei ihnen zeitigte.

Kein Wunder also, wenn viele zu dieser Ordensverleihung mit der Stirn runzeln. Die aktive Führungsspitze der CDU war von Merkel gar nicht eingeladen worden. Das Phänomen Merkel hatte über Jahre das Kunststück vollbracht, in einer Partei, mit der sie durchgängig fremdelte, Vorsitzende zu werden und zu bleiben. Das soll mal einer ihr nachmachen.

Wenigstens keine Alpträume

Von mir aus hat sie den Orden verdient, weil sie mich als Bürger in den 16 Jahren Kanzlerschaft ruhig schlafen ließ. Führen konnte sie. Es hätte doch viel schlimmer kommen können, mit kaum einschätzbaren Hasardeuren und Populisten dort. Man stelle sich zum Beispiel vor, eine Sahra Wagenknecht oder ein Markus Söder würden Deutschland regieren – da würde eine Frage die nächste ablösen: Und welche böse Überraschung kommt jetzt?

Mit Merkel hielten sich die Verblüffungen in Grenzen. Sie zeigte sich uneitel und selbstbewusst, bescheiden und realitätsnah zugleich. Große Sprünge, vor allem ins kalte Wasser, gab es mit ihr nicht. Wir blieben trocken, in diesen Jahren. Dafür kann man schon einen Orden geben.

Außerdem erhielt ihn vor ihr Helmut Kohl. Dessen Verdienste? Nun, nach dem Fall der Mauer warb er entschieden für die Wiedervereinigung und setzte sie international durch. Aber ansonsten? Was danach geschah, im Zuge der Wiedervereinigung, gibt Stoff für viele Kontroversen, sorgte für Wunden, von denen nicht wenige immer noch offen sind. Also, wenn der…

Klein-Klein macht wenig Mist

Merkel blieb auch die Kanzlerin der liegen gebliebenen Probleme. Die Energiewende wurde zuerst postuliert und dann ins Regal beordert. Russlands Wladimir Putin wurde durchschaut und dennoch ein tolles Instrument in die Hand gegeben, um sich zu bereichern und internationalen Einfluss zu sammeln. Die Infrastruktur in Deutschland wurde in Merkels Regentschaft immer maroder, Investitionen schob man auf. Die Bahn wurde ein Witz, Bildung und Wissenschaft neoliberalen Scharlatanen zum Fraß vorgeworfen.

Aber sie führte Nahbarkeit und Suche nach gleicher Augenhöhe in die hohe Politik ein. Die Unaufgeregtheit. Sie entzog den Seilschaften, natürlich meist männlichen, die Gestaltungsgrundlagen. Politik wurde mit ihr ehrlicher. Und sie sorgte als Kanzlerin dafür, dass Männer immer schlechter plärren konnten, Macht gehöre strukturell gesehen in ihre Hände. Was Frauenrechte angeht, verlieh ihnen Merkel unausgesprochen einen großen Schub.

Also, soll sie den Orden in Ehren halten. Er passt ihr zwar irgendwie nicht. Und zu schnell wurde er ihr bestimmt verliehen, dies auch noch aus der Hand des Bundespräsidenten, der unter ihr als Außenminister gedient hatte. Aber sei’s drum. Mir ihr ist nichts peinlich. Auch nicht solch ein Orden.