Kommentar: Was Kopftuch und LGBTQ gemein haben

Tod im Iran, Demos in der Türkei, Gegendemos in Belgrad und Berlin: Wenn es um Feindschaft gegen Frauen oder sexuelle Minderheiten geht, kommen skurrile Allianzen zustande. Ihren Schmierstoff beziehen sie aus der Religion.

Frauen bei einer LGBTQ-feindlichen Demo in Istanbul am vergangenen Sonntag (Bild: REUTERS/Murad)
Frauen bei einer LGBTQ-feindlichen Demo in Istanbul am vergangenen Sonntag (Bild: REUTERS/Murad)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Von diesem Besuch kam sie nur tot zurück: Mahsa Amini, 22, war auf Familienvisite in der iranischen Hauptstadt Teheran, als sie von der "Sittenpolizei" verhaftet wurde: Das Kopftuch saß angeblich nicht richtig, man wird wohl ein paar Haarsträhnen gesehen haben. Auf dem Polizeirevier dann starb sie; die einen Meldungen sprechen von Herzversagen, die anderen von Koma nach einem Schlag gegen den Kopf. Jedenfalls würde Mahsa Amini noch leben, gäbe es nicht diese Polizei, die mit Sitten nicht wirklich etwas zu tun hat.

Zu Tausenden haben vor allem Frauen im Iran dagegen demonstriert, sie lehnen sich gegen diese Frauenfeindschaft in religiösem Gewand auf. Denn seit 1979 herrscht im Land eine Art Theokratie, in der Religionsgelehrte den Bürgern ihren Alltag vorzugeben versuchen und ihre Rechte stark einschränken.

LGBTQ - Kein Teil der Familie?

Demonstriert wurde am Wochenende auch in Istanbul. Tausende gingen ebenfalls auf die Straße. Aber bei der Versammlung "Die große Familienzusammenkunft" ging es nicht sehr familiär zu, vielmehr wurden einige als schwarze Schafe deklarierte Mitglieder der Gesellschaft verstoßen. Die Organisatoren, allesamt der Präsidentenpartei AKP nahe stehend, verlangten ein Verbot aller LGBTQ-Organisationen. Denn Männer, die Männer lieben und Frauen, die Frauen lieben – das ist für die nicht Familie. Von Transsexuellen und anderen Lebensformen ganz zu schweigen – sie sind allesamt wenige genug, um einen draufzukriegen, von der Mehrheitsgesellschaft.

"Der Schutz der Familie ist eine Frage der nationalen Sicherheit", stand auf Bannern. Es ist diese fatale Mischung aus Nationalismus, Autokratismus und einer engen Auffassung davon, wie Religion zu sein habe: In der Türkei ist die nationale Sicherheit schnell bedroht, da reicht ein Spotttweet über den Präsidenten schon aus.

Zwang in der Religion ist wenig religiös

In beiden Ländern, im Iran und in der Türkei, wird der Islam als Beleg für dieses menschenfeindliche Verhalten herbeigezogen. Es ist im Grunde ein Kidnapping der Religion. Denn keine religiöse Quelle im Islam gibt irgendwelchen Menschen oder staatlichen Einheiten das Recht, gegenüber Frauen zu bestimmen, was sie auf, an oder um ihren Kopf zu tragen haben. Alles weitere ist nur bewusste Schikane zur Unterjochung und zur Zementierung männlicher Machtverhältnisse. So banal wie effektiv.

Das Kopftuch an sich ist kein Problem, es wird aus verschiedensten Motiven heraus getragen. Diese reichen von Feminismus bis hin zu… was weiß ich. Nur sollte das Motiv, dadurch eine unangenehme Begegnung mit einer "Sittenpolizei" zu vermeiden, besser nicht existieren. Aus den heiligen Schriften ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass irgendeine Familie besser funktionieren würde, wenn anderen Menschen elementare Rechte wie sexuelle Selbstbestimmung vorenthalten werden.

Der Islam an sich ist also nicht das Problem, sondern dass er gekapert wird. Wir kennen das. Am gleichen Wochenende wurde auch in christlich geprägten Ländern demonstriert, und was da gefordert wurde, hatte mit Menschenrechten nur wenig zu tun.

In Belgrad fand die Europride statt, obwohl sie vom Präsidenten, einem konservativen Hardliner, verboten worden war. Schon Wochen zuvor hatten klerikale Kreise so genannte Prozessionen gegen die Pride organisiert, im Schulterschluss mit Rechtsextremisten. Letztere griffen auch Teilnehmer der Pride an – es gab Verletzte. Die Argumentation der serbisch-orthodoxen Kirche ist übrigens deckungsgleich mit jener der türkischen AKP.

Ein Mist nach dem anderen

Und in Berlin gab es mal wieder einen "Marsch fürs Leben", bei dem es zwar nicht ums Kopftuch oder gegen LGBTQ ging, aber den Demonstranten waren Schwangerschaftsabbrüche ein Dorn im Auge. Die sind für sie, wie eine Rednerin sagte, ein "globaler Völkermord". Auch Bischöfe beteiligten sich an diesem "Marsch".

Politisch stand die Mehrheit der Demonstrierenden gewiss nicht links. Sind waren eher konservativ gesonnen, wie die Leute in der türkischen AKP, vergleichbar mit den iranischen Sittenwächtern und den serbischen LGBTQ-Hatern. Es ist, mit verschiedenen Graden, irgendwie rechts. Und es missbraucht die Religion für weltliche Forderungen. Die Leute vom Berliner "Marsch" wollen Frauen ein Grundrecht der Selbstbestimmung nehmen. Die iranischen Sittenwächter auch. Und was in Istanbul sowie Belgrad passierte, richtete sich nicht nur gegen Frauen, sondern gegen alle, die im Grunde die von alters her mit Gewalt durchgesetzten Privilegien von Männern über Frauen durcheinanderbringen.

Es ist Zeit, dass sich die Religion aus diesen Fängen befreit.

Im Video: Europride in Belgrad - Tausende demonstrieren gegen LGBTQ-Event