Kommentar: Mathias Döpfner hat die Glocken nicht gehört
Der Springer-CEO feuert "Bild"-Chef Julian Reichelt. Viel zu spät. Und dann offenbart Mathias Döpfner noch ein verstörendes Weltbild. Entweder er ändert sich – oder der Verlag muss ihn loswerden.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Unumstrittener Herr über das Haus Axel Springer ist Mathias Döpfner. Er regiert wie ein Sonnenkönig. Auch ist der Verlagschef nicht nur Angestellter, gehörige Anteile gehören ihm selbst. Das hat ihn womöglich veranlasst zu denken, er sei unangreifbar. Das ist er aber nicht. Wenn er in der Causa "Bild" nicht rasch große Stellschrauben bewegt, wird er sich noch einen neuen Job suchen müssen.
Im Frühjahr ließ Döpfner seinen "Bild"-Chef Julian Reichelt zwei Wochen lang Abbitte leisten, in denen er nicht über "Bild" gebieten durfte – als Strafe dafür, dass er Privates und Berufliches nicht strikt genug trennte; allein diese Formulierung ist nur die Spitze eines Eisbergs.
Was sich Reichelt über Jahre hinweg leistete, hätte für hundert Rausschmisse gereicht. Er installierte in der Redaktion ein Regime, das hart nach unten regierte. Auch Reichelt sah sich als König, aber im Gegensatz zu Döpfner eher als einer, der weniger die Sonne, sondern mehr den Schatten sucht. Menschen wurden Material.
All dies wurde vor langer Zeit bekannt. Doch Springer mauerte. Intern wurde untersucht, aber Reichelt nicht zur Verantwortung gezogen. Dann machte er offenbar weiter, business as usual. Es war ein verheerendes Signal für alle Mitarbeiter bei "Bild", die eine Verbesserung hin zu einer normaleren Redaktion wollten. Oder wenigstens halbwegs in Ruhe gelassen werden wollten.
Neues aus dem Spukschloss
Reichelt hat "Bild" gelebt. Vergleichbare Identitäten hat er von seinen Untergebenen verlangt. Den Korpsgeist aus alten Tagen, in denen "Bild" gegen "die Linken" in der Republik kämpfte, unter anderem den Studentenführer Rudi Dutschke auf dem Gewissen hatte, hat er wiederbelebt. Ein "Wir" gegen "den Rest der Welt" sollte zusammenschweißen, aber das hat nicht bei allen Mitarbeitern geklappt – nur für seine Boygroup. Umso lächerlicher wirkt die Wagenburg, die "Bild" aufgestellt hat. Heute gibt es nicht mehr die ideologischen Kämpfe von damals, sondern nur das Naserümpfen über rüpelhafte Berichterstattung, die Journalismus mit Kampagnen verwechselt und versucht, zuweilen auch jämmerliche Säue durchs letzte Dorf zu treiben. Die von "Bild" künstlich betriebene Dauer-Aufgeregtheit nervt.
Mit Reichelt ist nun also Schluss. Berichterstattung über ihn konnte in Deutschland noch gestoppt werden, in den USA aber nicht. Dort investiert Springer reichlich und wird entsprechend wahrgenommen – als die "New York Times" der Causa Springer samt Reichelt einen Artikel widmete, musste Döpfner ganz schnell seinen Daumen suchen, um ihn für seinen Adlatus nach unten zu senken. Stattdessen wird nun Johannes Boie die Geschäfte bei "Bild" führen, was ein interessantes Experiment wird: Boulevarderfahrung hat der Chefredakteur der "Welt am Sonntag" nicht, bisher agierte er seriös und unaufgeregt. Entweder er krempelt "Bild" um, oder er zieht rasch weiter.
Journalistische Standards für "Bild"
Doch all diese Manöver werden nicht vertuschen, dass Döpfner bei vielem versagt hat. Dass die Pressemitteilung, mit der Reichelts Rausschmiss verkündet wurde, eine Mischung aus Lobhudelei für dessen Verdienste und Drohung für jene war, die vertrauliche Infos an die Presse weitergaben, ist mehr als irritierend. Keinerlei Schuldbewusstsein, kein "mea culpa" liest sich da heraus. Döpfner müsste sich persönlich bei all den Frauen entschuldigen, die unter Reichelt litten. Und sich bedanken, dass nun transparenter über all diese Sünden gesprochen wird. "Bild" bräuchte noch eine Menge Whistleblower, um besser zu werden.
Aber Döpfner selbst schreibt etwa in einer SMS, die das Licht der Öffentlichkeit erblickte, von angeblichen Schwierigkeiten, die angemessenen Klagen über Reichelt von den unangemessenen zu unterscheiden. Doch das ist nur schwierig, wenn man selbst in einer Wagenburg sitzt. Dann auch noch Reichelt als einsamen Kämpfer gegen eine neue DDR zu beschreiben, ist wirklich bad taste. Klar, das war ironisch gemeint, bewusst überzogen. Aber auch dann klingt es armselig.
Döpfner agiert, als wäre er unangreifbar. Aber das ist er nicht. Er muss rasch viel an seinem Verhalten ändern. Er sollte ein wenig grauer und weniger schillernd auftreten, mehr ein Verwalter werden. Seine bisherigen politischen Statements in Leitartikeln waren in inhaltlichem Licht auch eher mau, wollten mehr auffallen als Punkte setzen. Zurückhaltung ist jetzt angesagt. Sonst kommen die Investoren um ihn herum auf die Idee, allgemeine Regeln für internationale CEOs auch auf ihn anzuwenden. Dann wäre er weg.
Video: Entlassung von "Bild"-Chefredakteur Reichelt - Vorwürfe auch gegen Döpfner