Kommentar: Kein bayerisches Bier – Markus Söder verweigert Migranten die Integration

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bei einem Pressetermin im April 2021 (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bei einem Pressetermin im April 2021 (Bild: REUTERS/Annegret Hilse)

Bayerns Ministerpräsident will für abgelehnte Asylbewerber ein Chipkarten-System zum Einkaufen einführen. Der konkrete Sinn erschließt sich nicht. Aber gängeln kann man damit schon. Und dann greift Markus Söder sogar ein altes Kulturgut an.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Markus Söder muss irgendwie liefern. Bayerns Ministerpräsident steht im Wahlkampf, will wiedergewählt werden. Und dann kommen so viele „Migranten“ um die Ecke! Beziehungsweise, über die Grenzen. Der CSU-Chef versucht verzweifelt, den Wählern zu vermitteln: Ich hab es unter Kontrolle. Nur was? Egal. Hauptsache, Placebo.

Und so lassen sich die Forderungen des Christsozialen anschauen wie ein Budenzauber. Schon vorbei, bevor er zündete. Söder reagiert auf eine gewisse Lage: Die Anzahl der nach Deutschland fliehenden Menschen nimmt stark zu, das verursacht in der Bevölkerung ein paar Ängste, während einige Kommunen schon jetzt an ihre Belastungsgrenzen stoßen. All diese Probleme sind lösbar. Nur zielt das, was Söder vorschlägt, an der Frage gezielt vorbei. Sein neuester Coup ist die geplante Einführung von Chipkarten zum begrenzten Einkauf bestimmter Waren. „Mit der Chipkarte können sie beim Discounter oder Bäckereien und Metzgereien für den täglichen Bedarf einkaufen: zum Beispiel Lebensmittel, Kleidung, Hygiene-Artikel“, sagte er der Bild am Sonntag. „Den Inhalt dieses Warenkorbs besprechen wir gerade mit den zuständigen Behörden.“ Alkohol solle mit der Chipkarte nicht eingekauft werden können.

Die Frage nach dem Sinn

Söder ist stolz auf sein liberales Wertegerüst. Handelt es sich indes um Geflohene, scheint es vorbei damit, dann will Söder in deren Leben hineinregieren; offenbar sieht er in ihnen keine Wählerzielgruppe. Es ist nicht bekannt, dass in Deutschland angekommene Asylbewerber Probleme hätten, die staatlichen Hilfsleistungen sinnvoll auszugeben. Daher befremdet die Södersche Gängelei. Ich kenne solch ein Chipkartensystem vom Umgang mit Wohnungslosen. Im Falle einer Alkoholerkrankung soll es helfen, sie beim Einkaufen nicht in „Versuchung“ zu bringen.

Nun gibt es aber schon einen Unterschied zwischen Menschen, die aus verschiedensten Gründen auf der Straße und in einer Sucht gelandet sind, und Menschen, die vor einer Not fliehen, um sich woanders ein besseres Leben aufzubauen. Auch sollte bedacht werden, dass ein „abgelehnter Asylbewerber“ nicht gleich jemand ist, der schleunigst aus Deutschland zu verschwinden hätte. Denn den Asylstatus erhält man nicht nebenbei – viele Menschen bleiben „Schutzbefohlene“, haben ein Anrecht auf einen weiteren Aufenthalt im Land, und erhalten dennoch nicht die Anerkennung als politisch Verfolgte. Sollte Söder also eine Art Bestrafung oder Abschreckung im Kopf haben, trifft sie oft die Falschen, oder besser gesagt: Sie trifft gar nichts.

Wer braucht solche Folgen?

Kein Mensch lässt sich wegen der Aussicht auf eine Chipkarte davon abschrecken, Deutschland anzusteuern. Söder meint womöglich, gewisse Zeitgenossen zufrieden zu stellen, wenn sie daran denken, dass andere Menschen durch solch ein Modell gegängelt werden. Also, wer’s braucht…

Bier gehört nach bajuwarischer Tradition zum Kulturgut schlechthin - beim Oktoberfest strömt es geradezu. (Bild: Getty)
Bier gehört nach bajuwarischer Tradition zum Kulturgut schlechthin - beim Oktoberfest strömt es geradezu. (Bild: Getty)

Vollkommen unverständlich wird es aber nun beim Bier. Das soll in Bayern über solch eine Chipkarte nicht erworben werden können. Denn Bier gehört doch nach bajuwarischer Tradition zum Kulturgut schlechthin. Beim gerade begonnenen Oktoberfest strömt es geradezu. Und die CSU gibt sich bewusst heimatorientiert, setzte im Bund die Umbenennung des Innenministeriums in ein Ministerium „für Inneres und Heimat“ durch. Und die „Migranten“, die sollen sich doch angeblich schnell integrieren, sich mit den landesüblichen Gepflogenheiten vertraut machen; dies ist aktuell bestimmt das Oktoberfest. Die Frage, ob man auf der Wies‘n eine Mass Oktoberfestbier auf Ex trinken darf oder nicht, ist in Bayern von einer Relevanz, als stünde sie im Staatsbürgerschaftstest.

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Statistik: Was würden Sie auf dem Oktoberfest auf jeden Fall / eher tun? | Statista
Statistik: Was würden Sie auf dem Oktoberfest auf jeden Fall / eher tun? | Statista

Am Ende bleibt es beim Alten: Lösungsorientiert ist an Söders Ideen nichts. Sie verbreiten schlechte Gefühle. Schüren Vorurteile, als würden Asylbewerber besonders viel Alkohol trinken (das tun sie bestimmt nicht) und schließen aus. Im Süden nichts Neues.

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