Kommentar: US-Botschafter Grenell und die Deutschen - Was kommt da denn hoch?

US-Botschafter Grenell pocht auf die Ausgabenziele der NATO und verstößt dabei durchaus gegen die diplomatischen Gepflogenheiten (Bild: AP Photo/Michael Sohn)
US-Botschafter Grenell pocht auf die Ausgabenziele der NATO und verstößt dabei durchaus gegen die diplomatischen Gepflogenheiten (Bild: AP Photo/Michael Sohn)

Der Diplomat poltert, und manche ziehen den Helm auf. So komisch US-Botschafter Richard Grenell redet, so entlarvend ist die Reaktion darauf.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Also, die Amis mal wieder! Amis ist ein Wort aus vergangenen Zeiten, als noch zahlreiche Kasernen mit zehntausenden US-Soldaten in Deutschland standen, die CIA mal in dem einem südamerikanischen Land putschen ließ, mal in einem anderen. Es war auch die Zeit, in der ein Politiker wie Henry Kissinger in den USA Karriere machte, der eine Menge war, aber kein intellektloser Verbalrabauke – und der einst mit seiner Familie vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste.

Heute ist es anders. “Ami” sagt kaum noch jemand. Die CIA ist auch nicht mehr, was sie einmal war, die Truppenpräsenz geht stetig zurück, und in Washington D.C. regiert zwar einer, der alle anderen für dümmer hält, aber Selbstlob ist die erste Tat des Dummen. Einen entsprechenden Vertreter hat er nach Deutschland entsandt. US-Botschafter Richard Grenell bricht nicht nur mit diplomatischen Traditionen, indem er sich in politische Debatten einmischt. Seine klare Sprache, extrem verkürzend und umso machtvertrauter, irritiert. Die neuste Kontroverse aber birgt eine neue Dimension.

Grenell kritisierte Sparpläne aus dem von der SPD geführten Bundesfinanzministerium. Dieses will den Verteidigungsetat mittelfristig bis 2023 leicht reduzieren, die Amerikaner und mit ihr einige andere NATO-Partner fordern eine Erhöhung hin zu der Marke von zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).

Als wäre Streit in der politischen Debatte tabu

Nun kann man über diese Zahlen streiten. Ich persönlich habe für Rüstungsausgaben nicht viel übrig, aber was zählt das? Viele sehen das anders. Deutschland hat sich auch zu einer Aufstockung verpflichtet. Und die USA, welche man als manische Rüstungsbetreiber bezeichnen kann, tragen die finanzielle Hauptlast des Verteidigungsbündnisses NATO.

Dass die Sparpläne also Beifallsstürme im Weißen Haus auslösen würden, wäre eine Überraschung gewesen. Entsprechend beschwert sich heute Grenell. Er sagte: “Dass die Bundesregierung es auch nur in Erwägung zieht, ihre ohnehin schon inakzeptablen Beiträge zur militärischen Einsatzbereitschaft auch noch zu reduzieren, ist ein beunruhigendes Signal Deutschlands an seine 28 NATO-Verbündeten.”

Die Reaktion darauf finde ich erschreckender als Grenells Kommentar selbst. Klar, starken Tobak lässt er los, “inakzeptabel” ist sicherlich kaum der passende Ausdruck für den Einsatz der Bundeswehr etwa in Afghanistan, wo die Deutschen die zweitgrößte Präsenz stellen.

Aber was sagt zum Beispiel Wolfgang Kubicki, immerhin Fraktionsvize der FDP im Bundestag? Der forderte vom Außenministerium, “Richard Grenell unverzüglich zur Persona non grata zu erklären”. Und weiter: “Wer sich als US-Diplomat wie ein Hochkommissar einer Besatzungsmacht aufführt, der muss lernen, dass unsere Toleranz auch Grenzen kennt.”

“Ami, go home”: Wolfgang Kubicki würde Grenell am liebsten zurück über den großen Teich schicken (Bild: Reuters/Axel Schmidt)
“Ami, go home”: Wolfgang Kubicki würde Grenell am liebsten zurück über den großen Teich schicken (Bild: Reuters/Axel Schmidt)

Kubicki sagte der Nachrichtenagentur AFP, er wolle die “politischen Vorhaben” von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht verteidigen. “aber dass der US-amerikanische Botschafter sich abermals in politische Fragen der souveränen Bundesrepublik einmischt, ist nicht mehr zu tolerieren.” Deutschland dürfe sich “dieses unbotmäßige Gebaren aus Gründen der Selbstachtung nicht gefallen lassen”.

Nun, die USA waren einmal Besatzungsmacht in Westdeutschland, aus guten Gründen. Sie befreiten die Deutschen von ihrer Naziherrschaft. Doch die Zeiten sind vorbei. Dass die Bundesrepublik souverän ist, bedarf keiner Betonung. “Grenzen der Toleranz” kennt man eher beim Sound von Wutbürgern, wenn es um homogene ethnische Vorstellungen geht, und die Selbstachtung hierzulande ist schon okay, einen Mangel daran konnte ich bisher nicht feststellen.

Gelassenheit geht anders

Ich verstehe, dass Kubicki, um den es ruhig geworden war, auch wieder einmal eine Schlagzeile bekommen wollte. Muss er aber dafür reden wie ein “Reichsbürger”? Die machen sich auch Gedanken über unsere Souveränität, und deren Grenzen der Toleranz sind rasch ausgemessen.

Die Heftigkeit der Reaktion auf Grenell lässt vermuten, dass es nicht nur um die Suche nach dem richtigen Ton in der Diplomatie geht. Grenell schert sich weniger um Traditionen – aber sei’s drum! Ist die alte Noblesse Oblige des geseiften Geredes tatsächlich ein dogmatischer Wert? Und wenn dann ein Rüpel wie Grenell ausschert, ist das nicht auszuhalten?

Die Aufregung um den US-Botschafter verstehe ich nicht. Vielleicht aber legt sie den Finger auf eine verheilte Wunde, die unter der Haut noch pocht. Und da sind wir wieder beim Ausdruck “Ami”. Kubickis Ausbruch öffnet das Ventil eines Antiamerikanismus, den es schon immer gab: die Ablehnung des offenen Amerikas, des multiethnischen Amerikas, des wenig zaudernden und oft ziemlich furchtlosen Amerikas – also eines Landes, das in seiner Geschichte wirklich anders als Deutschland war. Und welches uns mehrmals eine Lektion erteilen musste, siehe Weltkrieg Eins und Zwei.

Freiheit, Demokratie und Menschenrechte haben sich die Deutschen in der Bundesrepublik nicht erkämpft. Sie erhielten all dies geschenkt. Antiamerikanismus war nicht nur die Ablehnung von Coca-Cola oder des Kapitalismus an sich, sondern mehr oder weniger versteckte Großmannssucht. Kubicki darf sich also ruhig weniger Gedanken um seine Größe oder um die unseres Landes machen. Er darf gelassener sein und die Frühlingssonne genießen.