Kommentar: Warum ein Cousin der Abou-Chakers nicht über Corona aufklären darf

Der Rapper Ali Bumaye trat in einem Insta-Video des Neuköllner Gesundheitsamtes auf – es ging um Covid-19. Doch dann wurde der Film von der Behörde gelöscht. Weil er mit der Großfamilie der Abou-Chakers verwandt ist? Die ist in Teilen in organisierte Kriminalität verstrickt; was kein Grund für Sippenhaft ist.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Arafat Abou-Chaker bei der Beerdigung seiner Mutter im September 2020 in Berlin (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Arafat Abou-Chaker (Mitte) bei der Beerdigung seiner Mutter im September 2020 in Berlin (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Beim Gesundheitsamt in Berlin-Neukölln hatten sie eine Idee. Über die Gefahren von Corona wollten sie informieren und Jugendliche aufklären: Wie man Ansteckungsrisiken herunterfährt, sich achtsamer verhält. Dafür bauten sie, vor vielen Monaten, in ihrer Freizeit ein Podcastprojekt – den "Feierabendfunk". In einen Livestream hatten sie den Auftritt einer Lokalgröße – der Rapper Ali Bumaye erzählte über sein Leben als Risikopatient. Allet schick, wie der Berliner zu sagen pflegt?

Nee, die für das Amt verantwortliche Stadträtin kassierte das Video. In ihrer Begründung gibt es verschiedene Versionen.

"Seine Texte sind tatsächlich extrem sexistisch", sagte sie der "Berliner Zeitung" über diese Entscheidung, "und handeln regelmäßig von Kinderfickern und Bitches." Sie sei zwar hartgesotten, komme selbst aus Neukölln und habe dort lange in der Jugendarbeit gearbeitet. "Aber solch einem Künstler kann ich doch nicht auf der Seite des Gesundheitsamts eine Plattform bieten."

Nachtigall, ick hör dir trapsen

Kann man so sehen. Ali Bumayes Texte dringen ein und erzählen nah vom Alltag Arabischstämmiger in Berlin. Sie biegen aber komisch ab, wenn es um Frauen geht, da scheint Ali Bumaye absurden Überlegenheitsvorstellungen anzuhängen; das liest sich wie aus dem 19. Jahrhundert, nur derber.

In der lokalen CDU aber fragte man sich auch, was der Grund für die Löschung war. Und die Christdemokraten fragten die Stadträtin in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), dem Lokalparlament: "Spielte die Verwandtschaft des Herrn B. mit mutmaßlichen Angehörigen einer bekannten Familie eine Rolle für die Entscheidung, das Video auf dem Instagram-Kanal des Gesundheitsamtes Neukölln löschen zu lassen?"

Die klare Antwort lautete: "Nein." Fehlende Absprache bei der Herstellung und bei der Veröffentlichung seien für sie Grund gewesen, den Stream offline nehmen zu lassen.

Ups. Nun hat aber der "Checkpoint", der Newsletter des Berliner "Tagesspiegel", eine interessante WhatsApp-Nachricht der Stadträtin an ihren Amtsleiter veröffentlicht. Nach Angaben des "Checkpoint" steht darin: "Sehr geehrter Herr Savaskan, Ali Bumaye ist der Cousin von Abou-Chakar (sic!). Nehmen Sie das bitte sofort vom Netz. Bitte stellen sie sofort alle Kanäle an Öffentlichkeitsarbeit ein. Es gibt keine Veröffentlichungen mehr ohne meine Kenntnis. Details dazu nächste Woche. Beste Grüße…"

Das klingt doch eher danach, dass die Stadträtin keine Textexegese der Rapsongs von Ali Bumaye zu ihrer Entscheidung bewogen hat, sondern die Verwandtschaft zu "Abou-Chaker". Nun, zu welchem eigentlich? Immerhin handelt es sich um eine Großfamilie mit 200 bis 300 Mitgliedern in Berlin. Meint sie etwa Arafat Abou-Chaker, weil der oft in den Medien auftaucht – wegen des Prozesses mit Bushido als Nebenkläger? Oder seinen Bruder Nasir, oder Muhammad, Abdallah oder Ahmad?

Es klingt nach Sippenhaft. Nach dem Scheren über einen Kamm. Sollte man eigentlich nicht machen.

Eine Frage des Aussonderns

Aber es ist Praxis seit Jahrzehnten. Die Familie von Ali Bumaye und die der Abou-Chakers sind Palästinenser, die ab den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts aus dem Libanon nach Deutschland geflohen waren – raus aus dem dortigen Bürgerkrieg und eine Nische des Transits via Ost-Berlin ausnutzend. Doch der westdeutsche Staat schlug zurück: Er duldete diese Menschen, hielt sie aber in Unmündigkeit. Keine Arbeitserlaubnis, über Jahre. Dass dies den Grundstein bei beeindruckenden Teilen dieser Familien für einen kriminellen Weg legte, ist klar. Sie durften existieren, mehr nicht. Daraus eine Forderung nach "Integration" oder gar Inklusion abzuleiten, ist verwegen. Diese Familien sollten bleiben dürfen, aber ansonsten stillhalten. Dies rechtfertigt nicht die immer individuelle Entscheidung, ob man ein Leben mit den Gesetzen oder gegen sie führt. Aber es erklärt.

In diesem Zusammenhang ist die Begründung der Stadträtin traurig.

Vor dem Coronavirus sind wir alle gleich. Es macht keine Unterschiede, die Familiengeschichte, das Verhalten in der Gesellschaft – für den Erreger ist das alles vollkommen uninteressant. Wir alle haben erfahren, was Covid-19 macht, uns allen sind Menschen genommen worden. Im Amt können sie ja wieder nach dem Video kramen. Der nächste Herbst steht schon vor der Tür.

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