Kommentar: Rolf Mützenich wird mit seiner "Terrorliste" zum dünnhäutigen Papiertiger

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bei einer Rede im Mai in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich bei einer Rede im Mai in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Der SPD-Fraktionschef im Bundestag gibt sich „irritiert“: Die Ukraine habe ihn auf eine Terrorliste gesetzt. Das ist, diplomatisch ausgedrückt, eine grobe Übertreibung. Rolf Mützenich scheint der Lage nicht mehr gewachsen zu sein – ein Platzhirsch der Politik vergangener Zeiten.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Es wirkte ein wenig traurig, wie Rolf Mützenich am vergangenen Wochenende zum Debatten-Konvent per Video zugeschaltet wurde. Der SPD-Fraktionschef wollte etwas loswerden. Mützenich, 63, Außenpolitikexperte seiner Partei und wichtiger Chef der Fraktion im Bundestag, begann zu klagen.

„Ich bin schon irritiert gewesen, dass ich von der ukrainischen Regierung auf eine Terrorliste gesetzt wurde mit der Begründung, ich setze mich für einen Waffenstillstand ein oder für die Möglichkeit, über lokale Waffenruhen auch in weitere diplomatische Schritte zu gehen“, sagte er.

Das war schon allerhand. Ein deutscher Spitzenpolitiker auf einer Terrorliste? Das Wort hat es in sich. Auf ihr vermutet man Osama bin Laden und den Joker, aber auch den Mützenich, Rolf, aus Kölle? Der zweite Teil in seinem Klagesatz stimmt ja: Mützenich setzt sich für einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine ein, für lokale Waffenruhen. Das macht aus ihm keinen Terroristen, sondern höchstens einen Narren. Oder einen, der an selbst fabrizierten Wahrheiten festhält, weil sie so schön waren; schöner als die Wirklichkeit allemal.

Stimmte der Vorwurf, wäre es harter Tobak. Nur: Tut er nicht. Was Mützenich zu dieser Behauptung ritt, muss er genauer erklären. Sonst wird er zur Belastung für die regierende Ampelkoalition.

Was wirklich war

Denn richtig ist, dass Mützenich im vergangenen Juli auf einer ukrainischen Liste im Internet erschien, und zwar vom staatlichen „Zentrum gegen Desinformation des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine“ – die aber schon seit mehreren Monaten nicht mehr abrufbar ist. Unter den mehr als 70 Persönlichkeiten, die auf dieser Liste standen, war neben der rechtsnationalen französischen Politikerin Marine Le Pen, der Publizistin Alice Schwarzer und anderen auch Mützenich. Der Vorwurf: Die Verbreitung von „Narrativen“, die mit russischer Propaganda übereinstimmen. Mützenich wurde mit dem Hinweis aufgeführt, dass er sich für einen Waffenstillstand einsetzt.

Dies als Terrorliste zu beschreiben, ist mehr als taktlos. Es ist verständlich, dass sich Mützenich über diese Liste ärgerte, und mehr noch: „Auf dieser Grundlage, dass man auf diese Terrorliste der ukrainischen Regierung gekommen ist, hat man ja sozusagen dann auch Sekundärdrohungen bekommen“, sagte er auf dem Debattenkonvent der Partei. Es sei nicht einfach, damit umzugehen. Das ist sehr nachvollziehbar. Es wird gerne schnell gehasst, mit Drohungen verbal um sich geschossen. Und mancher wird Mützenichs Position verdammt haben: Denn der SPD-Fraktionschef steht natürlich an der Seite der angegriffenen Ukraine, aber immer nur mit angezogener Handbremse. Und immer wieder meldet sich der Rheinländer zu Wort und mahnt mehr Diplomatie, mehr Gespräche, mehr Verhandlungen an, um zu einem Ende der Kämpfe zu kommen.

Das klingt toll, ist aber entweder naiv oder dem Bemühen geschuldet, die eigenen jahrzehntelangen Irrtümer gegenüber der russischen Politik als nicht ganz so blöd dastehen zu lassen. Denn Mützenichs Diplomatiemahnungen sind reine Luftschlösser. Wo verhandelt werden kann, wird verhandelt. Und wo es keinen Sinn macht, weil der Aggressor sich bewegen muss, nicht der Angegriffene, geschieht es auch entsprechend nicht. Mützenich tut so, als seien andere Politiker, wie zum Beispiel die der Grünen, kriegslüstern und grobmotorisch. Nur würde Mützenich mit seinem rheinischen Gemüt auch nicht mehr erreichen.

All dieses Lavieren rechtfertigt natürlich keine Drohungen, keine Verbalgewalt, und daher ist diese ukrainische Liste ein Ärgernis, das dann auch recht schnell in der Versenkung entschwand. Bis Mützenich sie nun selbst wieder hervorholte.

Das T-Wort

Es ist auch besonders sehr unsensibel, einer im unverdienten Kriegsstatus verharrenden Regierung vorzuwerfen, Terrorlisten zu verfassen, wenn sie es nicht tut. Würde Mützenich dies den Luxemburgern vorwerfen, würde man kichern. Doch bei den Ukrainern, die seit Monaten leibhaftig erfahren, was Terror ist, die in Gegenden wohnen, in denen russische Besatzer auch mit Listen von Haus zu Haus gingen, bliebe dieses Lachen im Halse stecken. Es ist genau diese Mischung aus eigener Dünnhäutigkeit und Unverfrorenheit gegenüber Leidenden, die an Mützenich zweifeln lassen.

Er agiert wie ein Platzhirsch verflossener Gewissheiten. Wie einer, der meint, seinen Stolz nicht verlieren zu dürfen – daher blaffte er unlängst Außenministerin Annalena Baerbock an, weil sie in seinen Augen die Dreistigkeit besessen hatte, Kanzler Olaf Scholz zu seiner Chinareise noch ein paar inhaltliche Parameter mit auf den Weg zu geben. Baerbock gab Binsen von sich, doch Mützenich präsentierte sich für seinen Chef auf den Schlips getreten, rügte sie mit „unhöflich“ und „undiszipliniert“.

Beim SPD-Debattenkonvent hätte er selbst höflicher und disziplinierter auftreten können.

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