Kommentar: Weg ist Erdogan noch lange nicht

Der türkische Präsident Erdogan bei einer Rede am Montag vor Anhängern in Ankara (Bild: REUTERS/Umit Bektas)
Der türkische Präsident Erdogan bei einer Rede am Montag vor Anhängern in Ankara (Bild: REUTERS/Umit Bektas)

Die Wahlen in der Türkei gehen in die Verlängerung. Und doch hat Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan die erste Runde nicht nur überstanden. Die Wähler müssen nun entscheiden, ob sie bei ihm wirklich gut aufgehoben sind.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Man hatte es sich so gewünscht. Nach all den Jahren des Regierens hatte sich Recep Tayyip Erdogan eigentlich unmöglich gemacht. Die demokratischen Institutionen ausgehöhlt, die Macht immer mehr auf sich zugeschnitten – und dann etliche Fehler begangen: Der Nicht-Wirtschaftsexperte verordnete eine Niedrigzinspolitik, die in einer rasanten Inflation endete. Und der Billigbetonboom führte zu horrenden Schäden beim Erdbeben, zu zahllosen Toten, die man hätte vermeiden können. Aber er war und ist ein Alphatier. Und ihm vertrauen offensichtlich viele Wähler.

Türkeiwahlen: Die Ergebnisse

Infografik: AKP wieder stärkste Partei - Erdoğan muss in die Stichwahl | Statista
Infografik: AKP wieder stärkste Partei - Erdoğan muss in die Stichwahl | Statista

Man hatte es sich so gewünscht, vor allem in den deutschen Medien. So liest man heute, das Ergebnis sei knapp, die Voten für die Opposition ein Erfolg, dass man so nah an Erdogan herangekommen sei. Ein bisschen Schönfärberei ist da schon am Werk. Denn die Endergebnisse dieses Wahlgangs stehen noch nicht fest. Aber klar ist, dass der Präsident nicht gerade aus dem Amt gefegt worden ist, im Gegenteil. Und nun steigen seine Chancen, darin zu bleiben.

War alles so doll?

Man hatte es sich so gewünscht, trotz der beunruhigenden Meldungen: Wahlbeobachter wurden an ihrer Arbeit gehindert, Funktionäre der Erdogan-Partei AKP zweifelten überall dort die Ergebnisse an, wo sie ihnen unangenehm waren, die staatlichen Medien redeten schon von einem Sieg, als sie nur wenige Teilergebnisse aus AKP-Hochburgen hatten.

Aber es war zu erwarten, dass Erdogan seine Macht nicht einfach hergeben würde, zu viel steht für ihn auf dem Spiel; hätte er doch einige Justizanklagen zu befürchten, sobald er ohne Immunität dasteht. Im Grunde versprach er den Türken eine neue Zukunft, die aus der alten besteht. Nichts neues unterm Sultan. Aber solchem Dasein scheinen nicht wenige abgeneigt zu sein. Und so kommt es nun zur Stichwahl.

Bis Ende Mai hat die Gesellschaft sich zu überlegen, ob sie tatsächlich ein „Weiter so“ will. Die Bilanz dieses Regierens ist desaströs. Dennoch stehen die Zeichen für Erdogan nun gut.

Kemal Kilicdaroglu: Erdogans Herausforderer wollte dessen Ära beenden und für die Demokratie in der Türkei kämpfen. (Bild: Getty Images)
Kemal Kilicdaroglu: Erdogans Herausforderer wollte dessen Ära beenden und für die Demokratie in der Türkei kämpfen. (Bild: Getty Images)

Denn der dritte Mitbewerber, ein nationalistischer Politiker, der einmal in der faschistischen MHP aktiv war, würde durchaus überraschen, wenn er nun seine Anhänger dazu aufrufen würde, für die Opposition zu stimmen. Erdogan kann sich also einen kleinen Schub dadurch erhoffen.

Video: Präsidentschaftswahl geht in die 2. Runde

Vorhand Erdogan

Hinzu kommt, dass die hohe Wahlbeteiligung dieses Wochenendes schwer zu wiederholen ist – es ist aber an der Opposition, ihre Anhänger mobilisieren. Die jetzige Wahl war für sie ein Kraftakt gewesen.

Für Erdogan wird es nur noch eng, wenn der Überdruss in der Bevölkerung wirklich tief sitzt. Und dies ist schwer vorherzusagen. Der Sultan wirkt mächtiger, wenn er so tun kann, als sei er ein Siegertyp. Und dieser Urnengang vom Sonntag hat immerhin dafür gesorgt, dass er dieses Image weiter aufrechterhalten kann.