Kommentar: Regierungshalbzeit – Wie war Christian Lindner bisher als Finanzminister?

Bundesfinanzminister Christian Lindner bei einer Pressekonferenz im Juli in Berlin (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)
Bundesfinanzminister Christian Lindner bei einer Pressekonferenz im Juli in Berlin (Bild: REUTERS/Lisi Niesner)

Der FDP-Chef ist seit Ende 2021 Deutschlands Kassenhüter. Seine Schatzschatulle war heißbegehrt. Wie er sich geschlagen hat, bewertet der Kabinettscheck von „Yahoo Nachrichten“.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Vielleicht hat er den schwierigsten Job im Land. Damit ist nicht das Amt des Parteivorsitzenden der Liberalen gemeint, bei denen es traditionell schwer zu ermessen ist, wofür genau sie stehen, wenn es nicht ums Geld geht. Denn Christian Lindner ist auch Bundesfinanzminister und muss auf die Finanzen der Deutschen aufpassen. Als er mit SPD und Grünen nach der vergangenen Bundestagswahl die Ampel-Koalition schmiedete, reklamierte Lindner für sich den heißen Stuhl des Kassenmeisters – den auch der amtierende Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen gerne gehabt hätte. Vielleicht ist Habeck heimlich froh, nicht in den Amtssitz am Bendlerblock gezogen zu sein: Ein Finanzminister in diesen Zeiten muss immer Nein sagen, während er trotzdem geplündert wird.

Lindner trat mit großen Ambitionen sein Amt an. Er wollte, natürlich, sparen, das Geld beisammenhalten. Er wollte die Verwaltung zukunftstauglich machen und eh hauptsächlich in vorwärtsgewandte Projekte investieren. Doch dann folgten Krisen auf Krisen – und mit ihnen die Notwendigkeit, diese finanziell abzufedern. Lindner, der postulierte Sparfuchs, ist ein historisch viel Geld ausgebender Finanzminister, der bei all den Gas- und Strombremsen sowie „Wumms“ und „Doppelwumms“ für die Bundeswehr kaum mehr wissen konnte, wie ihm geschah.

Gestrauchelt ist Lindner nicht

So machte es zumindest den Eindruck. Doch es ist festzustellen, dass Lindner in seinem Amt Statur bewiesen hat. Er ist etabliert. All das Leichtgewichtige und Arrogante, das seine Person stets begleitete, als er noch in der Opposition herumtönte, scheint der Verantwortung im Amt gewichen zu sein – und dies unabhängig davon, ob man seine Politik gut findet oder nicht. Jedenfalls wirkt Lindner in der Transparenz seiner Prinzipien seriös.

Schwierig ist das Amt des Finanzministers auch, weil dieser wirklich Zahlen und Akten fressen muss. Da gab es einige, die sich diese Aufgabe zutrauten und dann Reißaus nahmen – wie etwa einst Oskar Lafontaine. Oder die zumindest überfordert schienen, wie Hans Eichel. Solch eine Blöße hat Lindner bisher nicht gezeigt.

Hans Eichel - Finanzminister zwischen 1999 und 2005 - wirkte schlicht überfordert in dem Amt (Bild: REUTERS/Tobias Schwarz)
Hans Eichel - Finanzminister zwischen 1999 und 2005 - wirkte schlicht überfordert in dem Amt (Bild: REUTERS/Tobias Schwarz)

Zwar stichelt er gern in Richtung Grüne, aber noch ist der Liberale ein Garant des an sich durchaus fragilen Bündnisses aus SPD, Grünen und seiner FDP. Mit Kanzler Olaf Scholz, der vorher selbst Bundesfinanzminister war, versteht er sich, hat auch seine Unterstützung. Und mit seinem eigentlichen Rivalen Habeck klappt es auf der persönlichen Ebene offensichtlich. Der Wirtschaftsminister hat kraft Amtes die Aufgabe, mit möglichst viel Geld die Wirtschaft anzukurbeln, während Lindner laut seiner Jobbeschreibung dieses zusammenhalten muss. Dies ist ein systemischer Konflikt, der im besten Fall sehr fruchtbar ist: nämlich das erfolgreiche Ausbalancieren von Schuldenabenteurertum und notwendiger Stimulierung der Wirtschaft, um weitere Steuereinnahmen in der Zukunft zu sichern. Bisher funktioniert das Tandem Habeck-Lindner.

Fliehkräfte bleiben bisher unter Kontrolle

Doch immer wieder verdüstert sich auch der Himmel. Die FDP hat unter Lindners Führung das Bremspedal als Lieblingsinstrument ihrer Regierungsarbeit gefunden. Bei Klimainvestitionen will Lindner deckeln und pocht im Gegenzug auf die seltsame Förderung von Wasserstofftechnologien für normale Autos – was toll klingt, aber im Praxistest einen einzigen Crash bedeutet. Unsinnig ist das, und es dokumentiert die komische Beziehung, die Lindner zum Auto an und für sich pflegt. Ferner kommt bei ihm eine gewisse Sozialkälte durch: Während die Grünen die dringend benötigte Kindergrundsicherung in Deutschland endlich etablieren wollen, sieht Lindner dafür keine große Perspektive. Es ist wohl nicht seine Wähler-Zielgruppe.

Überhaupt raunt es aus seinem Umfeld heraus, dass nun genug Geld beim Volk verteilt sei, dass dadurch auch die Inflation angeheizt werden könne, dass die Schulden von heute die Probleme von morgen seien. Mit letzterem liegt es sicherlich richtig. Nur gibt es Probleme bei einkommensschwachen Familien, welche keine naseweisen Leistungsanreize aus der Reichenpartei FDP benötigen, sondern strukturelle Verbesserungen ihrer Startmöglichkeiten. Diesen Konflikt werden Lindner, Habeck und der Rest des Ampelbündnisses noch ausfechten müssen. Letztendlich hat Lindner aber in seiner neuen Verantwortung zur Halbzeit bewiesen, dass er kann. Das ist schon mal was.

Video: Studie: Mehrheit der Deutschen traut Christian Lindner nicht