Kommentar: Was die Wahlen in Polen für Deutschland und Europa bedeuten

Die polnischen Parlamentswahlen können eine Wende herbeiführen. Die bisherige liberale Opposition ist in der Lage, eine neue Regierung zu bilden. Rechtspopulismus kann abgewählt werden: Das ist die Lehre aus Warschau. Und das deutsch-polnische Verhältnis kann sich entspannen – wenn Deutschland offener, neugieriger und selbstkritischer wird.

Donald Tusk am vergangenen Wahlabend in Warschau (Bild: REUTERS/Kacper Pempel)
Donald Tusk am vergangenen Wahlabend in Warschau. (Bild: REUTERS/Kacper Pempel)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Eigentlich hat die regierende Partei PiS in Polen nicht verloren. Mehr Stimmen als beim letzten Wahlgang hat die rechtspopulistische Partei von Patriarch Jarosław Kaczyński geholt. Aber: Die Opposition aus Bürgerlichen und Liberalen schaffte es, am vergangenen Sonntag noch mehr die Mitte der Gesellschaft zu mobilisieren und damit sich die Mehrheit im Sejm zu sichern – falls man sich auf eine Koalition einigt.

Für die Bürgerrechte ist dies ein großer Sieg. Der Spitzenkandidat Donald Tusk lieferte einen Wahlkampf für Themen ab. Für eine Überwindung der Verhärtungen und Spaltungen in der Gesellschaft, für eine Vision innerhalb Europas und für europäische Solidarität. Die regierende PiS dagegen agierte gegen etwas: gegen eine vermeintliche Bedrohung des Landes durch Liberale, durch alles abseits heterosexueller Norm, Einwanderer, Richter – die Partei ordnete in den acht Jahren ihrer Regierung alles dem Ziel unter, die eigene Macht zu stabilisieren und auszubauen. Das kennt man von Rechtspopulisten, die äußere Gegner kreieren, um sich an ihnen abarbeiten zu können und hierfür das politische System umzukrempeln versuchen, es gefügiger machen wollen.

Unter Führung der PiS hat die polnische Demokratie arg gelitten, der Justizapparat wurde schon umgebaut, um mehr Einfluss auf ihn zu erhalten. Doch die Demokratie hat nun auch der PiS Grenzen aufgezeigt. Tusk sollte mit falschen Behauptungen diskreditiert werden, und vor allem Deutschland kriegte sein Fett weg. Der westliche Nachbar wolle nur kontrollieren, das Land nach seinem Gusto verändern; Tusk wurde als Befehlsempfänger Berlins dargestellt. Lügen kennt man von Rechtspopulisten, und die PiS machte reichlich davon Gebrauch. Mit ihm als neuen Ministerpräsidenten könnte mehr Ehrlichkeit gegenüber den Beziehungen einziehen. Das gilt aber auch für Deutschland.

Das Bild hängt schief

Noch immer herrscht ein gewisses Ungleichgewicht. Deutsche interessieren sich weniger für Polen als andersrum. In deutschen Schulen entlang der Grenze wird viel weniger Polnisch unterrichtet als Deutsch in den Schulen auf der anderen Seite. Das Desinteresse wirkt herablassend. Aber sowas hilft nicht angesichts der blutigen Geschichte, die beide Länder miteinander verbindet. Deutsche wissen viel zu wenig von der Brutalität der Naziherrschaft in Polen, der massenhaften Ermordung, Drangsalierung und Ausbeutung von Polen. Vielleicht wollen wir es nicht so genau wissen. Doch diese fehlende Balance schmerzt. Da überrascht es nicht, dass die PiS regelmäßig die Forderung nach Kriegsreparationen auf die Agenda brachte – und ganz unrecht hatte sie damit nicht. Über die Summe mag man streiten, aber in der Sache abtun geht schlicht nicht. Tut Berlin aber. Mehr gleiche Augenhöhe muss her.

Und die Moral von der Geschicht

Aus dem Wahlsieg von Tusk lässt sich für Europa auch lernen, wie man mit Rechtspopulisten umgeht. Da die PiS ihre Anhänger durchaus mobilisieren konnte, heißt die Lektion: Der Wettbewerb um die Herzen der Mitte entscheidet. Tusk ließ sich nicht auf eine Schlammschlacht mit der PiS ein, ließ ihre wüsten Attacken und Fake News in die Leere laufen. Etwas wie die PiS gibt es in jedem europäischen Land. Wie man sich ihnen gegenüber behauptet, hat Polen am Sonntag gezeigt.