Kommentar: Vom Kapitol nach Brasilia: Wie der Populismus die Demokratie gefährdet

Zum wiederholten Mal wird eine Demokratie in ihrem Zentrum mit Gewalt angegriffen. Und jedes Mal steckt ein egomaner Brandstifter dahinter. Diesem gefährlichen Populismus muss Einhalt geboten werden.

Ein Kommentar von Moritz Piehler

Der Angriff auf das Herz der brasilianischen Demokratie kam mit Ankündigung. (Bild: REUTERS/Ueslei Marcelino)
Der Angriff auf das Herz der brasilianischen Demokratie kam mit Ankündigung. (Bild: REUTERS/Ueslei Marcelino)

Die Szenen glichen sich erschreckend. Fast exakt zwei Jahre nachdem gewaltbereite Trump-Anhänger das Kapitol in Washington stürmten, griffen nun fanatische Anhänger des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Bolsonaro die Regierungsgebäude in Brasilia an und hinterließen Chaos und Zerstörung. Diese Gewaltausbrüche sind bei Weitem kein Zufall, denn die aufgeladene Rhetorik der beiden rechtspopulistischen Politiker führte fast zwangsläufig zu dieser Gewalt. Beide Vorfälle sollten auch uns eine Warnung sein.

Bolsonaro nutzt Trumps Blaupause

Denn den Gewaltorgien war jeweils eine jahrelange Aufstachelung vorangegangen. Jair Bolsonaro hatte sich dabei bei seinem Vorbild Donald Trump bedient. Bis hin zur Nichtanerkennung seiner Wahlniederlage. Noch bevor sich Bolsonaro nach Florida absetzte, um am 1. Januar nicht bei der Amtsübergabe an seinen Nachfolger Lula da Silva dabei sein zu müssen, rief er seine Anhänger zum Kampf auf. Er mag sich wie Trump damit herausreden, das sei nur symbolisch gemeint gewesen, Fakt ist, dass es von ihren Wählern als Aufruf zum Umsturz verstanden wurde - und diese Wirkung durchaus mit einkalkuliert war.

Wen die Angreifer von Brasilia unterstützen zeigten sie stolz bei zahlreichen Video- und Fotoaufnahmen aus dem gestürmten Regierungspalast. (Bild: REUTERS/Adriano Machado)
Wen die Angreifer von Brasilia unterstützen, zeigten sie stolz bei zahlreichen Video- und Fotoaufnahmen aus dem gestürmten Regierungspalast. (Bild: REUTERS/Adriano Machado)

Die Untergrabung sämtlicher demokratischer Institutionen bis hin zu Richtern und Gesetzgebern gehört bei beiden Politikern zur Systematik. Ihren Anhängern bietet das eine wohlfeile Ausrede für alles, was im eigenen Leben schief läuft. Dabei richtet sich der Ärger gegen eine willkürlich zusammengestellte Zielgruppe aus liberalen, "woken", bis hin zu angeblich kommunistischen Kräften, die nur eines wollen: Dem einfachen Bürger und seinen (christlich-konservativen) Gewohnheiten ans Leder. Dass sowohl Trump als auch Bolsonaro alles andere als eine moralisch lupenreine Weste unterm Gewand tragen, wird dabei geflissentlich übersehen. Die Politiker profitieren - auch finanziell - von dieser Spaltung und der aufgeheizten Stimmung, in der die Gräben immer tiefer werden.

Kleinster gemeinsamer Nenner wird systematisch zerstört

Das ist mehr als gefährlich, das beweisen nicht nur immer häufigere Übergriffe auf politisch anders denkende. Denn eine - zumal demokratische- Gesellschaft beruht auf gewissen gemeinschaftlichen Einverständnissen. Dazu gehört selbstredend die Meinungsfreiheit auch bei größtmöglicher Dummheit. Aber eben auch das Akzeptieren nachweislich demokratischer Wahlen und der Respekt gegenüber den gewählten Institutionen und Personen. Alles andere ist Wilder Westen, von dem letztlich nur die Chaos-Stifter profitieren.

Dass sich die führenden Köpfe großer Parteien nicht schämen, diese Gewissheiten zum Einsturz zu bringen, ist ein wahrhaft bitteres Signal für zwei der drei größten Demokratien der Welt. Wo jegliches Vertrauen in die Demokratie von oberster Stelle lächerlich gemacht wird, werden es demokratische Staaten zunehmend schwerer haben. Die Folgen lassen sich nicht nur an den sichtbaren Übergriffen wie jetzt in Brasilia oder der Farce der republikanischen Trump-Hardliner bei der Wahl zum Kongress-"Speaker" sehen. Sie zeigen sich auch in Umfragen zum Vertrauen in Wahlen, in Medien und in die Demokratie selbst.

Es ist an uns allen, die Demokratie zu schützen

Dass dies Kalkül der Populisten zum eigenen Machterhalt um nahezu jeden Preis ist, scheinen viele ihrer Fans nicht mehr zu sehen. Zu bequem sind die einfachen Erklärmuster und den Brandstiftern Einhalt zu gebieten, liegt an der Politik selbst, an demokratischer Bildung und gutem Journalismus. Aber nicht zuletzt an jedem einzelnen Bürger. Wer die Demokratie für ein selbstverständliches Perpetuum Mobile hält, der täuscht sich gewaltig und könnte ein böses Erwachen erleben.

In Deutschland scheiterte der "Sturm auf den Reichstag" im August 2020 vergleichsweise kläglich. Einigen Dutzend Corona-Leugnern gelang es lediglich, bis zu den Treppenstufen des Regierungsgebäudes in Berlin vorzudringen. Ein Warnschuss war dieser Angriff auf das Herz des demokratischen Staates dennoch, ebenso wie die jüngsten Verhaftungen von 25 selbsternannten "Reichsbürgern" aus dem Kreis um Prinz Reuß.

Im Video: Bolsonaro-Anhänger stürmen Kongress - Ex-Präsident bezieht Stellung