Kommentar: Regierungshalbzeit – wie war Annalena Baerbock bisher als Außenministerin?

Die grüne Spitzenpolitikerin führt seit Ende 2021 das Auswärtige Amt. Ruhige Zeiten waren es für Annalena Baerbock nicht. Wie sie sich geschlagen hat, bewertet der Kabinettscheck von „Yahoo Nachrichten“.

Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Besuch in Südafrika im Juni (Bild: Christoph Soeder/Pool via REUTERS)
Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Besuch in Südafrika im Juni (Bild: Christoph Soeder/Pool via REUTERS)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Der Job ist begehrt, meistens fungiert ein Außenminister in Deutschland auch als Vize-Kanzler. Doch Baerbock, die als Spitzenkandidatin der Grünen in die letzte Bundestagswahl gegangen war, rettete sich gerade noch ins Kabinett. Den Posten des Premiervertreters übernahm ihr Parteifreund Robert Habeck als Wirtschaftsminister. Überhaupt siedelte sie nicht gerade mit großen Vorschusslorbeeren ins Amt. Bleibt die Frage, wie ihre Regierungsbilanz nun, nach demnächst zwei Jahren, ausfällt.

Um dies zu bewerten, muss man sich erstmal die Erwartungen anschauen, mit denen sie startete. Die waren mau.

Baerbock hat ihre Kritiker überrascht

Baerbock war das Abschneiden der Grünen bei der Wahl angelastet worden, weil sie im Wahlkampf mehrere Fehler gemacht hatte. Dann ging es weiter: Erste Frau im Auswärtigen Amt, möglicherweise schlechte Englischkenntnisse, ideologie- statt diplomatiegetrieben, Besserwessi, weltfremd, hochstapelnd – „kann die das?“ Baerbock musste einige Klischeeattribute aus dem Weg räumen; galt sie doch als die Person, die ihren Lebenslauf aufgehübscht hatte – was nicht gut ankam, und dies erst recht nicht mit Blick auf das Amt der Außenministerin, die im Grunde Deutschland im Ausland vertritt und die in der Klischeevorstellung besonders schlau, clever, höflich und irgendwie gerissen zu sein haben.

All diese hohen Hürden hat Baerbock bis zu dieser gewissen Halbzeit genommen.

Im Grunde hat sie ihre Kritiker überrascht, deren Argumente gegen sie ziehen nicht. Das Wichtigste vorweg: Unabhängig davon, wie man ihre politischen Haltungen findet, ist festzuhalten, dass sich Baerbock in der internationalen Gemeinschaft Respekt erworben hat. Sie gilt als alles andere als leichtfüßig, man nimmt sie ernst. Auch hat sie die Shuttlediplomatie ihrer Vorgänger übernommen und ist sehr präsent; das Land vertritt sie.

Standfestigkeit gezeigt

Unvergessen ist ihre Zusammenkunft mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow im Januar 2022, also noch vor dem Angriffskrieg in der Ukraine. Der hatte ihr, wie es der „Spiegel“ berichtete, nach der Vorspeise nachdrücklich und mehrmals einen Wodka angeboten – ganz klar ein Manöver des 71-Jährigen, welches über die Gepflogenheiten hinausging: Baerbock lehnte ab und konterte, wenn der Schnaps zur Mittagszeit ein Härtetest sei, „ich habe zwei Kinder geboren“. Da sah Lawrow besonders alt aus. Spätestens seitdem trägt sie den Spitznamen „Mrs. Klartext“.

Außenministerin Annalena Baerbock ließ ihren russischen Amtskollegen Sergei Lawrow bei einem Treffen mit einem Spruch auflaufen. (Bild: Reuters)
Außenministerin Annalena Baerbock ließ ihren russischen Amtskollegen Sergei Lawrow bei einem Treffen mit einem Spruch auflaufen. (Bild: Reuters)

Denn Baerbocks Sprache ist genau und unmissverständlich. Dennoch nicht unhöflich. Bloß verzettelt sie sich nicht in Schachtelsätzen, die nur ein Ziel haben, nämlich bei niemandem anzuecken – und für die deutsche Außenminister wie Klaus Kinkel und auch Hans-Dietrich Genscher berüchtigt waren. Ihr hört man zu. Es mag nicht gefallen, was sie sagt. Aber „Standing“ hat sie sich erworben.

Im Ukrainekrieg setzte Baerbock früher als andere deutsche Spitzenpolitiker auf den Kurs, der sich dann durchsetzte, nämlich den einer echten Unterstützung des angegriffenen Landes. In afrikanischen Ländern zeigte sie eine neue Sensitivität für deren Perspektiven. Und in der EU agierte sie einend.

Was nicht gut lief

Doch es gibt auch Makel. Als im Iran ein Aufstand in der Bevölkerung gegen das Regime ausbrach, reagierte Baerbock halbherzig. Druck auf die Diktatoren sieht jedenfalls anders aus. Selbst beim Fall eines im Iran zum Tode verurteilten deutschen Staatsbürgers vertreibt sie nicht den Eindruck, es bei einer Distanz zu belassen, die nahezu unanständig wirkt. Klar, ihr mögen die Hände gebunden sein. Aber wenigstens die Samthandschuhe könnte Baerbock ausziehen. Und auch der Umstand, dass es doch keinen Nationalen Sicherheitsrat in Deutschland gibt, geht zur Hälfte auf ihre Kosten. Eigentlich sollte solch eine Institution wie in den USA gebildet werden, und sie wäre auch nötig. Aber Baerbocks Außenministerium konnte sich nicht mit dem Kanzleramt von Olaf Scholz auf die inhaltliche Ausrichtung einigen, auch Kompetenzfragen blieben ungeklärt.

Dennoch sorgte sie für Wendepunkte. In der Außenpolitik führte sie eine definierte wertegeleitete Führung ein. Besonders soll die Politik nun feministisch ausgerichtet sein. Das klingt nach weltfremdem Klimbim, ist aber in Wirklichkeit handfeste und konkrete Angleichung an Realitäten, um effektiver Politik machen zu können. Baerbock wurde dafür belächelt. Aber langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Feminismus nicht wehtut.

Baerbocks Bilanz als Außenministerin ist positiv. Sie hat sich etabliert. Und dies in einem Maße, das sie sogar zu einer Kandidatin für den Spitzenposten im Wahlkampf 2025 macht; daran hatte niemand gedacht, als sie Ende 2021 ins Amt strauchelte. Danach ließ sie Fakten sprechen.