Kommentar: Kommt beim Erdogan-Besuch bloß nicht auf die Fotos!

So wird das nichts mit der Fußballkarriere (Archivbild: Murat Cetinmuhurdar/Presidential Palace/Handout via Reuters)
So wird das nichts mit der Fußballkarriere (Archivbild: Murat Cetinmuhurdar/Presidential Palace/Handout via Reuters)

Wer noch von der großen Karriere in einer Nationalmannschaft hofft, sollte im September die Hauptstadt meiden: Dann ist Erdogan-Alarm. Denn Fotos mit dem Präsidenten sind heiße Ware.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ist überliefert, dass er unter dem Spitznamen „Prickel“ als Jugendlicher beim TuS Brakelsiek 08 auflief, damals gab es im Fußball noch den Libero. Und von Jogi Löw ist überliefert, dass er einen Totalumbruch in der Nationalmannschaft plant. Da wäre es keine Überraschung, wenn der Bundestrainer den Libero wieder aus den historischen Akten zieht und etwas GANZ NEUES präsentiert, mit dem tatsächlich niemand rechnete. Bloß Steinmeier, der braucht sich keine Hoffnungen machen. Mit Nationalmannschaft ist nichts mehr. Rein fototechnisch.
Denn der Bundespräsident wird in diesem September den türkischen Präsidenten empfangen, sogar mit militärischen Ehren, Bankett und ähnlichem Gedöns. Sollte da eine fotografische Aufnahme gemacht werden, auf der Steinmeier in der Nähe Recep Tayyip Erdogans steht, ja, ihm gar die Hand drückt, dann war es das für den ehemaligen Libero vom TuS Brakelsiek 08.

Denn genau solch ein Foto wurde Mesut Özil zum Verhängnis. Der damalige Nationalspieler und Leistungsträger der Mannschaft posierte im Londoner Mai mit Erdogan, man hatte ihn dazu eingeladen. Welche Debatten das auslöste, ist bekannt. Sie führten zu Özils Rücktritt und seiner schriftlichen Bestandsaufnahme des Rassismus im Deutschen Fußballbund (DFB) und im Journalismus, von den Sozialen Medien sprechen wir lieber gar nicht erst.

Scheindemokratie steht hoch im Kurs

Ich habe seitdem viele Schreiben gekriegt, nach dem Motto: Ich hätte die Kritik an Özil nicht verstanden, man posiere halt nicht mit einem Bösewicht, der Erdogan zweifellos ist. Und jedem anderen wäre es ähnlich ergangen. Das glaube ich bis heute nicht.

Özil wurde nicht verziehen, dass er zu seinem Foto so lange schwieg. Dass die Nationalmannschaft bei der WM so schlecht spielte und dass er ein Türke ist. Denn klar wie Wasser aus dem Hahn bleibt weiterhin, dass ein Spieler mit afrikanischen Eltern bei einem Foto mit einem Diktator aus Afrika weniger Probleme gekriegt hätte: Schwarze bilden in Deutschland eine deutlich kleinere Minderheit als Türken, da schaut man, politisch betrachtet, eher weg. Ebenso hätte man einem Spieler mit ungarischen Wurzeln einen Fototermin mit Ministerpräsident Viktor Orbán durchgehen lassen, obwohl der demokratisch gesehen ein schlimmer Finger ist. Aber die Ungarn in Deutschland sind halt wenige, außerdem sind sie weißhäutig und christlich kulturalisiert, da wird man doch eine kleine Fotosünde begehen dürfen. Und eine Aufnahme mit Wladimir Putin, dafür würde mancher Deutsche ganz aufgeregt werden; dabei ist Russlands Präsident schlimmer Finger, Diktator und Bösewicht zugleich.

Ob Gündogan und Özil Präsident Steinmeier vor Fotos mit seinem türkischen Amtskollegen gewarnt haben? (Bild: Getty Images)
Ob Gündogan und Özil Präsident Steinmeier vor Fotos mit seinem türkischen Amtskollegen gewarnt haben? (Bild: Getty Images)

Özil aber wurde zum Verhängnis, dass ihm als Mitglied der größten Minderheit höhere Maßstäbe angelegt wurden. Die Deutschen mit türkischen Wurzeln fallen auf, weil es nicht wenige sind. Sie prägen das Land. Dabei hatten sich so viele Deutsche daran gewöhnt, dass die Türken sich mit dem Verkaufen von Döner oder dem Schuften in Drecksjobs begnügen; kommen sie sportlich nach oben, sollten sie die Klappe halten – dieses Phänomen kennt man von den Afroamerikanern. Die deutschen Türken sollen beweisen, wie deutsch sie sind. Und angeblich gehört ein Foto mit dem türkischen Präsidenten nicht dazu.

Hier begannen zwei Wahrheiten zu schimmern. Vordergründig ging es um Demokratiekritik, hintergründig aber um die boshafte Frage, ob das Foto eines türkischen Deutschen mit dem Präsi aus Ankara eine gewisse Loyalität hinterfrage – was natürlich Quatsch ist, abgesehen von der Frage, wem oder was gegenüber diese Loyalität gezeigt werden sollte. Aber für den Rassisten, besonders für den linken, der sich nie für einen hält, reichte es.

Das Einmaleins des Rassismus

Özil wurde ein Foto zum Verhängnis. Und der Übeltäter auf diesem Foto erhält nun militärische Ehren von jenem, dem gegenüber Özil angeblich mangelnde Loyalität bewiesen hat. Die Welt wäre verrückt, wenn dieses Geschehen nicht einer simplen Logik des Rassismus folgte. Tut es aber. Und daher ist es ganz normal, sich Özil in die Verbannung zu wünschen und dann selbst den viel größeren Bockmist zu ignorieren.

Mir ist völlig egal, wie Erdogan in Deutschland empfangen wird. Von mir aus kann es eine Parade auf der Berliner Karl-Marx-Allee für ihn geben, mit Leopardpanzern, Achtradspähfahrzeugen und so, die Erdogan ja bestens aus Kurdistan kennt. Hauptsache, man redet mit ihm Tacheles. Bringt die Probleme auf den Tisch, benennt die in türkischer Haft sitzenden deutschen Staatsbürger. Hat man vorher mit ihm fein gespeist oder über die künftige Rolle des Liberos im internationalen Fußball geplauscht, soll es recht sein. Özil ist ja jetzt weg.