Kommentar von Josef Seitz - Wie fair geht die ARD mit der AfD um? Nach dieser Sendung sind wir schlauer

Fähnchen mit dem Logo der AfD liegen auf einem Tisch.<span class="copyright">Daniel Karmann/dpa</span>
Fähnchen mit dem Logo der AfD liegen auf einem Tisch.Daniel Karmann/dpa

Am 1. September wird in Thüringen und Sachsen gewählt. Für den MDR kann die Demokratie damit erpressbar werden. Ausländerpolitik, Abschiebungen, Zucht und Ordnung: Was könnte sich sonst ändern? Der öffentlich-rechtliche Sender gibt Antworten: „Wenn die AfD regiert“.

(Die) Ausländer (sind) raus! Fast eine Million weniger Ausländer als bisher angenommen leben in Deutschland. Diese Zahl hat am Dienstag dieser Woche das Statistische Bundesamt vorgerechnet. Die Zahlenzähler haben diesen Wert zum Stichtag Mai 2022 erhoben.

Aus Angst vor einer bedrohlichen Überfremdung muss also   niemand AfD wählen – das sagen zumindest die offiziellen Zahlen. Dennoch wird die Partei in ostdeutschen Bundesländern weiter gute Chancen auf ihre bisher besten Wahlergebnisse haben. Was das zur Folge haben kann? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Mitteldeutsche Rundfunk MDR in seinem Junge-Leute-Format mit dem neudeutschen Namen „Exactly: Wenn die AfD regiert“. Der Sendetitel hat kein Fragezeichen.

„Es hat gereicht, alle zu verunsichern!“

Es geht um die Wahlen in Thüringen und Sachsen. Es geht um den 1. September. Es geht um eine ganz grundlegende politische Richtung. Die AfD gilt nach Meinungsumfragen als künftig stärkste Kraft in den Ländern, mit der aber keine andere Partei regieren will. Die Ergebnisse der Europawahl scheinen das zu bestätigen. 30,7 Prozent der Stimmen holte die AfD in Thüringen, 31,8 Prozent sogar in Sachsen.

Wie fair geht die ARD mit der AfD um? Die Reportage beginnt mit Björn Höcke, AfD-Vorsitzender in Thüringen. Allerdings ist er nur in einem Redeausschnitt zu sehen. Die Sendung setzt sich fort mit Jörg Urban, AfD-Vorsitzender Sachsen. Auch er wird nur aus einer Rede zitiert. Die erste Gesprächspartnerin ist Judith Schilling, sie spricht für den Treibhaus-Verein in Döbeln. Was sie zu sagen hat? Die AfD habe versucht, dem „gemeinnützigen Verein für Kultur- und Jugendarbeit“ Fördermittel zu entziehen: „Es hat gereicht, alle zu verunsichern.“

Einen einzigen AfD-Abgeordneten holt der MDR vor die Kamera

Die nächste Gesprächspartnerin ist Juliana Talg vom Thüringen-Projekt Verfassungsblog. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin erklärt den jungen MDR-Zuschauern, was die AfD mit mehr als einem Drittel der Stimmen erreichen kann. Da geht es um die sogenannte Sperrminorität. Damit kann sie Entscheidungen blockieren, die im Landtag mit Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen werden müssen – etwa für den Wahlausschuss für Richter und Staatsanwälte, für die Geschäftsordnung des Landtages, auch für die Neubesetzung des Verfassungsgerichtes.

Mit diesem Druckmittel, so sagt es Juliana Talg, könne die AfD die anderen Parteien „erpressen“. Beispiel Verfassungsgericht: Neun Posten gibt es da in Thüringen, die bis 2029 neu besetzt werden müssen. Gelingt die Nachbesetzung dauerhaft nicht, „dann hätte man ein Gericht, das nicht funktioniert“. Zu Wort kommt, diesmal tatsächlich, Torben Braga, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion in Thüringen. Der 32-Jährige bestätigt, dank Sperrminorität „wären die anderen Parteien gezwungen, die AfD bei bestimmten Entscheidungen zu berücksichtigen – da wäre ein anderer Umgang zu erwarten.“

Dann gibt es die Hoffnung, „dass ausgemistet wird“

Es wird es grundsätzlich. „Was wäre die Folge, wenn die AfD an die Regierung kommen sollte?“, stellt das MDR-Jugendformat die Frage. Es stellt diese Frage Menschen bei AfD-Veranstaltungen. „Es müsste so sein, dass es einen Volksentscheid gibt, wie viele Leute einwandern dürfen“, sagt die erste Befragte. „Dass endlich mal wieder Zucht und Ordnung in diesem Land herrscht“, sagt der nächste, „in unserem Schulsystem züchten wir dumme und kranke Kinder.“ Wieder eine Frau: „Wer hier kriminell wird – raus!“

Der nächste Mann: „Sicherheitslage herstellen – gerade was Ausländerkriminalität angeht.“ Und noch eine Befragte: „Dass endlich mal was für die Deutschen getan wird, nicht für die Nicht-Mitbürger. Dass ausgemistet wird, da bin ich ehrlich.“ Die eine Befragte scheint mit schwerer Stimme zu sprechen, das klingt nach zu viel Alkohol. Stimme von der Straße als Stimme im Suff? Das ist nicht fair.

AfD? Die Abschiebeanwältin reagiert gelassen

Ausländerpolitik gilt als Kernkompetenz der AfD. Erst gegen Ende von „Wenn die AfD regiert“ trifft das TV-Team den Spitzenkandidaten Jörg Urban. Was er tun würde als Ministerpräsident? „Wir müssen für Menschen, die hier nicht sein dürfen, unattraktiv werden“, gibt er zur Antwort. „Um Abschiebungen werden wir nicht herumkommen.“

Abschiebung nicht per Linienflug, sondern per Charterflug ist seine Lösung. Das sei doch längst Praxis, befindet eine Rechtsanwältin, die Abschiebekandidaten vertritt. Sie sieht das eher achselzuckend. In diesem Kernanliegen also findet das MRD-Team wenig Chancen für eine neue Politik. Zumindest statistisch ist die Zahl der Ausländer ohnehin gesunken. Ganz ohne AfD.