Kommentar: Nach Industrie-Warnung: Schadet die AfD Deutschlands Zukunft?

BDI-Präsident Siegfried Russwurm bei einer Pressekonferenz im Oktober 2021 in Berlin (Bild: Ina Fassbender/Pool via REUTERS)
BDI-Präsident Siegfried Russwurm bei einer Pressekonferenz im Oktober 2021 in Berlin.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnt vor Wahlerfolgen der AfD: Die Partei beschwöre eine Wende rückwärts. Was ist dran? Jedenfalls hat die AfD ihre früheren Professoren verloren.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Dass sich Manager in der allgemeinen Politik aus dem Fenster hängen, ist kaum bekannt. Ihnen geht es darum, dass der Laden läuft – warum es sich mit potenziellen Kunden oder Partnern verscherzen, warum einen Imageverlust riskieren?

Doch gerade die vermeintliche Aussicht auf letzteres hat nun Industriepräsident Siegfried Russwurm auf den Plan gerufen. Der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) hat der Funke-Mediengruppe ein Interview gegeben, in dem er gegenüber einer Partei "Watschn" austeilte, wie es in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik wohl selten geschah.

„Eine politische Bewegung, die die Wende rückwärts zu Nationalismus beschwört, ist schädlich für dieses Land: für die Wirtschaft und für Ansehen und Erfolg Deutschlands im globalen Kontext“, sagte Russwurm.

Und weiter: Deutschland lebe von Weltoffenheit und internationalem Handel, „wahrscheinlich mehr als fast alle anderen großen Länder der Welt“. Er forderte „eine gesellschaftliche Debatte, eine gesellschaftliche Bewegung, um den Menschen die Konsequenzen aufzuzeigen“. Die AfD sei „schlecht für dieses Land, auch, weil sie ein Klima von Hass, Polarisierung und Ausgrenzung befeuert“.

Eine politische Bewegung, die die Wende rückwärts zu Nationalismus beschwört, ist schädlich für dieses Land: für die Wirtschaft und für Ansehen und Erfolg Deutschlands im globalen KontextIndustriepräsident Siegfried Russwurm

Das Wort von Russwurm hat Gewicht. Der Mann ist nicht dafür bekannt, anderen Parteien nach der Pfeife zu tanzen. Er ist konventioneller Manager, mit einer langen Karriere bei Siemens. Siemens aber ist ein Weltkonzern. Dort lernt man einen gewissen Weitblick. Hat Russwurm also recht?

Was ist dran an der Aussage?

Dass die AfD ein Klima von Hass, Polarisierung und Ausgrenzung fordert, wird sie selbst unterschreiben. Ganz unabhängig davon, wie man zu ihren Inhalten steht: Es ist die AfD, die „Merkel muss weg“ rief, heute die Ampel als Beelzebub darstellt und sowieso den sogenannten „Altparteien“ dieses und jenes vorwirft. Auch sieht sie Unheil in Gruppen wie „Migranten“ oder „Flüchtlingen“ – egal, wie man dazu steht, auf jeden Fall polarisiert die Partei damit.

Auch die „Wende rückwärts“ stimmt. Das Wirtschaftsprogramm der AfD würde den Arbeitgebern, also Leuten wie Russmann, zwar auch zum Vorteil gereichen, weil die Partei keine Freundin von Arbeitnehmerrechten ist. Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzung mag sie nicht. Und einigen Teilen in der Wirtschaft würde eine Rückkehr zur Atomkraft und eine Beibehaltung der Kohleindustrie enorm nutzen – all dies fordert die AfD. Dann gibt es indes ein großes „aber“.

Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei

Die AfD verfolgt das große Mantra eines „Deutschland zuerst“. Es ist von Donald Trump kopiert, wie es auch in Italien und in anderen Ländern von rechtspopulistischen Parteien angewandt wird. Die Erzählung dabei ist immer die gleiche: Zuerst schauen wir Regierenden danach, dass es unseren Landsleuten gut geht, und dann sehen wir weiter. Das klingt erstmal vernünftig. Aber es scheitert im Realitätscheck, denn in der Konsequenz konkurrieren dann US-Amerikaner, Deutsche, Italiener und Polen darum, wer „zuerst“ an der Reihe ist. Zuerst – das bedeutet, dass Andere „dahinter“ sind. Wo einer vorn ist, müssen andere nachfolgen. Ein einzelnes Land existiert ja nicht allein auf diesem Planeten.

Infografik: Wie die extreme Rechte in Europa Fuß fasst | Statista
Infografik: Wie die extreme Rechte in Europa Fuß fasst | Statista

Und an dieser Stelle bekommen die Worte des Industriepräsidenten ein enormes Gewicht. Denn die Wirtschaft funktioniert nur verzahnt. Sie ist Grenzen überschreitend. Sie lebt von Kooperation, von Austausch. Deutschland ist tatsächlich ein stark exportorientiertes Land. Wenn es anderen Ländern gutgeht, können sie unsere Produkte und Dienstleistungen kaufen.

Die AfD verkauft Mogelpackungen

Also von wegen: „Zuerst“. Diese Formel ist ein leeres Versprechen, das nur in der Opposition funktioniert. Entsprechend hat die US-Wirtschaft von Donald Trumps Präsidentschaft nicht wirklich profitiert. Und in Italien tönen die Faschisten an der Regierung weiterhin ihr „Prima gli italiani“, ignorieren aber ihren eigenen Slogan, wenn es darum geht, Geld verdienen zu lassen.

Die AfD verkauft Mogelpackungen. Sie gaukelt vor, die Bundesrepublik aus den Zeiten des Kalten Krieges wiederaufleben zu lassen. Klare Ordnungen, Grenzen mit Schlagbäumen. Was die Partei verschweigt: Schon damals lebten die Menschen in Westdeutschland in einem irgendwie gemeinsamen Europa, profitierte die Wirtschaft von Binnenmärkten.

Die AfD aber tut weiterhin so, als gäbe es keinen von Menschen gemachten Klimawandel. Wo kein Problem, da auch kein schmerzhafter Handlungsbedarf, säuselt sie. Das mag Leute anziehen, welche die Nase voll von Herausforderungen und weiteren Umbrüchen haben, denkt aber das Problem nicht weg, weil sich Probleme nicht wegdenken lassen.

Die Rezepte der AfD funktionieren nur, wenn man keine Verantwortung trägt. Leider polarisieren sie und erschweren politische Kompromisse. Die aber sind wichtig, um in einem Staat voranzukommen – egal, wo man politisch steht.

Da war noch was

In der AfD gibt es viele, welche die alte D-Mark wiederhaben wollen. Für die Wirtschaft aber wäre dies ein großer Schaden. In der AfD gibt es einige, die Deutschland aus der Europäischen Union (EU) führen wollen; man sieht am Beispiel Großbritanniens, wie blöd solch ein Vorhaben vor allem für den Austretenden ist. Im Grunde ist die AfD wirtschaftspolitisch nicht zu gebrauchen.

Außerdem ignoriert sie den Fachkräftemangel, bei dem ihr nur einfällt, mehr Geburten deutscher Kinder zu propagieren. Und sie schreckt wichtige potenzielle Wirtschaftskräfte aus anderen Ländern ab, weil die sich durch Typen wie in der AfD höchst unwillkommen fühlen und daher eher woanders ihr Glück und damit des jeweiligen Landes suchen.

Russwurm hat die Aussichten mit der AfD treffend zusammengefasst. Hans-Olaf Henkel, der in sechster Generation vor ihm BDI-Präsident war, hat die Partei längst verlassen und findet kein gutes Wort für sein Engagement in der AfD. Und auch andere Ökonomen haben der Partei den Rücken zugewandt. Das Leben ist doch komplizierter, als die Wortpralinen der Partei meinen.

Video: BDI-Präsident warnt: "AfD ist schädlich für unsere Zukunft"